Dienstag, 18. August 2015

Der Hilfsbereite Klugscheisser

Douglas Adams lässt im vierten Band seiner Anhalter-Trilogie (!!) Macht’s gut und Danke für den Fisch Wonko den Verständigen auftreten. Wonko hat ein sehr ungewöhnliches Haus, innen besteht es aus Gartenbeeten, Kies, Wasserspielen und Bänkchen, die Wände sind in rauem Aussenputz gehalten, aussen hängen Bilder und stehen Möbel und die Wände sind mit Tapeten beklebt. Wonko hat, wie er sagt, die Welt, die Menschheit, die Erde in eine Anstalt gesperrt und lebt nun selber AUSSERHALB DES IRRENHAUSES. Der Gedanke, dies zu tun, sich von der Blödheit der Menschheit auf immer zu trennen, kam ihm beim Lesen der Hinweise auf einer Packung Zahnstocher.  Dort wird genau erklärt, wie ein Benutzer oder eine Benutzerin die kleinen Holzstäbchen zu verwenden habe.

Etwas Vergleichbares habe ich jetzt in einem Reiseführer für die Stadt München gesehen. Dort wird dem Tourist und der Touristin die Handhabung eines Fahrkartenautomaten erklärt. Der – hier frei zitierte – Text, den man unter der Rubrik Transport und unter der Unterrubrik Öffentlicher Verkehr findet,  lautet folgendermassen:

Bitte wählen Sie ein Fahrtziel oder eine Tarifverbundszone. Im Sichtfenster auf Augenhöhe wird der zu zahlende Betrag angezeigt. Werfen Sie nun Münzen in den dafür vorgesehenen Schlitz. Der Betrag verringert sich, bis alles gezahlt ist und 0,00 im Sichtfenster erscheint. Dann wird der Fahrschein oder allenfalls das Restgeld im Ausgabefach ausgegeben.

Der Reiseführer scheint seine Leserinnen und Leser für ganz schön doof zu halten. Abgesehen davon, dass die unlösbare Aufgabe ja die Wahl des richtigen Fahrscheines ist (Zone 1 oder 2 oder 3 oder XXL oder doch GANZES TARIFGEBIET???), geht er wohl davon aus, dass noch niemand einen Automaten bedient hat. Die meisten haben aber ja schon irgendwann eine solche Kiste bedient, sei es einen Kaffee-, einen Park-, einen Schleckzeug- oder einen Gepäckaufbewahrungsautomaten. Natürlich, ganz gelegentlich verirren sich Aborigines in die Metropole, die dann ohne Hilfe hilflos wären, aber sind die nicht eh illiterat oder können zu mindestens kein Deutsch?

Wer glaubt wirklich, dass die im Fenster erscheinende Zahl eine Uhrzeit oder ein Datum ist? Wer versucht wirklich, in den Schlitz zusammengefaltete Scheine statt Münzen zu stopfen und wer kann, wenn beim Einwurf von 2 Euro die Schrift von 3,20 auf 1,20 sackt, die Korrelation nicht herstellen?
Wer ist wirklich so blöd?
Gehören die Leserinnen und Leser des München-Guides auch im Irrenhaus eingesperrt und müssten sie ihr Leben ausserhalb des Blickfeldes von Wonko fristen?

Darum geht es aber gar nicht.

Der Münchenführer möchte die Reisenden vor einer Spezies schützen, die ich als Hilfsbereite Klugscheisser bezeichne und mit HKS abkürze. Manchmal braucht man nämlich 1,2,3 oder 4 Sekunden um eine Sache anzusehen und eventuell auch das zu tun, was man als „try and error“ bezeichnet: Halt, so geht es nicht, aber so geht es. Hier kommt einem der HKS meistens zuvor. Bevor man begriffen hat, dass man Zone 2 benötigt, ist der HKS schon herbeigesprungen und hat die Taste gedrückt. Bevor man den Schlitz suchen konnte, hat der HKS einem die Münze aus der hand gewunden und eingeworfen. Bevor man den Aufreissfaden einer Packung orten konnte, hat einem der HKS das Plastik aus der Hand gerissen und geöffnet. Bevor man irgendetwas tun konnte, hat es der HKS erledigt. Er tut das IMMER mit dem Bewusstsein zu helfen, aber auch mit dem Bewusstsein der Klügere zu sein und IMMER, IMMER, IMMER mit einem hämischen Grinsen. Er oder sie reisst einem Flaschen, Dosen, Speisekarten, Wanderkarten, Handys und Tablets aus der Hand und macht es selber. Er oder sie entreisst Ihnen das Kochgerät und macht weiter, dabei ist es egal, dass sie die Speise schon 100mal gemacht haben und auch noch der Gastgeber sind. (So geschehen an meinem 50. Geburtstag)

Um es klar zu stellen: ich habe nix gegen Hilfsbereitschaft. Ich finde hilfsbereite Leute das Tollste von der Welt. Der HSK ist aber nun gerade nicht hilfsbereit im engeren Sinne. Vor schwerem Tragen, sperrigen Sachen, vor Schweiss, Blut, Tränen und Anstrengung hütet er sich wie der Teufel vor dem Weihwasser. Er wird gerade nicht die schwere Kommode beim Umzug tragen, er wird leichte Tüten nehmen, aber den Trägern nebenbei erklären, wie man es zu machen hat. Er wird der alten Frau nicht ihre Einkäufe nach Hause bringen, aber er wird erläutern, wie es ergonomisch am geschicktesten geht. Wenn es um Hilfe geht, die Mühe macht, ist der HKS weit, weit, weit weg.

So wie Wonko in seinem Haus und das Beruhigende ist: Auch die HKS sind INNERHALB DES IRRENHAUSES.

 

    

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