Dienstag, 22. Oktober 2019

Die heruntergekommenen Musen


Ich sitze vor meinem Laptop und mir fällt nichts ein.
Gar nichts.
Überhaupt nichts.
Soll ich mal wieder was über Trump schreiben? Ausgelatscht. Oder über die SPD? Gibt es die überhaupt noch? Soll ich mal wieder den Brexit thematisieren? Oder die AfD?
Ich sitze vor meinem Laptop und mir fällt nichts ein.
Gar nichts.
Überhaupt nichts.
«Na», sagt mein Kumpel neben mir, «hat dich die Muse nicht geküsst?» «Die Musen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren», sage ich, und beginne zu erzählen.

Neulich sass ich auch mal so wieder mit Schreibhemmung und ohne Inspiration, so düster und dumpf am Schreibtisch, da dachte ich, ich rufe mal die Muse an, und zwar im Sinne von «mit der Stimme zu einer Gottheit flehen» und nicht von «telefonieren». Als ich aber dann Luft holen wollte, um meine Stimme zu erheben, erschien auf einmal eine Telefonnummer auf meinem Laptop: 0800 567 3418765 (30 ct/Min.) Also so was! Jetzt ist ein Musen-Anruf nun doch ein Musen-Telefonat, und gratis ist es auch nicht. Ich wähle die Nummer und nach 10 Minuten Warteschleife (…bis dahin ist Ihr Anruf kostenlos…) meldete sich Thalia. Glück gehabt! Als Muse der Komödie schien sie mir genau die Richtige. «Hallo Thalia», säuselte ich, «kannst du kommen und mich küssen?» «Mmmmm, du schreibst ja eher so politisch, so gesellschaftlich, das ist Geschichtsschreibung, gehört ins Ressort von Clio.» «Dann hol mir mal bitte Clio an den Apparat.»
Clio hielt sich dann aber auch für nicht zuständig, meine Themen, Brexit, AfD, Klima, SPD, usw., usw., usw. seien doch nun wirklich Tragödien und fielen damit ins Gebiet von Melpomene.
Nun erkannte ich, was ich beim Betrachten alter Friese und Mosaiken schon längst hätte bemerken müssen:
Die Musen sind stinkefaul. Auf keiner Darstellung und auf keiner Abbildung tun sie irgendwas, sie räkeln sich nur malerisch um Apollo herum und lächeln süffisant. Nie ist eine irgendwas am Machen oder Arbeiten. Räkeln, Faulenzen, Lächeln, das ist ihr Metier.
«Hallo, ihr faulen Racker», brüllte ich jetzt in den Hörer, «eine von euch kommt jetzt her und küsst mich, das ist schliesslich euer Job.»

Eine halbe Stunde später erschien dann doch Thalia. Anscheinend hatten die Damen sich nun doch geeinigt, dass Glossen in den Bereich der Komödie fallen. Thalia ging als erstes an meine Hausbar und schenkte sich einen Whiskey ein, sie hockte sich auf meinen Besuchersessel und packte ihre Marlboro aus. «Rauchen bitte auf dem Balkon», knurrte ich, aber das war ihr völlig wurscht, sie zündete ihre Kippe an und es blieb mir nichts anderes übrig, als den Aschenbecher zu holen, die gute Frau – so schätzte ich sie ein – hätte erbarmungslos auf meinen Teppich geascht. Sie nahm einen tiefen Schluck Jack Daniel’s und fragte dann nuschelnd: «Was schreibst’n so?» «Noch gar nichts, ich warte ja noch auf den Musenkuss!» «Ja, klar, muss mich nur noch ‘n Moment entspannen.»
«Von was?», dachte ich, «von was, du faule Schlampe?», behielt dann aber doch diesen Gedanken für mich und sprach ihn nicht aus.

Nach 35 Minuten, 7 Marlboros und 4 (!) Gläsern Whiskey kam er dann endlich:
Der Musenkuss.
Der Musenkuss war ein Schmätzchen auf die Backe, wie man es einer ungeliebten Tante beim Abschied gibt, ohne Empathie, ohne Leidenschaft und ohne Subtilität.
Und damit verschwand Thalia, nicht ohne sich die Erdnüsse, die ich ihr auf den Besuchertisch gestellt hatte, in die Hosentasche abzufüllen. Ja, Hosentasche, denn natürlich hatte die Muse kein wallendes weisses Gewand getragen, sondern ein lila Top und Jeans, und zwar die geschmacklose Variante mit industriell vorgefertigten Löchern.

Nein, die Musen sind nicht mehr, was sie mal waren.
Oder sind sie das nicht mehr, was sie NOCH NIE waren?
Fakt ist ja, dass ab dem 20. Jahrhundert die Dichter sich andere Inspirationsquellen suchen mussten:
·         Ausgedehnte Road-Trips in klapprigen Autos
·         Marihuana, Koks, LSD oder Absinth
·         Sexuelle Ausschweifungen und SM-Praktiken
·         Internet (was, den Vorteil hat, dass man dort wie Helene Hegemann gleich alles copypasten kann…)

Ich sitze vor meinem Laptop und mir fällt nichts ein.
Gar nichts.
Überhaupt nichts.
Soll ich mal wieder was über Putin schreiben? Ausgelatscht. Oder über die CDU? Gibt es die überhaupt noch? Soll ich mal wieder den Klimawandel thematisieren? Oder die AfD?
Ich sitze vor meinem Laptop und mir fällt nichts ein.

Aber jetzt merke ich, dass mir die Komödien-Schlampe eigentlich – ohne dass sie es wollte – doch einen guten Post beschert hat.

        

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