Nein?
Sollten Sie aber. Tattoos sind in, sie sind in Mode, sie sind der letzte Schrei, der dernier cri. Wenn man wie ich ständig in den Badis, den Seen, den Schwimmbädern zugange ist (letzte Wochen: Neue Seebadis in Brunnen, Zug, Unteraegeri, Seewen, Sarnen und Arth erkundet), weiss man, dass kaum jemand mehr ohne eine Blume, einen Namen, ohne einen Schriftzug, ein Bild auf Bauch, Arm und Schulter herumläuft. Sieht ja auch wirklich sexy aus, wenn so ein knackiger, braungebrannter Körper noch durch Name, Schriftzug oder Blume gekrönt wird. Gut, manche übertreiben ein wenig, da ist dann gar keine Fläche auf Bauch, Arm und Schulter übrig, die man braunbrennen könnte, aber in Massen (also Deutsch-Deutsch mit Scharf-S) sind die Körperbilder extrem erotisch.
Also ab ins Studio!
Nein, halt, zwei Dinge sollten Sie noch bedenken. Erstens sollte es ein seriöses Studio sein, ein Tattoostecher, der seinen Laden im Hinterzimmer einer Dönerbude betreibt und Ihnen einen Adler für 5.- anbietet, eine Tattooistin, die irgendwo im Keller hockt und ihre Werkzeuge in einem rostigen Lavabo abspült, ein Studio, das mit auf Parkbäume gepinnten Fresszetteln wirbt, und, wenn die Preise stimmen, für einen Stundenlohn von 8.- arbeitet, das alles ist nicht seriös.
Die zweite Sache ist die Wahl des Motivs. Denn: Motive
sollten langlebig sein, das heisst, da man ein Tattoo nicht einfach
ausradieren, wegmachen, wegkratzen, da man es nicht abziehen oder abpulen kann
und da es auch nicht verblasst, sollten die Dinge, die der Tattooist, die
Tattooistin in Arm, Bauch, Po oder Schulter ritzt und sticht, eine gewisse
Lebensdauer haben.
Bedenken Sie also erstens: Ihre Haut erschlafft, Sie werden
faltiger und runzliger. Wie verhält sich ihr Bildchen dazu? Es kann nämlich
sein, dass der Thor, der auf ihrem Arm mit erhobenen Händen seinen Hammer
schwingt, nach 20 Jahren wie der Gekreuzigte aussieht und nach weiteren 10
Jahren seinen Hammer resignativ sinken lässt. Es kann sein, dass die Rose auf
ihrem Bauch zu welken scheint, was zwar dem natürlichen Vorgang entspricht,
aber einfach mies ausschaut. Der österreichische Cartoonist Dix lässt in einer
seiner wunderbaren Zeichnungen zwei Frauen am Wasser stehen, beide von hinten
und beide nackt und die ältere sagt mit Blick auf das Gesäss der jüngeren: „Bei
mir war das auch einmal ein Adler.“
Die andere Geschichte ist das Thema des Tattoos. Wenn ich
mir vorstelle, ich hätte mir mit siebzehn eins stechen lassen, kommt mir das
nackte Grauen. Welches Motiv würde da nun seit dreiunddreissig Jahren auf Arm,
Po, Bauch oder Schulter prangen? Stünde da z.B. der Name einer meiner favorisierten
Popgruppen, würde ich pro Tag hundertmal gefragt, was denn Barcley James
Harvest, was denn Supertramp oder Alan Parson’s Project sei. Das erste würden
die Teenies für einen Whiskey, das zweite für eine Zigimarke und das dritte für
eine Computerfirma halten. Hätte ich mir die Namen meiner damaligen Flammen inklusive
Herzchen stechen lassen, wäre das bei einem 50jährigen Schwulen einfach ein
Witz, und nicht einmal ein guter.
Dinge der Hochkultur, die für mich seit damals gültig sind,
hätten wieder den Nachteil, dass die Leute, die sie kennen, mich meistens in
der Oper oder im Konzert antreffen, also in Anzug und Krawatte, die Leute in
den Badis, an den Seen, in den Schwimmbädern sie nicht kennen. So hätte es auch
keinen Sinn gemacht, das Gesicht von Heinrich Böll oder den Schattenriss von
Christa Wolf, es hätte keinen Sinn gemacht, sich die Anfangstakte der
Winterreise oder das „Veeeeeeeeni – Veeeni Creator Spiritus“ aus Mahler VIII auf Po,
Bauch oder Schulter ritzen zu lassen. (Letzteres wahrscheinlich auf Bauch, auf
Po und Schulter wäre ja gar kein Platz für so eine Mammutpartiturseite.)
Nein, was wir brauchen, sind Dinge, die bis zum Lebensende
unveränderlich sind.
Und hier kommt nun meine Erfindung: Das Geriattoo.Das Geriattoo fängt – wie die Italiener sagen – zwei Tauben mit einer Bohne, es bringt Ihnen ein Motiv, und es schlägt Ihrer mit 50 einsetzenden Vergreisung ein Schnippchen. Beim Geriattoo werden folgende Sachen auf Arm oder Bauch oder Bein, nicht auf Po oder Schulter verewigt:
*Der eigene Name
*Geburtstag und Geburtsort
*Ausbildung und Anstellungen
*Name der Kinder und Enkel
*Geburtstag der Kinder und Enkel
*Wichtige Reisen
usw.
Alle diese Dinge können sich nicht mehr ändern. (Ausser Ihre
Enkelin ändert ihren Vornamen Hutgurtia, den sie seit Geburt hasst, doch in
Claire.)
Werden Sie nun einmal gefragt, wie alt Ihr jüngster Enkel
ist: Ein Blick auf den Schenkel genügt und Sie schmettern dem Frager entgegen:
7! Werden Sie einmal gefragt, Sie seien doch bei der CIBA gewesen: Ein Blick
auf den Arm und Sie posaunen: Von 1975-2005 als Finanzchef. Werden Sie gefragt,
ob Sie eigentlich schon einmal auf den Aleuten waren: Ein Blick auf… Mist, das
steht jetzt auf dem Bauch, lassen wir den Bauch als potentielle Fläche weg.
Das Geriattoo wird der Körperschmuck der Zukunft, es bleibt
bis ans Lebensende gültig und wird Ihnen durch viele dumme Situationen helfen.
Und: Schrift welkt nicht wie Rosen oder Adler und man kann die ja auch sehr
nett gestalten, auch passend, Geburtsort Berlin in so einer flotten, heiteren
Schrift und Geburtsort München in so einer
oberbayerisch-spiessigen-rückständigen.
Also ab ins Studio!
Aber denken Sie dran: Studios, die zu billig sind oder sich in Kellerräumen, Dachböden, in den Hinterzimmern von Dönerbuden, Eisdielen oder öffentlichen WCs befinden, sind nicht seriös.
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