Freitag, 14. August 2015

Wir machen Kinderangebote, weil wir keine Kinder mögen!

Liebe Eltern,

ist es nicht toll, wie viele Angebote es für ihre Kleinen gibt? Da gibt es Kindertheater und Familienoper, da gibt es Theaterpädagogik, Kinderkonzerte, Stillkonzerte, Babykonzerte und Kuschelkonzerte. Es gibt Kindermuseen und Kinderausstellungen, es gibt Museumspädagogik und Babyführungen, Stillführungen und Kuschelführungen.
Da gibt es kinderfreundliche Hotels, babyfreundliche Schwimmbäder, da gibt es Familienferien, Familientouren, Familienausflüge, da gibt es Familienabteile in den Zügen und Babyzonen in den Kaufhäusern.

Ihre Kleinen dürfen also Mozart, Schubert und Brahms hören, während sie Da-da-da-da machen und ein wenig herumlaufen oder vielleicht auch einfach schlafen. Ihre Kleinen können in den 40.000-Kugeln-Pool springen, wenn sie keine Lust mehr haben, zwischen BOEGEBOEG (Schrank, braun,  3 Türen, 195.-) oder ROMSNUN (Schrank, schwarz, 4 Türen, 215.-) zu entscheiden. Ihre Kleinen bekommen einen Rothko oder Pollock nicht nur erklärt, sie dürfen ihn auch nachmalen und im Künstlerkittel schrecklich wild mit Farbe panschen und sich ganz wie Mark oder Jackson fühlen. (Allerdings ohne Alk und Joint). Und im Familienabteil darf Mäximiliän (der Vater anglisiert das gewöhnliche Maximilian) lange Diskussionen beginnen, ob er den ALNATURA-Dinkelbrei überhaupt will, ob er ihn jetzt will und ob es nicht Alternativen zu ALNATURA-Dinkelbrei gegeben hätte. Und er darf laut diskutieren und wild diskutieren und notfalls die Dinkelpampe ein wenig gegen die Wand werfen.

Liebe Eltern!
Verfallen Sie jetzt aber bitte, bitte nicht einem Denkfehler!
Der Denkfehler ist nämlich, dass Sie meinen könnten, wir alle seien so kinderlieb.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind nicht kinderlieb, wir mögen Ihre Kleinen nicht, wir finden sie weder putzig noch niedlich.
Wir haben alle die Familienkonzerte, Kinderopern, alle die Kuschelmuseen, alle die Babyzonen und Familienabteile erfunden, weil wir ihre Kleinen eben da und nicht woanders haben wollen!
Wenn Sie nun also überlegen: „Also das Schmusekonzert hat Schantall ja ganz gut gefallen, nehmen wir sie doch auch in Mahler VIII mit…“, dann ist das der blöde Denkfehler. Wenn Sie meinen, ihre herzigen Sprösslinge sind jetzt durch die Museumsaction richtig bilderbegeistert und stehen auch fünf Stunden Louvre durch, dann ist das auch der Denkfehler. Und wenn die Familie mit Mäximiliän (es gab sie wirklich, laut Bericht meines Erzengels) im Ruheabteil des ICE sitzt, weil ja die Bahn und alle Reisenden kinderlieb sind (das beweisen ja die Familienabteile) und alle, aber auch alle Reisende die Diskussion „Alnatura-Dinkelbrei: Ja oder Nein?“ live mitbekommen, dann ist das eine besonders fiese Form des Denkfehlers.

Wir machen so viel für die Kleinen, damit wir auch etwas für uns machen können.

Was nicht heissen soll, dass Kinder grundsätzlich von allem verbannt sind. Ich sass vor einigen Jahren hinter einer Fünfjährigen in Tristan und Isolde, was nun auch für gestandene Ohren happige Kost ist, und ich fragte mich, ob das wohl gut gehen würde. Es ging gut: Das Mädchen lauschte drei Akte lang völlig gebannt den Liebesschwüren, Liebestränken, Liebesduetten und Liebestoden.
Ich selbst war mit 4 zum ersten Male in den Staatsgalerie Stuttgart und lernte als erste, allererste Sache: Bilder nicht anfassen, es geht vielleicht der Alarm los. Und obwohl ich damals bis zur absoluten Grenze trotzte, habe ich das nie ausprobiert.

Jetzt fragen Sie mich, liebe Eltern, wie Sie das wissen können, wie ihr Sprössling reagiert, sprich ob Schantall auch beim Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis Dadadadadada macht und herumläuft, ob Hans-Jürgen nach fünf Stunden Louvre anfängt, die Bilder dort zu „verschönern“ (durfte übrigens nicht einmal Renoir bei seinen eigenen, er erhielt Hausverbot, als man ihn erwischte -wenn die Story stimmt) und ob Mäximiliän seine Dinkel-Klagerede beginnt oder eben nicht.
Du liebe Zeit!
Wenn ich davon ausgehe, dass ihre Sprösslinge auf natürliche Art entstanden sind, also Mama und Papa machen Liebe, und dann bekommt die Mami ein Baby, dann kennen sie Ihre Kinder doch schon eine Weile, nicht? Sie sollten das einschätzen können.

Liebe Eltern, ist es nicht toll, was Ihren herzigen Kleinen heutzutage alles geboten wird, Kinderkonzerte und Kuschelmalen, 4000000000-Kugeln-Pool und family zone? Nutzen Sie es. Und halten Sie sich von allen anderen Sachen fern.
Dies ist übrigens auch nur eine Sache der Fairness: Ich könnte mir zwar ein Ticket für das nächste Still-Konzert holen, aber stellen Sie sich vor, ich würde hingehen, als Mann und ohne Säugling. Man würde mir doch hemmungslosen Busenfetischismus oder Pädophilie oder beides vorwerfen.

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