Freitag, 1. September 2023

Ich möchte uncool bleiben

Mein Versuch, nicht hip, nicht angesagt und nicht in zu sein, hat einen weiteren herben Rückschlag erlitten.

In einer Wurfzeitschrift finde ich einen Artikel, der drei Städte anpreist. Diese drei Orte seien wohl bei den meisten Menschen nicht auf der «Muss-man-unbedingt-gesehen-haben»-Liste, gehörten aber zu den schönsten Plätzen und: Wohl dem, der schon dort war!
Da ich kein absoluter Globetrotter und kein Total-Weltreisender bin, gehe ich nicht davon aus, dass ich diese Orte kenne. Umso erstaunter bin ich, als ich die drei Namen lese:

Ostuni
Ronda
Dordrecht

Ostuni ist eine wunderschöne Weisse-Hügel-Stadt in Apulien (Provinz Brindisi), die mit ihrem Gewirr von Gassen und Gässchen jeden sofort bezaubert. Da ich dreimal Ferien in Torre Canne (ebenfalls Provinz Brindisi) gemacht habe, war ich auch dreimal in Ostuni. Dass es drei Male waren, hat einen speziellen Grund: Von Torre Canne aus ist Ostuni der nächste Flecken mit einem Markttag. Und wer schon einmal einen italienischen Markt besucht hat, der tut es immer wieder. Die überbordenden Gemüsestände, die Kleiderkarren, wo man für einen Spottpreis schicke Hemden bekommt und die Felder voller Gänse und Hühner mit ohrenbetäubendem Lärm, das alles ist einfach wundervoll. Daher dreimal die Fahrt ins weisse Bergstädtlein.

Ronda habe ich nur einmal gesehen. Das liegt in Andalusien, aber wenn man zwei Wochen in Málaga residiert, dann kommen eben nicht nur Sevilla und Granada, sondern auch kleinere Orte wie Ronda dran; es liegt übrigens wie Ostuni auch irgendwie oben, aber nicht auf einem Berg, sondern auf einem Plateau, um das herum malerische Schluchten entstehen, Ronda ist so was wie ein Dichter-Mekka, von Rilke bis Hemingway gab sich hier die Literatenelite die Klinke in die Hand und der Prosper liess seine «Carmen» dort spielen – nein, erst die Oper spielt in Sevilla…

Dordrecht liegt in Zuid-Holland. Mehr muss ich dazu ja hoffentlich nicht sagen. Meine treuen Leserinnen und Leser kennen meine Schwäche für die Niederlande, und wenn nicht, dann empfehle ich die Posts «Holland 1» und «Holland 2» aus dem Jahr 2011 und die Beiträge «Mal wieder Holland (1)» und «Mal wieder Holland (2)». Wie oft ich bei meinen inzwischen über zwanzig Aufenthalten in Den Haag auch in Dordrecht war, kann ich beim besten Willen nicht mehr sagen. Es liegt 20 km südlich von Rotterdam und damit nur 30 Minuten weg, es waren mindestens 2 Male, vielleicht auch 3 oder 4.

Ostuni
Ronda
Dordrecht

Nun sitze ich da und raufe mir die Haare:
Ich will doch gerade nicht hip, nicht in sein, ich möchte nicht derjenige sein, Städte besucht, die ein «offizieller Geheimtipp» sind, ich möchte nicht der coole Typ sein, der alles richtig macht!
Ich bin – ich habe das oft erwähnt – Lehrer, und «uncool» ist für mich eines der grössten Komplimente, die meine Schülerinnen und Schüler für mich bereithalten.
Ich lese zum Beispiel noch richtige Bücher, oft auch von Autoren, die lange tot sind, die in so einer ganz komischen Sprache geschrieben haben, die «Manne» und «Türe» schreiben und noch den Genitiv richtig verwenden, und der Kommentar ist «wie uncool». Und ich bin stolz.
Und wenn wir es von Popmusik haben, dann sage ich ihnen, dass das grösste Lied aller Zeiten für mich «Suzanne» von Leonard Cohen ist, und wenn wir es dann abspielen, kommt ein Stöhnen und Ächzen und sie rufen «wie uncool». Und ich bin stolz.
Und wenn wir es dann vom Spielen und vom Gamen habe, erzähle ich ihnen, dass ich pro Tag zwei Patiencen lege, aber eben mit echten Karten und auf dem Tisch und nicht online und nicht auf dem Screen, und auch da ertönt ein «uncool, uncool, uncool».

Und eben auch bei den Städten war ich immer stolz, dass meine Reisen nicht in die hippen, angesagten Szene-Towns gingen, sondern daneben und dass ich mich dort richtig sauwohl fühlte und eine Menge erlebte, und alle riefen: «uncool».
Es war eben nicht das hippe, aufstrebende Liverpool, es war Nottingham, eben nicht Amsterdam, sondern Den Haag, es war nicht Hamburg, sondern Braunschweig, und in Dänemark war es jene Fischereistadt, zu der jeder Däne sagt: «Wie kann man nur in Esbjerg Ferien machen?»
Und nun das: Auf einen Schlag bin ich zum Hipster-Tourie avanciert und kann das ja nun auch gar nicht mehr ändern, denn ich WAR ja in Ostuni und Ronda und Dordrecht.

Daher jetzt ein Appell an die Redaktionen der Wurfzeitschriften: Bitte führen Sie in Ihren «Angesagt»-Spalten nicht die folgenden Dinge auf:
Bücher von klassischen Autoren lesen
«Suzanne» von Leonard Cohen
Patiencen mit echten Karten legen
Und, bitte, bitte, bitte, bitte, erklären Sie nicht Braunschweig, Esbjerg und Nottingham zu den drei nächsten Hip-Towns.

Ich möchte uncool bleiben.

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