Montag, 31. August 2015

Ich will nicht geduzt werden - wir haben keine Schweine gehütet

Von einer unsäglichen Lust auf einen Kaffee übermannt, betrete ich einen Ami-Kaffeeladen in Oberhausen, nennen wir ihn mal zur Tarnung STURBACK®, und bestelle einen doppelten Espresso.
„Möchtest du schwache, mittlere oder starke Röstung?“
„Starke, und ich möchte gesiezt werden.“
Auf dem Gesicht der Barrista erscheint ein kleines Zucken, dann fährt sie aber unbehelligt fort:
„Möchtest du arabische oder afrikanische Bohnen?“
„Arabische, und bitte sagen Sie Sie zur mir.“
Wieder das Zucken, dann die Frage:
„Möchtest du den Espresso für hier oder to-go?“
„Ich möchte ihn für hier und ICH MÖCHTE GESIEZT WERDEN!“
Das Zucken im Barristagesicht verschwindet und macht einer ausgewachsenen Lähmung Platz:
„Das geht nicht, das ist gegen die STURBACK-Marketingstrategie.“
Ich frage süffisant, ob es nicht eine gute Marketingstrategie wäre, Kundenwünsche zu erfüllen? Das täten sie ja auch, entgegnet mir die Barrista, wenn ich zum Beispiel ins Internet wollte oder ein Glas Leitungswasser, wenn ich ein Spielzeug für mein Kind oder eine Tageszeitung wollte, all das sei kein Problem. Ich erwidere, dass ich keinen Bedarf nach Internet, Wasser, Spielzeug oder dem Tagblatt Rhein-Ruhr hätte und mein Wunsch eben sei, gesiezt zu werden.
„Nun, ALLE Wünsche erfüllen wir natürlich nicht.“
Die gute Frau sagt das in einem Ton, dass mir klar wird, mein Siezwunsch steht für sie auf einer Stufe mit irgendwelchen Obszönitäten. Als hätte ich sie gefragt, ob sie mit mir nackt duschen würde oder mich oral befriedigen. (Wobei das Siezen für mich ja schon eine mündliche Befriedigung darstellen würde.)
„Wissen Sie was, wir lassen das mit dem Kaffee. Es gibt in Oberhausen sicher noch einen zweiten Kaffeeladen.“

Wann hat diese hemmungslose Duzerei eigentlich angefangen?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich bin sehr für das Du bei Leuten, die ich kenne. Anderen, die einen früher einfach duzten, warf man entgegen, ob man eigentlich schon zusammen Schweine gehütet hätte? Und ich duze Menschen, mit denen ich schon Schweine hütete. Wobei „Schweine hüten“ hier für 1000000 Sachen stehen kann, angefangen von bescheuerten Matheklausuren über durchzechte Nächte bis zu Umzügen mit zu kleinen LKWs, von anstrengenden Proben über miserable Tourneequartiere bis zu nichtendenwollenden Sitzungen. Und mit den Barristas, mit den Kellnern, mit den Klamottenlädenleuten, mit den Jungspunds, die mir TRRÖLÖBÖ und BILBO und SITTOO und RAMSNU verkaufen (oder eher sagen, ob er oder sie in W13, F4 oder D11 liegt) habe ich eben nicht auf Mathe gelernt, keine Proben gemeistert und keine zu kleinen Umzugswagen beladen.

Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass ich Sie immer sieze?
Eben aus dem gleichen Grund: Wir haben noch keine Schweine zusammen gehütet. Einige von Ihnen kenne ich ja wirklich, und mit denen bin ich im Realleben auch per Du, eben weil wir schon Sachen erlebt haben, aber bei der schriftlichen Ansprache gilt für mich: Sie.

Warum meinen wir eigentlich, dass wahre Kooperation, wahre Zusammenarbeit, dass echte Zuneigung und echter Respekt nur mit dem Du funktionieren?
Die grosse Slawistin und Dostojewski-Übersetzerin Swetlana Geier empfing jede Woche einen Germanisten, mit dem sie ihr Wochenpensum durchging. Bei Tee und Gebäck diskutierten die zwei die jeweilige Sicht: Dies ist die beste Übertragung aus dem Russischen, aber geht das auch so im Deutschen? Was ist die dostojewkistisch beste Formulierung und was die deutschbeste Formulierung und bekommen wir das deckungsgleich? Die beiden älteren Herrschaften konnten dabei drei Stunden um einen Satz ringen.
Wenn das nicht Schweinehüten ist!
Aber die zwei blieben allezeit beim Sie – und sie waren ein unglaublich starkes Gespann.

Und mit den Barristas, Klamottisten und TRÖLÖBÖ-Verkäufern will ich ja auch gar kein Gespann sein, unsere Beziehung darf enden, bevor sie angefangen hat, mit dem Servieren des Latte Grande Lowfat, mit dem Bezahlen meines S-Smartshirts, mit dem Einladen von BILBO oder SITTOO. Wir hüten keine Schweine.

Gleich gegenüber von STURBACK® finde ich ein Oma-Café mit Teppichen und Ölbildern, eines mit Marmortischen und Flechtwerklehnen-Stühlen, eines, wo die Bedienungen (die sich nicht Barrista nennen) noch Häubchen tragen und man beim Kuchenbuffet noch einen Zettel bekommt. (Die über 50jährigen werden sich erinnern, es war so ein Doppel-Zettelblock, ein Zettel kam auf den Kuchenteller, einen nahm man mit und gab ihn der Bedienung.)
Dort trinke ich meinen doppelten Espresso und freue mich wie ein Schneekönig über das: „Hier, IHR Espresso bitte.“
 

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