Dienstag, 12. September 2023

Die Helfer, die meine Zeit brauchen

Bernhard Bär hat im Lotto gewonnen. Nicht so ein bisschen, sondern viel.
Richtig viel, 10 Millionen.
Also leistet er sich eine schlossähnliche Villa, jene Villa von 1878 mit dem grossen Park, die er immer bewundert hat und die zufällig gerade zum Verkauf steht. Nun braucht er natürlich, um so ein Anwesen zu betreiben, Personal. Er braucht ja Hilfe, braucht Unterstützung.
Und so stehen bald auf seiner Gehaltsliste:
Annemarie Müller, Gärtnerin
Hubert Hofmann, Koch
Emma Zürcher, Chauffeuse
Gerhard Reiner, Butler.

So weit, so gut.
Leider entwickelt sich alles nicht so, wie Bernhard Bär sich das gedacht hat.

Frau Müller ist eine begabte Gärtnerin, aber leider etwas hektisch. Sie schafft es in regelmässigen Abständen, sich zu schneiden, zu piksen, zu ritzen oder zu stechen. Und wenn sie sich geschnitten, gepikst, geritzt oder gestochen hat, gibt es einen grossen Schrei und es fliesst immer etwas Blut. Nun kann Bernhard, wenn Annemarie am Werkeln ist, nicht in Ruhe Zeitung lesen oder fernsehen, nein, seine Augen und Ohren sind auf den Garten (den Park!) gerichtet, in Erwartung, dass Frau Müller wieder in die Lage kommt, sich zu schneiden, zu piksen, zu ritzen oder zu stechen. Und dann braucht sie natürlich Erste Hilfe, braucht Mull und Pflaster, manchmal einen Krankenwagen und manchmal einfach ein bisschen Zuwendung.
Manchmal, denkt Bernhard Bär, wäre es einfacher, den Garten (den Park!) selber zu machen…

Hubert Hofmann hätte, wenn er im freien Gewerbe tätig wäre, 18 Gault-Millau-Punkte oder bei Michelin *****. Seine Küche ist innovativ, exzellent, sie ist frisch, gesund und in einem Masse lecker, das jeden Gaumen frohlocken lässt. Wenn…, wenn…, ja, wenn Hofmann sein Problem im Griff hat. Er hat nämlich das Problem, dass die diversen Spirituosen, der Cognac, der Whiskey und der Wein, alles, was er zum Kochen braucht, manchmal nicht im Topf, sondern in seiner Gurgel landet. Es ist sogar eher so, dass die diversen Spirituosen, der Cognac, der Whiskey und der Wein ihm helfen, seinen anstrengenden Alltag im Griff zu halten.
Und so muss Bernhard Bär immer wieder Auge und Ohr nicht nur im Park, sondern auch in der Küche haben und notfalls Hubert auch die diversen Spirituosen, den Cognac, den Whiskey und den Wein einfach wegnehmen…
Manchmal, denkt Bernhard Bär, wäre es einfacher, die Küche selber zu machen…

Emma Zürcher hat weder ein Alkoholproblem noch verletzt sie sich. Sie fährt gut, schnittig und schnell und bringt Bernhard, wohin er will.
Leider hat sie ein gewisses Problem mit Spielregeln. Geschwindigkeitsbegrenzung? Nicht für sie. Parkgebühren? Sollen andere zahlen. Einbahnstrassen? Gelten – ihrer Meinung nach – nicht für den Cadillac und den Mercedes von Herrn Bär. Überhaupt scheint sie die Verkehrsregeln nur am Tag ihrer theoretischen Prüfung gewusst und dann vergessen zu haben. 
Und der Herr Bär verbringt mindestens eine Stunde am Tag, um die riesige Korrespondenz mit dem örtlichen Polizeirevier zu bewältigen.
Manchmal, denkt Bernhard Bär, wäre es einfacher, selber zu fahren…

Und der Butler?
Gerhard Reiner stiehlt. Nicht schlimm, aber immer ein bisschen. Wenn er das Gelände verlässt, hat er immer etwas in der Tasche, ein paar Briefmarken, ein Väschen, ein paar Münzen, ein silberner Löffel, einen goldenen Ring, ein kleines Porträt.
Und Bernhard Bär muss kontrollieren, ob ein paar Briefmarken, ein Väschen, ein paar Münzen, ein silberner Löffel, einen goldenen Ring, ein kleines Porträt fehlen. 
Auch hier wäre es eine Überlegung, Suppe und Brot sich selber aus der Küche zu holen.

So wie Bernhard Bär geht es uns mit den technischen Geräten. Telefon, Computer, Maschinen und Programme sollten uns ja helfen, unseren Alltag zu bewältigen, uns zu unterstützen, uns zu supporten. Stattdessen verbringen wir immer mehr Zeit, uns um die Dinge zu kümmern, die uns Zeit ersparen sollten.

Nach einer aktuellen Untersuchung verbringt jeder Mensch pro Woche im Schnitt
45 Minuten in Endlosschleifen, in die ihn eine App beim Registrieren schickt.
36 Minuten beim Setzen neuer Passwörter.
78 Minuten beim Recherchieren im Internet nach Gründen, warum etwas nicht funktioniert.
90 Minuten in Hotlines.
38 Minuten beim Herausfinden, welche Eingabe korrekt ist. 

Jede App preist sich damit an, dass sie mein Leben erleichtert.
Dabei ist jede App wie eine Gärtnerin, die ich ins Spital fahren muss, ein Koch, dem ich den Cognac wegnehmen muss, eine Chauffeuse, die mir nur Strafzettel beschert und ein Butler, den ich jeden Tag durchsuchen muss.
Daher überlege ich mir bei jeder App, ob ich sie brauche.

Gärtnerin, Chauffeuse, Butler und Koch habe ich eh nicht.

 

   

 

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