Dienstag, 26. Juni 2018

WM-Spezial 4 (and last): Die Gebete zur WM


Im Himmel sitzen die Erzengel und gucken Fussball.
Natürlich sitzen sie nicht vor dem Fernseher, stopfen Chips in sich hinein und trinken Bier. Erzengel müssen ihren Blick nur irgendwo auf die Erde senden und sehen alles in Realtime, und das schon seit Millionen von Jahren, sie haben auch nie Hunger oder Durst, zu diesem besonderen Anlass haben sie allerdings von der Hohen Trinität ein wenig Manna spendiert bekommen. Es ist immer lustig, wenn Raphael, Uriel, Gabriel und Michael WM schauen, vor allem die beiden letzteren sind sich selten einig, Gabriel, der sanfte, der milde, der marianische Verkünder, mag schön gespielten und eleganten Fussball, Michael, der Drachentöter, der Kämpfer, mag körperbetonte und wilde Spiele, wenn also ein Spieler vom Gegner grob angerempelt wird und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Boden fällt, dann schreit Autor des Ave Maria: «Foul! Foul! Grobes Foul!» und der Bestien-Kämpfer schreit zurück: «Quatsch! Quatsch! Der simuliert! Das war ‘ne Schwalbe!»

Heute sind sich die vier aber aus ganz anderem Grunde uneinig. Der Spieler einer lateinamerikanischen Mannschaft läuft aufs Spielfeld ein, hebt auf einmal seine Augen gen Himmel, er presst seine Handflächen aneinander, er schliesst die Augen und betet. Nach seinem Stossgebet zieht er aus seinem T-Shirt ein Marienmedaillon und küsst es leidenschaftlich und inbrünstig. «Gesegnet seist du, frommer Mensch, gesegnet seien dein Haus und deine Kinder», murmelt Raphael; Uriel allerdings entfährt ein lautes: «Arschloch!».

Kleiner Exkurs: Selbstverständlich dürfen Engel und Erzengel fluchen, sie dürfen es nur nicht, wenn Menschen anwesend sind. Einzig dem Cherub, der den Garten Eden bewachte, war gestattet, potentiellen Eindringlingen ein «Verdrückt euch, ihr verdammten Pappnasen!» entgegenzuschleudern.

Die drei anderen sehen Uriel entsetzt an. «Was hast du gegen diesen anständigen Mann und guten Katholiken? Er bittet um Tore und Sieg, ganz nach dem Verse Bittet, so wird euch gegeben, klopfet an, so wird euch aufgetan.» Uriel holt Luft und stösst dann hervor: «Er bittet um Sieg und Tore! Grossartig! Es gäbe ja nichts anderes, wofür man bitten könnte! Weltfrieden? Kein Vaterunser wert. Rettung der bedrohten Schöpfung? Lohnt keinen Psalm. Armut, Gewalt, Kriege, Krankheit, alles nicht wichtig, entscheidend ist, dass die eigene Mannschaft gewinnt.»
«Aber die Menschen sollen doch um das bitten, was ihnen wichtig ist», wirft Gabriel ein, «und zurzeit ist ihnen eben der Gewinn ihrer Nationalmannschaft wichtig.»
«Das ist ja das verdammte Problem», poltert Uriel, «die Menschen verlieren ständig den Blick für das Wesentliche. Aber wir haben noch ein ganz anderes: Was tut man, wenn Spieler beider Mannschaften aufs Spielfeld einlaufen, auf einmal die Augen gen Himmel richten, die Handflächen aneinanderpressen, die Augen schliessen und beten? Und nach dem Stossgebet aus ihren T-Shirts Marienmedaillons ziehen und sie leidenschaftlich und inbrünstig küssen?»

Jetzt ergreift Michael Uriels Partei: «Genau, genau, genau! Das hatten wir ja in allen Kriegen, seit Hunderten von Jahren, X-Land machte Gottesdienste, flehte um den schnellen Sieg, sang militärische Choräle, der Pfarrer oder Priester segnete die Waffen und zog in die Schlacht. Aber auch Y-Land machte Gottesdienste, flehte um den schnellen Sieg, sang militärische Choräle, der Pfarrer oder Priester segnete die Waffen und zog in die Schlacht. Und Gottvater sass da und konnte keine Gebete erhören, und wollte keine Gebete erhören, weil sein Wunsch gewesen wäre, dass gar kein Krieg stattfindet.»
«Warum hat er den Krieg eigentlich nicht verhindert?», fragt Gabriel.
«Weil er», so fährt Michael fort, «dem Menschen freien Willen gab.»
«War vielleicht ein Fehler», so Uriel, «war vielleicht der grösste Fehler den er gemacht hat. Dann wäre die Menschheit noch im Garten Eden, würde mit den Tieren herumtollen und sich von Feigen, Datteln, Bananen und Birnen ernähren.»
«Aber dann gäbe es keinen Fussball», seufzt Raphael, «was würden wir dann heute machen? Von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr Halleluja singen und von 14.00 Uhr bis 17.00 Uhr frohlocken?»

Eine Weile sitzen die vier da, schauen dem Spiel zu und ergötzen sich an Fallrückziehern, Rückfallzügen und Zugrückfällen, schreien bei Torchancen und zittern bei Penaltys, sie ergötzen sich am Manna und schweigen.
Dann ergreift Uriel noch einmal das Wort: «Was macht der Allmächtige nun bezüglich der ganzen WM-Gebete?» «Ganz simpel», antwortet Raphael, «er lässt das Team gewinnen, das am besten gespielt hat.»
«Gepriesen sei der HERR.»

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