Freitag, 18. Oktober 2019

Frau Binger und Herr Guckel


Ich liebe Stadtbüchereien. Ich finde es einfach toll, an den Regalen vorbei zu schlendern, Bücher in die Hand zu nehmen und querzulesen, ohne dass eine Buchhändlerin mich mit Argusaugen beobachtet; ich finde es auch wunderschön, Bücher zu verstellen, natürlich nur Bücher, die eigentlich gar nicht mehr da sein sollten, so ist es ein fast heroischer Akt, Hans Grimms Volk ohne Raum mit der Signatur F 6734 zwischen X 4555 und X 4556 zu stellen, es wird dort auf immer verloren sein. Ich liebe Stadtbüchereien, in meiner Jugend gingen meine Mama und ich einmal pro Woche in die Kinderbücherei und suchten Bücher aus, die sie mir dann vorlas; ich liebe Stadtbüchereien, und wenn es dann noch Gebäude aus den 50er Jahren sind, ist es der Himmel auf Erden.

Aus diesem Grund beschliesse ich in Hemmen an der Hemme, als erstes nicht die Schlosiuskirche (16. Jahrhundert, Schnitzaltar von Dulf Dolbein d. Ä.) oder die Städtische Galerie (Ausstellung Wolken und Wind – Impressionismus an der Hemme), sondern die 1954 von Stadtbaumeister Fritz Luppers errichtete Stadtbibliothek zu besuchen.
Wohin wendet sich der stadtbüchereiensuchende Tourist? Natürlich geht er in die Tourist Information, wo ihn eine Frau strahlend begrüsst, die ihr Namensschild als Beatrice Binger vorstellt. Ich schildere mein Anliegen und bekomme sofort eine Information: «Sie suchen Bücher? Da kann ich Ihnen die Buchhandlung Rottenberg oder das Büchercafé Schlossberg empfehlen, gute Auswahl, nette Bedienung, und sie bestellen auch alles für Sie.» «Sie haben mich, glaube ich, missverstanden. Ich möchte in die Stadtbücherei Hemmen, die 1954 von Luppers erbaute Stadtbücherei.» «Ja, ja, die ist im Matthiasquartier, aber wenn Sie dort sind, wollen Sie bestimmt etwas essen, ich empfehle das Ristorante Roma, sehr gute Antipasti und eine Lasagne, wie Sie sie noch nie gegessen haben, oder den Goldenen Löwen, gut bürgerliche Küche, aber auf höchstem Niveau, die Spargelcremesuppe! Ach ja, und natürlich das Morten’s, etwas hip, etwas studentisch, dort vor allem Tapas und Sandwiches zu sehr humanen Preisen.» «Ich will nichts essen! Ich will in die Bücherei! Mit welchem Bus komme ich da hin?» «Mit der 13, Richtung Badeparadies. Übrigens: Das Badeparadies hat heute von 12.00 bis 22.00 geöffnet, 14 Rutschbahnen, Sprungturm 15 Meter, Saunalandschaft mit Hamam, Finnischer Sauna, Whirlpool…»
«ICH WILL IN DIE BÜCHEREI!!!!!!!!!!!!!!!!!!! ICH WILL NICHT INS BADEPARADIES!!!!!!!!!!!! ICH WILL IN KEINE BUCHHANDLUNG UND IN KEIN RESTAURANT!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! ICH WILL IN DIE BÜCHEREI!!!!!!!!!!!!!!!»

Mein Geschrei hat einen Kollegen hervorgelockt, den sein Namensschild als Gerhard Guckel ausweist. Er fragt nach meinem Geschrei und meinen Wünschen, als ich sie ihm schildere antwortet er trocken: «Sie nehmen den Bus 13 Richtung Badeparadies, Haltestelle Mumpfplatz, dann in Fahrtrichtung weiter und die erste rechts, dann stehen Sie praktisch davor.»
Na also – geht doch.

Auf der Fahrt zur Bibliothek denke ich darüber nach, was bei Frau Binger falsch läuft. Aber ich komme leicht drauf: Sie bekommt Provisionen (oder nennen wir es Bestechung?) von allen Gewerbetreibenden und in ihrem Kopf laufen dann gewisse Algorithmen ab:
Bücherei ---- Buchhandlung empfehlen, Botanischer Garten ---- Blumenladen empfehlen, Schlosiuskirche ---- Devotionalienhandlung Schmidt empfehlen. Matthiasquartier ---- Roma, Goldener Löwe und Morten’s empfehlen, Luziusquartier ---- Café Pöller empfehlen.
Frau Binger funktioniert wie die Schweinesuchmaschinen, und damit meine ich nicht die Suchmaschinen, mit denen man Schweine sucht, sondern Suchmaschinen, die sich wie Schweine verhalten. Würde man hier nach der Stadtbibliothek Hemme an der Hemme suchen, würde man zunächst booking.com mit Hemmer Hotels bekommen, dann ebay, dann noch 10 andere Schrottseiten und auf Seite 2 vielleicht (!), eventuell (!) die Bücherei.

Im Grunde genommen sind wir wieder in die Zeit VOR der Telefonselbstwahl zurückgeschliddert. Von Almon Strowger, dem Erfinder der Selbstwahl, heisst es, «er sei motiviert worden, eine automatisch arbeitende Telefonvermittlung zu entwickeln, da er Schwierigkeiten mit dem Personal der damals üblichen Handvermittlung hatte. Er war davon überzeugt, dass das Vermittlungspersonal der örtlichen Vermittlungsstelle Gespräche bevorzugt an seinen Konkurrenten leitete. Er hatte auch den Verdacht, dass die Vermittler die Auswahl des Bestattungsunternehmers durch die Telefonkunden beeinflussen, wenn solche Dienste erfordert waren. Dieser Verdacht hatte seinen Ursprung in einem Vorfall in Topeka, als ein Freund starb und die Familie einen Konkurrenten kontaktierte.» (Wikipedia)

Machen Sie mal den Test und probieren Sie verschiedene Suchmaschinen aus, es gibt wenige die Ihnen wirklich beim Suchen helfen und damit auch den Namen Suchmaschine verdienen.

Die Stadtbibliothek Hemmen war übrigens eine Wucht, ich habe 5 schöne Stunden  in dem 50er Jahre-Bau verbracht.
Währenddessen habe ich Und Jimmy ging zum Regenbogen von J. M. Simmel (K 89) zwischen A 123 und A 124, Die christliche Familie von Larry Christenson (C 211) zwischen Z 77 und Z 78 und Nichts als die Wahrheit (K 99) von Dieter Bohlen zwischen Y 56 und 57 gestellt.  

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