Dienstag, 4. August 2015

Was steht auf Ihrem T-Shirt?

Eine Mutter kommt mir entgegen, an der Hand zwei Söhne, vielleicht vier und sechs, der ältere trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck RULES ARE THERE TO BE BROKEN. Gut, denke  ich, gut, aber die Frau muss sich nicht wundern, wenn ihr Filius sich ein wenig rebellisch gebärdet, schickt sie ihn so eigentlich auch in die Schule?
Ein paar Schritte weiter ein junges Mädchen, vielleicht sieben, acht Jahre alt, mit dem T-Shirt-Schriftzug LOST IN LOVE. Weiss es eigentlich, was das heisst, wissen es die Eltern und wer lässt so ein junges Ding mit so was rumspringen?

Die meisten meiner Schüler haben keinen blassen Schimmer, was sie auf Bauch, Brust und Rücken stehen haben und fallen dann meistens aus ihren blauäugigen Wolken, wenn ich es ihnen sage.
Und Sie?
Machen wir doch mal einen Test: Ziehen Sie bitte Ihr T-Shirt aus.
Jetzt zieren Sie sich doch nicht, ich gucke Ihnen nix weg, kann ich ja gar nicht. Ach so, Sie sind im Bus, im Tram, Sie sind in einem Café, einem Restaurant oder in der DB-Lounge. Dann holen Sie das zuhause nach. Alle anderen aber jetzt: Ausziehen! So, und jetzt legen Sie ihr Kleidungsstück mal vor sich auf den Tisch und betrachten den Schriftzug, die Schriftzüge.

Wenn wir Glück haben, steht da nix. Wenn wir fast Glück haben, steht da nur eine Marke. Schön, weiter nicht schlimm, ich verstehe zwar nicht ganz, wieso Sie bei D&G oder A&F oder sonst einem &-Label teure Sachen kaufen und dann für D&G, A&F oder X&Y auch noch Reklame laufen, eigentlich müssten DIE Ihnen ja das Shirt schenken und Sie für die Werbung bezahlen, aber gut und schön, des Menschen Wille ist sein Himmelreich.

Weniger Glück haben wir, wenn da auf die blaue oder rote oder schwarze Baumwolle das Logo einer Amerikanischen Uni oder eines Amerikanischen College aufgedruckt ist. Jetzt müssen Sie nämlich ein wenig googeln. Wo liegt dieses Teil, was wird dort unterrichtet und von wem? Haben Sie z.B. FOSTER COLLEGE – THURTOWN MICHIGAN – FOUNDED 1950 auf Ihrer roten, blauen oder schwarzen Baumwolle, dann sollten Sie wissen, dass Thurtown ein Kaff im hintersten Winkel von Michigan ist, und das dort beheimatete College eine Kaderschmiede für Militärs. (Deshalb liegt es auch so mitten im Wald.) Viele Irak- und Golfkrieger, Wüstenstürmer und Ölkämpfer haben dort studiert und gelernt. Eventuell mögen Sie nun Ihr T-Shirt nicht mehr so arg, aber das war es mir wert. Und wenn Ihnen einfällt, dass Sie genau dieses rote, schwarze, blaue oder gelbe Teil zum letzten Ostermarsch getragen haben, machen Sie sich keine Sorgen: Niemand kennt das FOSTER COLLEGE, aber vielleicht ziehen zur nächsten Anti-Kriegs-Demo ein anderes Oberteil an.

Ganz kompliziert wird es, wenn da Sprüche und Sentenzen, Verse und Slogans in fremden Sprachen stehen. Können Sie gut genug Englisch um den Doppelsinn in Spruch und Sentenz zu verstehen? Ist Ihr Französisch perfekt genug, um zu begreifen, was da in Vers und Slogan wirklich gemeint ist?
Vielleicht fallen auch Sie aus einer blauäugigen Wolke, wenn Ihnen ein Muttersprachler dann mal erklärt, was Sie in Wirklichkeit da auf Brust, Bauch und Rücken herumtragen.

Unendlich schwierig wird es bei fremden Schriften. Eine junge Frau hatte einmal Schriftzeichen von einer Speisekarte eines China-Restaurants abgemalt und sie auf ihr T-Shirt übertragen, einfach, weil ihr die Dinger so gefielen. Als sie merkte, dass Chinesen immer so merkwürdig grinsten, wenn sie vorbeiging, liess sie sich den Satz doch einmal übersetzen: Auf ihren Brüsten stand BESONDERS LECKERE UND PREISWERTE NASCHEREI. Eventuell ein Urbaner Mythos, aber ein guter.

Nein, mir wäre unwohl, wenn ich nicht wüsste, was da auf Rücken, Bauch oder Brust steht. Arabische Schrift sieht klasse aus, aber kann es dann nicht sein, dass ich da einen Koranvers verkünde? Ich wüsste dann gerne, welchen, gegen das Lob der Schöpfung habe ich nichts, es gibt aber nun auch ein paar etwas problematische.
Was heisst das Kyrillische auf meinem Hemd? Feiere ich da gerade Stalin oder Trotzki, Lenin oder Chrustschow?
Mein Partner trägt ein Hemd mit Sanskrit darauf. Sieht toll aus, richtig toll, und Sanskrit ist ja nun eine heilige, reine Sprache.
Ist es das aber garantiert immer?
Gibt es vielleicht nicht doch auch in Sanskrit geschriebene Hässlichkeiten?

So, nun dürfen Sie ihr T-Shirt wieder anziehen, dürfen Brust, Bauch und Rücken wieder bedecken.

Wenn Sie den Spruch darauf noch mögen.
Wenn nicht: Es gibt texaid-Container.
Und zu ihrer chaotischgemusterten Short sieht uni OHNE SCHRIFT eh am besten aus.

 

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