Im Himmel
sitzen die Erzengel und gucken Fussball.
Natürlich
sitzen sie nicht vor dem Fernseher, stopfen Chips in sich hinein und trinken
Bier. Erzengel müssen ihren Blick nur irgendwo auf die Erde senden und sehen
alles in Realtime, und das schon seit Millionen von Jahren, sie haben auch nie
Hunger oder Durst, zu diesem besonderen Anlass haben sie allerdings von der
Hohen Trinität ein wenig Manna spendiert bekommen. Es ist immer lustig, wenn
Raphael, Uriel, Gabriel und Michael WM schauen, vor allem die beiden letzteren
sind sich selten einig, Gabriel, der sanfte, der milde, der marianische
Verkünder, mag schön gespielten und eleganten Fussball, Michael, der
Drachentöter, der Kämpfer, mag körperbetonte und wilde Spiele, wenn also ein
Spieler vom Gegner grob angerempelt wird und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf
den Boden fällt, dann schreit Autor des Ave
Maria: «Foul! Foul! Grobes Foul!» und der Bestien-Kämpfer schreit zurück:
«Quatsch! Quatsch! Der simuliert! Das war ‘ne Schwalbe!»
Heute sind
sich die vier aber aus ganz anderem Grunde uneinig. Der Spieler einer lateinamerikanischen
Mannschaft läuft aufs Spielfeld ein, hebt auf einmal seine Augen gen Himmel, er
presst seine Handflächen aneinander, er schliesst die Augen und betet. Nach
seinem Stossgebet zieht er aus seinem T-Shirt ein Marienmedaillon und küsst es
leidenschaftlich und inbrünstig. «Gesegnet seist du, frommer Mensch, gesegnet
seien dein Haus und deine Kinder», murmelt Raphael; Uriel allerdings entfährt
ein lautes: «Arschloch!».
Kleiner
Exkurs: Selbstverständlich dürfen Engel und Erzengel fluchen, sie dürfen es nur
nicht, wenn Menschen anwesend sind. Einzig dem Cherub, der den Garten Eden
bewachte, war gestattet, potentiellen Eindringlingen ein «Verdrückt euch, ihr
verdammten Pappnasen!» entgegenzuschleudern.
Die drei
anderen sehen Uriel entsetzt an. «Was hast du gegen diesen anständigen Mann und
guten Katholiken? Er bittet um Tore und Sieg, ganz nach dem Verse Bittet, so wird euch gegeben, klopfet an, so
wird euch aufgetan.» Uriel holt Luft und stösst dann hervor: «Er bittet um
Sieg und Tore! Grossartig! Es gäbe ja nichts anderes, wofür man bitten könnte!
Weltfrieden? Kein Vaterunser wert. Rettung der bedrohten Schöpfung? Lohnt
keinen Psalm. Armut, Gewalt, Kriege, Krankheit, alles nicht wichtig,
entscheidend ist, dass die eigene Mannschaft gewinnt.»
«Aber die
Menschen sollen doch um das bitten, was ihnen wichtig ist», wirft Gabriel ein,
«und zurzeit ist ihnen eben der Gewinn ihrer Nationalmannschaft wichtig.»
«Das ist ja
das verdammte Problem», poltert Uriel, «die Menschen verlieren ständig den Blick
für das Wesentliche. Aber wir haben noch ein ganz anderes: Was tut man, wenn
Spieler beider Mannschaften aufs Spielfeld einlaufen, auf einmal die Augen gen
Himmel richten, die Handflächen aneinanderpressen, die Augen schliessen und
beten? Und nach dem Stossgebet aus ihren T-Shirts Marienmedaillons ziehen und
sie leidenschaftlich und inbrünstig küssen?»
Jetzt
ergreift Michael Uriels Partei: «Genau, genau, genau! Das hatten wir ja in
allen Kriegen, seit Hunderten von Jahren, X-Land machte Gottesdienste, flehte
um den schnellen Sieg, sang militärische Choräle, der Pfarrer oder Priester
segnete die Waffen und zog in die Schlacht. Aber auch Y-Land machte
Gottesdienste, flehte um den schnellen Sieg, sang militärische Choräle, der
Pfarrer oder Priester segnete die Waffen und zog in die Schlacht. Und Gottvater
sass da und konnte keine Gebete erhören, und wollte keine Gebete erhören, weil
sein Wunsch gewesen wäre, dass gar kein Krieg stattfindet.»
«Warum hat
er den Krieg eigentlich nicht verhindert?», fragt Gabriel.
«Weil er»,
so fährt Michael fort, «dem Menschen freien Willen gab.»
«War
vielleicht ein Fehler», so Uriel, «war vielleicht der grösste Fehler den er
gemacht hat. Dann wäre die Menschheit noch im Garten Eden, würde mit den Tieren
herumtollen und sich von Feigen, Datteln, Bananen und Birnen ernähren.»
«Aber dann
gäbe es keinen Fussball», seufzt Raphael, «was würden wir dann heute machen?
Von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr Halleluja singen und von 14.00 Uhr bis 17.00 Uhr
frohlocken?»
Eine Weile
sitzen die vier da, schauen dem Spiel zu und ergötzen sich an Fallrückziehern,
Rückfallzügen und Zugrückfällen, schreien bei Torchancen und zittern bei
Penaltys, sie ergötzen sich am Manna und schweigen.
Dann
ergreift Uriel noch einmal das Wort: «Was macht der Allmächtige nun bezüglich
der ganzen WM-Gebete?» «Ganz simpel», antwortet Raphael, «er lässt das Team
gewinnen, das am besten gespielt hat.»
«Gepriesen
sei der HERR.»
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen