Donnerstag, 6. August 2015

Nolde in Lindau: Viel BLAU, viel Nazi

Jedes Jahr um die Bregenzer Festspielzeit rüstet auch das Oberbayrische Lindau kulturell auf: Im Stadtmuseum wird eine grosse Ausstellung organisiert, nach der Devise „Bekannter Name – viele Besucher“, also keineswegs wie das Kunsthaus Bregenz, das dieses Jahr eine unglaublich spannende Retrospektive der Malerin Joan Mitchell präsentierte, nein, in Lindau hält man sich an Leute, die auch Kleinfritz und Kleinliese kennen. Zu der Ausstellung wird jeweils eine Farbe ausgesucht, die einen dann in der ganzen Stadt nervt, parallel dazu wird auch der wunderschöne Renaissance-Neptun-Brunnen künstlerisch verschandelt.

Im letzten Jahr war dies Miró und ROT, ROT waren die Plakate und Flyer, ROT war der Teppich, der zum alten Stadthaus führte, ROT waren die überlebensgrossen, affenhässlichen Blumenpötte, die man auf Platz und rund um den Meeresherrscher platziert hatte.

Dieses Jahr war es Nolde und BLAU. Augenschmerzend BLAU waren die Hinweise, Werbetafeln und Aushänge, BLAU war die Treppe, BLAU waren die Strandkörbe, die den Sand zierten, den man um das Renaissancekunstwerk gestreut hatte – für diese Massnahme gehört ein Kurator schlicht und einfach geköpft, zumal es nichts, gar nichts mit Nolde zu tun hat, ausser das Stichwort norddeutsch, aber na ja.

Die Retrospektive stand unter dem Motto Der ungezähmte Strom der Farbe, was natürlich auch schon ein Schwachsinn ist, denn ich erwarte ja von einem Maler, dass er die Farbe zähmt, ungezähmte Farbe kriegt auch meine Katze hin, wenn sie einen Lacktopf umschmeisst oder jedes Kind, wenn man ihm genügend Zeit und Material lässt. Spannend war aber, was da als Text unter der Headline Der ungezähmte Strom der Farbe stand: Auch auf die widersprüchliche Rolle des Künstlers im Dritten Reich – er sei verfemt gewesen, obwohl er gewisse Sympathien gehegt habe – werde eingegangen.

Nun läuteten bei mir ganz leise die Alarmglocken (ja, auch Alarmglocken können leise läuten) und ich ging ein wenig an die Recherche, vor allem, weil ich neulich in den Raddatz-Tagebüchern (Pflichtlektüre, liebe Leserinnen und Leser!) schon sehr viel sehr Übles über den guten Emil gelesen hatte. Die Faktenlage ist relativ klar: Herr N. war glühender Nazi, NSDAP-Mitglied ab 1934, Verfechter einer germanisch-nordischen Kunst, er war Antisemit, Hetzer z.B. gegen Liebermann (zu dem übrigens die Strandkörbe gut gepasst hätten) und er war ein Protegé von Goebbels und Speer. Einen kleinen Schönheitsfleck gab es allerdings, weil der Führer die Bilder nicht mochte, er fand sie zu abstrakt, zu wild, zu klecksig, mit einem Wort: entartet. So bekam der gute Emil nicht, was er sich so sehnlichst wünschte: Die bedingungslose Liebe Adolf Hitlers.

Nach dem Krieg konnte man dann die Geschichte natürlich einfach um 180° drehen: Der arme Herr N. wurde zum Entartet-Verfemten, zum künstlerisch Verfolgten, damit wurde verhindert, dass seine Bilder in die Keller gekommen wären, wo sie hingehören, und er konnte weiter malen.
 
Es gab viele, zu viele solche Biografien, 1945 wimmelte es ja geradezu von Verfemten, Verfolgten, man konnte die Schar der Leute, die sichtbar oder unsichtbar im Widerstand gewesen waren, gar nicht abzählen. Alle, alle, alle hatte Hitler nicht gemocht, geliebt, er hatte sie beschimpft und gemieden, und dass sie selber um seine Liebe gebuhlt hatten, konnte man ja getrost verschweigen. Ich habe einen abstrusen Fall in der eigenen Verwandtschaft: Ca. 1936 bot sich in der Familie meiner Mutter das folgende Bild: Grosspapi deutschnationaler Exmilitär, Mutter Teenie, Grossmami glühende Nazi. Als nun die Oma in die NSDAP eintreten wollte, meinte der Opa, dass er als Beamter drin sein müsse und die Tochter zwangsweise im BDM, und 2 von 3 sei jetzt wahrlich genug und er würde es ihr schlicht und einfach verbieten. So trug 1945 die einzige Hitlerianerin der family eine makelos weisse Weste.

Ich habe mich lange gefragt, angesichts dieser Historien, angesichts auch des widerlich-permanenten BLAUS, angesichts der Strandkörbe, die mich so nervten (unser Hotelfenster geht direkt auf den Neptunbrunnen), ich habe mich gefragt, ob ich mir die Ausstellung antun sollte oder nicht.
Ich hatte Glück, das Wetter war zu schön, und so blieb zwischen Frühstück und Festspielhaus (Contes d'Hoffmann) bzw. zwischen Zmorge und Seebühne (Turandot) nur Zeit für die herrlichen Strandbäder, immerhin 30° im Schatten und einen der schönsten Seen in Schnupperweite, und für Joan Mitchell.

Mitchell, die übrigens mit der Sängerin Joni Mitchell NICHT verwandt ist, hat Bilder gemalt, die nun wirklich einen ungezähmten Strom der Farbe zeigen, das ist wunderbar wild und explosiv und kraftvoll, die Österreicher hätten sich aber ein so saublöden Titel nie einfallen lassen, denn die Malerin hat jedes auch noch so heftige Aufknallen des Pinsels klar gesetzt. Überhaupt: Schöne Plakate mit einem Foto der Künstlerin mit Hund, kein ROT oder BLAU (ich schaudere: Kommt nächstes Jahr GELB? Oder GRÜN?), keine Scheusslichkeitspötte und keine deplatzierten Strandkörbe. Manchmal sollte man halt als Oberbayer über die Grenze fahren und von den doch etwas kultivierteren Nachbarn lernen.

Auf jeden Fall habe ich nun ein Lebensziel: Viel Kohle machen, alle Noldes aufkaufen und dann kommen sie in den Keller.

P.S. Vielleicht brennt Ihnen nun eine Frage auf der Seele, die ich unbedingt beantworten will: Ich habe mir keine Badehose gekauft. (s. Post vom 22.6.2015)   

      

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