Montag, 10. August 2015

Geriattoo, das Tattoo für reifere Leute

Haben Sie eigentlich schon ein Tattoo?
Nein?
Sollten Sie aber. Tattoos sind in, sie sind in Mode, sie sind der letzte Schrei, der dernier cri. Wenn man wie ich ständig in den Badis, den Seen, den Schwimmbädern zugange ist (letzte Wochen: Neue Seebadis in Brunnen, Zug, Unteraegeri, Seewen, Sarnen und Arth erkundet), weiss man, dass kaum jemand mehr ohne eine Blume, einen Namen, ohne einen Schriftzug, ein Bild auf Bauch, Arm und Schulter herumläuft. Sieht ja auch wirklich sexy aus, wenn so ein knackiger, braungebrannter Körper noch durch Name, Schriftzug oder Blume gekrönt wird. Gut, manche übertreiben ein wenig, da ist dann gar keine Fläche auf Bauch, Arm und Schulter übrig, die man braunbrennen könnte, aber in Massen (also Deutsch-Deutsch mit Scharf-S) sind die Körperbilder extrem erotisch.

Also ab ins Studio!

Nein, halt, zwei Dinge sollten Sie noch bedenken. Erstens sollte es ein seriöses Studio sein, ein Tattoostecher, der seinen Laden im Hinterzimmer einer Dönerbude betreibt und Ihnen einen Adler für 5.- anbietet, eine Tattooistin, die irgendwo im Keller hockt und ihre Werkzeuge in einem rostigen Lavabo abspült, ein Studio, das mit auf Parkbäume gepinnten Fresszetteln wirbt, und, wenn die Preise stimmen, für einen Stundenlohn von 8.- arbeitet, das alles ist nicht seriös.

Die zweite Sache ist die Wahl des Motivs. Denn: Motive sollten langlebig sein, das heisst, da man ein Tattoo nicht einfach ausradieren, wegmachen, wegkratzen, da man es nicht abziehen oder abpulen kann und da es auch nicht verblasst, sollten die Dinge, die der Tattooist, die Tattooistin in Arm, Bauch, Po oder Schulter ritzt und sticht, eine gewisse Lebensdauer haben.

Bedenken Sie also erstens: Ihre Haut erschlafft, Sie werden faltiger und runzliger. Wie verhält sich ihr Bildchen dazu? Es kann nämlich sein, dass der Thor, der auf ihrem Arm mit erhobenen Händen seinen Hammer schwingt, nach 20 Jahren wie der Gekreuzigte aussieht und nach weiteren 10 Jahren seinen Hammer resignativ sinken lässt. Es kann sein, dass die Rose auf ihrem Bauch zu welken scheint, was zwar dem natürlichen Vorgang entspricht, aber einfach mies ausschaut. Der österreichische Cartoonist Dix lässt in einer seiner wunderbaren Zeichnungen zwei Frauen am Wasser stehen, beide von hinten und beide nackt und die ältere sagt mit Blick auf das Gesäss der jüngeren: „Bei mir war das auch einmal ein Adler.“

Die andere Geschichte ist das Thema des Tattoos. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte mir mit siebzehn eins stechen lassen, kommt mir das nackte Grauen. Welches Motiv würde da nun seit dreiunddreissig Jahren auf Arm, Po, Bauch oder Schulter prangen? Stünde da z.B. der Name einer meiner favorisierten Popgruppen, würde ich pro Tag hundertmal gefragt, was denn Barcley James Harvest, was denn Supertramp oder Alan Parson’s Project sei. Das erste würden die Teenies für einen Whiskey, das zweite für eine Zigimarke und das dritte für eine Computerfirma halten. Hätte ich mir die Namen meiner damaligen Flammen inklusive Herzchen stechen lassen, wäre das bei einem 50jährigen Schwulen einfach ein Witz, und nicht einmal ein guter.

Dinge der Hochkultur, die für mich seit damals gültig sind, hätten wieder den Nachteil, dass die Leute, die sie kennen, mich meistens in der Oper oder im Konzert antreffen, also in Anzug und Krawatte, die Leute in den Badis, an den Seen, in den Schwimmbädern sie nicht kennen. So hätte es auch keinen Sinn gemacht, das Gesicht von Heinrich Böll oder den Schattenriss von Christa Wolf, es hätte keinen Sinn gemacht, sich die Anfangstakte der Winterreise oder das „Veeeeeeeeni – Veeeni Creator Spiritus“ aus Mahler VIII auf Po, Bauch oder Schulter ritzen zu lassen. (Letzteres wahrscheinlich auf Bauch, auf Po und Schulter wäre ja gar kein Platz für so eine Mammutpartiturseite.)

Nein, was wir brauchen, sind Dinge, die bis zum Lebensende unveränderlich sind.
Und hier kommt nun meine Erfindung: Das Geriattoo.
Das Geriattoo fängt – wie die Italiener sagen – zwei Tauben mit einer Bohne, es bringt Ihnen ein Motiv, und es schlägt Ihrer mit 50 einsetzenden Vergreisung ein Schnippchen. Beim Geriattoo werden folgende Sachen auf Arm oder Bauch oder Bein, nicht auf Po oder Schulter verewigt:
*Der eigene Name
*Geburtstag und Geburtsort
*Ausbildung und Anstellungen
*Name der Kinder und Enkel
*Geburtstag der Kinder und Enkel
*Wichtige Reisen
 usw.

Alle diese Dinge können sich nicht mehr ändern. (Ausser Ihre Enkelin ändert ihren Vornamen Hutgurtia, den sie seit Geburt hasst, doch in Claire.)
Werden Sie nun einmal gefragt, wie alt Ihr jüngster Enkel ist: Ein Blick auf den Schenkel genügt und Sie schmettern dem Frager entgegen: 7! Werden Sie einmal gefragt, Sie seien doch bei der CIBA gewesen: Ein Blick auf den Arm und Sie posaunen: Von 1975-2005 als Finanzchef. Werden Sie gefragt, ob Sie eigentlich schon einmal auf den Aleuten waren: Ein Blick auf… Mist, das steht jetzt auf dem Bauch, lassen wir den Bauch als potentielle Fläche weg.

Das Geriattoo wird der Körperschmuck der Zukunft, es bleibt bis ans Lebensende gültig und wird Ihnen durch viele dumme Situationen helfen. Und: Schrift welkt nicht wie Rosen oder Adler und man kann die ja auch sehr nett gestalten, auch passend, Geburtsort Berlin in so einer flotten, heiteren Schrift und Geburtsort München in so einer oberbayerisch-spiessigen-rückständigen.

Also ab ins Studio!
Aber denken Sie dran: Studios, die zu billig sind oder sich in Kellerräumen, Dachböden, in den Hinterzimmern von Dönerbuden, Eisdielen oder öffentlichen WCs befinden, sind nicht seriös.


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