Freitag, 11. Oktober 2019

Galeristenquatsch


Ich glaube, ich habe den Önologen unrecht getan. Sie sind bei weitem nicht die Schlimmsten, was Sprache anbelangt. Und damit meine ich nicht falsche, grammatikalisch oder orthografisch unkorrekte Sprache, sondern eine aufgeblasene Quatschsprache, die einem die Haare zu Berge stehen lässt.
Die Künstler(innen), Kurator(inn)en und Museumsleute, die Galerist(inn)en und Vernissagenredner(innen) schlagen die Weinmenschen um Längen.
Der leider schon lange verstorbene Musikwissenschaftler Hans Heinrich Eggebrecht sagte einmal in einem Seminar zum Thema Musikästhetik über wiederentdeckte Kompositionen: „Es gibt keine sinnlose Musik, Musik hat immer Sinn, aber es gibt überflüssige Musik.“ Eggebrecht teilte – nicht ganz ernst gemeint – die Musik in E-, U- und Ü-Musik ein.
So kann man bei gewissen Texten auch von Ü-Texten sprechen, sie sind korrekt, sie machen (in sich) Sinn, aber sie sind Ü-Texte in einer Ü-Sprache.

Wollen Sie ein Beispiel?
Der in Berlin lebende Künstler Armando Londoño malt schöne Bilder, bunte Bilder mit Flächen in Rot, Grün und Gelb, auch Grün und natürlich Schwarz, Bilder, die allen gefallen, aber auch niemandem wehtun. In jeder Arztpraxis und in jeder Bankenfiliale würden sie sich nicht schlecht machen. Auf dem Flyer zu einer Ausstellung im Kreuzberger Kunstraum La Girafe schreibt Londoño das Folgende:

In meiner Arbeit spielt die Idee des Aufbauens und des wieder Abbauens des Gebauten eine zentrale Rolle. Durch die Verwendung von alternierenden Strukturen versuche ich, eine physische Struktur zu erhalten, die parallel und unabhängig von dem mit dem Pigment gebauten Bild verläuft, das natürlich seine eigene imaginative Konstruktion schafft. Die Duplizität der Strukturen schafft eine Atmosphäre des Privaten, in der das auf einer Unterlage geschaffene Bild über sich selbst reflektiert, während es in einem intimen Prozess sein strukturelles Skelett zeigt. Zu dieser strukturellen Dualität kommt hinzu eine referenzielle Vielfältigkeit, die sich aus den in jeder Arbeit verwendeten ästhetischen Andeutungen und Anspielungen ergibt, wobei der Abstractexpressionismus, der Neoplastizismus und andere monumentale Strömungen simuliert werden und auf sie Bezug genommen wird.  Doch das Attraktivste an meiner Arbeit ist ihre eminente Komplexität, die sie nicht zu konzeptioneller Rhetorik werden lässt. Ganz im Gegenteil: Die theoretische Klarheit überrascht und bestätigt wiederum die unbestreitbare visuelle Kapazität, in der sich die Spannung des modernen und globalen soziopolitischen Lebens wiederspiegelt.    


Nein, nein, liebe Leserin und lieber Leser, das habe ich jetzt nicht erfunden, das könnte ich gar nicht so schön erdichten und erfinden, erlügen und ermogeln, das ist wirkliche Realität, das ist so wahr wie das Zitat von Eggebrecht!

Haben Sie eigentlich irgendetwas verstanden? Ich glaube vage zu erkennen, was er meint.
Nehmen wir uns doch zwei Stellen vor:


eine physische Struktur zu erhalten, die parallel und unabhängig von dem mit dem Pigment gebauten Bild verläuft
Ist das nicht eigentlich bei jedem Bild so? Sehen wir nicht bei jedem Betrachten über den Bildrand hinaus und denken uns eine Dreidimensionalität? Diese „physische Struktur“ entdecke ich bei jeder Barocklandschaft wie bei jedem Picasso, bei jedem Impressionisten wie bei jedem Warhol, das ist ja der Grund, warum wir ins Museum gehen und nicht die Bilder im www anschauen.


referenzielle Vielfältigkeit, die sich aus den in jeder Arbeit verwendeten ästhetischen Andeutungen und Anspielungen ergibt


Ein schöner Euphemismus für: Meine Werke sind epigonal. Was sie ja auch sind, jedes Bild von Londoño meint man schon einmal gesehen zu haben.


Haben Sie den Text, den überflüssigen Text, den Ü-Text verstanden?
Nein?
Nein??
Vielleicht geht es gar nicht darum, vielleicht geht es darum, den Leser einfach zuzuschwallen und ihm damit zu zeigen, dass man selber so viel weiss, so viel klüger ist, dass man so eine Kapazität ist, dass der oder die andere einfach zu schweigen hat.

Ich habe oben geschrieben:
Die Künstler(innen), Kurator(inn)en und Museumsleute, die Galerist(inn)en und Vernissagenredner(innen) schlagen die Weinmenschen um Längen.
Wahrscheinlich ist das zwar politisch überaus korrekt, aber falsch.
So muss es heissen:
Die Künstler(innen), Kurator(inn)en und Museumsleute, die Galerist(inn)en und Vernissagenredner(innen) schlagen die Weinmenschen um Längen.
Denn das bedingungslose Losschwafeln, der pseudowissenschaftliche Unsinn, der Ü-Text ist doch eigentlich immer noch eine Männerdomäne. 


P.S.
Es ist übrigens doch auch noch ein Rote-Linien-Fehler im Ü-Text: Abstractexpressionismus heisst Abstrakter Expressionismus.















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