Ich glaube, ich habe den Önologen
unrecht getan. Sie sind bei weitem nicht die Schlimmsten, was Sprache
anbelangt. Und damit meine ich nicht falsche, grammatikalisch oder
orthografisch unkorrekte Sprache, sondern eine aufgeblasene Quatschsprache, die
einem die Haare zu Berge stehen lässt.
Die Künstler(innen), Kurator(inn)en
und Museumsleute, die Galerist(inn)en und Vernissagenredner(innen) schlagen die
Weinmenschen um Längen.
Der leider schon lange verstorbene
Musikwissenschaftler Hans Heinrich Eggebrecht sagte einmal in einem Seminar zum
Thema Musikästhetik über wiederentdeckte Kompositionen: „Es gibt keine sinnlose
Musik, Musik hat immer Sinn, aber es gibt überflüssige Musik.“ Eggebrecht
teilte – nicht ganz ernst gemeint – die Musik in E-, U- und Ü-Musik ein.
So kann man bei gewissen Texten auch
von Ü-Texten sprechen, sie sind korrekt, sie machen (in sich) Sinn, aber sie
sind Ü-Texte in einer Ü-Sprache.
Wollen Sie ein Beispiel?
Der in Berlin lebende Künstler Armando
Londoño malt schöne Bilder, bunte Bilder mit Flächen in Rot, Grün und Gelb,
auch Grün und natürlich Schwarz, Bilder, die allen gefallen, aber auch
niemandem wehtun. In jeder Arztpraxis und in jeder Bankenfiliale würden sie
sich nicht schlecht machen. Auf dem Flyer zu einer Ausstellung im Kreuzberger
Kunstraum La Girafe schreibt Londoño das Folgende:
In meiner Arbeit spielt die Idee des Aufbauens und des
wieder Abbauens des Gebauten eine zentrale Rolle. Durch die Verwendung von
alternierenden Strukturen versuche ich, eine physische Struktur zu erhalten,
die parallel und unabhängig von dem mit dem Pigment gebauten Bild verläuft, das
natürlich seine eigene imaginative Konstruktion schafft. Die Duplizität
der Strukturen schafft eine Atmosphäre des Privaten, in der das auf einer
Unterlage geschaffene Bild über sich selbst reflektiert, während es in einem
intimen Prozess sein strukturelles Skelett zeigt. Zu dieser strukturellen
Dualität kommt hinzu eine referenzielle Vielfältigkeit, die sich aus den in
jeder Arbeit verwendeten ästhetischen Andeutungen
und Anspielungen ergibt, wobei der Abstractexpressionismus, der
Neoplastizismus und andere monumentale Strömungen simuliert werden
und auf sie Bezug genommen wird. Doch das Attraktivste an meiner Arbeit ist ihre eminente
Komplexität, die sie nicht zu konzeptioneller Rhetorik werden lässt. Ganz im
Gegenteil: Die theoretische Klarheit überrascht und bestätigt wiederum die
unbestreitbare visuelle Kapazität, in der sich die Spannung des modernen und
globalen soziopolitischen Lebens wiederspiegelt.
Nein, nein, liebe Leserin und lieber Leser, das habe ich
jetzt nicht erfunden, das könnte ich gar nicht so schön erdichten und erfinden,
erlügen und ermogeln, das ist wirkliche Realität, das ist so wahr wie das Zitat
von Eggebrecht!
Haben Sie eigentlich irgendetwas verstanden? Ich glaube
vage zu erkennen, was er meint.
Nehmen wir uns doch zwei Stellen vor:
eine physische Struktur zu erhalten, die
parallel und unabhängig von dem mit dem Pigment gebauten Bild verläuft
Ist das nicht eigentlich bei jedem Bild so?
Sehen wir nicht bei jedem Betrachten über den Bildrand hinaus und denken uns
eine Dreidimensionalität? Diese „physische Struktur“ entdecke ich bei jeder
Barocklandschaft wie bei jedem Picasso, bei jedem Impressionisten wie bei jedem
Warhol, das ist ja der Grund, warum wir ins Museum gehen und nicht die Bilder
im www anschauen.
referenzielle Vielfältigkeit, die sich aus
den in jeder Arbeit verwendeten ästhetischen Andeutungen
und Anspielungen ergibt
Ein schöner Euphemismus für: Meine Werke sind
epigonal. Was sie ja auch sind, jedes Bild von Londoño meint man schon einmal
gesehen zu haben.
Haben Sie den Text, den überflüssigen Text,
den Ü-Text verstanden?
Nein?
Nein??
Vielleicht geht es gar nicht darum,
vielleicht geht es darum, den Leser einfach zuzuschwallen und ihm damit zu
zeigen, dass man selber so viel weiss, so viel klüger ist, dass man so eine
Kapazität ist, dass der oder die andere einfach zu schweigen hat.
Ich habe oben geschrieben:
Die Künstler(innen), Kurator(inn)en
und Museumsleute, die Galerist(inn)en und Vernissagenredner(innen) schlagen die
Weinmenschen um Längen.
Wahrscheinlich ist das zwar politisch
überaus korrekt, aber falsch.
So muss es heissen:
Die Künstler(innen), Kurator(inn)en
und Museumsleute, die Galerist(inn)en und Vernissagenredner(innen) schlagen die
Weinmenschen um Längen.
Denn das bedingungslose Losschwafeln, der
pseudowissenschaftliche Unsinn, der Ü-Text ist doch eigentlich immer noch eine
Männerdomäne.
P.S.
Es ist übrigens doch auch noch ein
Rote-Linien-Fehler im Ü-Text: Abstractexpressionismus heisst Abstrakter
Expressionismus.
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