Neulich
hatte ich mit meinem Kumpel Brod ausgemacht, dass ich ihm eine Kiste mit
Büchern vor meine Haustüre stelle; wir hatten einfach keinen Termin gefunden,
an dem er sie hätte abholen können, auch eine Schlüsselübergabe oder eine
Schlüsselhinterlegung hatte nicht funktioniert, und so stellte ich einen Karton
mit diversen Werken vor mein Haus, alles Titel, die ich doppelt hatte, darunter
einiges von Bloch, Adorno und Habermas, von Grass, Muschg und Genazino.
Natürlich hätte jedermann und jedefrau die Bücher mitnehmen können, aber ich
wohne in Kleinbasel und die Wahrscheinlichkeit, dass meine Nachbarn Achmed,
Mehmet, Sergej und Pjotr Werke von Bloch, Adorno und Habermas, von Grass,
Muschg und Genazino lesen, war doch relativ gering. (Das ist jetzt nicht ausländerfeindlich,
ich bin auch nicht in der Lage, arabische Soziologen, russische Philosophen
oder polnische Romanciers im Original zu lesen.)
Jedenfalls,
die Kiste wurde deponiert und ich ging meiner Arbeit nach – oder war ich im
Schwimmbad oder bei meinem Schatz?, na egal – als ich heimkam, stapelten sich
in der ganzen Strasse Berge von Kartons, Pappe, Papier, Türme aus alten
Zeitungen und gebrauchten Zeitschriften, überall quoll das papierne Material
die Bürgersteige entlang und duckten sich die Dokumentenbündel in die
Hauseingänge. War wirklich heute Papiersammlung? Das konnte nicht sein. Die
Stadtreinigung hatte schliesslich erst vor einer Woche Papier, Pappe, Kartons,
hatte Zeitungen und Zeitschriften, hatte Dokumente und Ordner in ihre grossen
Fahrzeuge geworfen. Nein, es musste das Folgende passiert sein:
Ich hatte
den Philosophie-Belletristik-Karton vor meine Haustüre gestellt.
Ein Nachbar
hatte ihn gesehen.
Er hatte
NICHT nachgedacht, er hatte NICHT in den von der Stadt in jeden Haushalt geschickten
Basler Abfallkalender 2018 geblickt,
er hatte einfach angenommen, dass Abfuhr ist und sein Nachbar das
wahrscheinlich besser wüsste als er selber, und dann hatte er zwei
Zeitschriftenbündel vor seine Türe gelegt.
Der nächste
Nachbar hatte nun den Philosophie-Belletristik-Karton und die beiden Bündel
angeblickt und NICHT nachgedacht und NICHT in dem von der Stadt in jeden
Haushalt geschickten Basler
Abfallkalender 2018 nachgesehen…
und so
weiter
und so
weiter
und so
weiter
Ich war nun
eigentlich Schuld an der ganzen Misere, allerdings war ich ohne Schuld
schuldig, und man würde mir auch nichts nachweisen können, denn meine Haustüre
war ja die einzige, vor der sich kein papiernes Material stapelte, vor dem
keine Zeitschriften quollen, vor der sich keinen Kartons und Pappen in
Hauseingänge duckten.
Warum ist
der Mensch eigentlich so ein verdammtes Herdentier?
Warum fällt
es uns leichter, uns in eine Mailingliste einzutragen, wenn dort schon zwei
Zeilen ausgefüllt sind, selbst wenn wir wissen, dass diese wahrscheinlich Fake
sind?
Warum fällt
es uns nicht so schwer, einem Strassenmusiker ein Geldstück in den Hut zu
werfen, wenn da schon Münzen liegen, selbst wenn uns klar ist, dass der Bustler
die dort selber platziert hat?
Warum
schauen wir zu einem Fenster an einem Haus hinauf, wenn Leute auf der Strasse
stehen und nach dort hochblicken?
Jetzt kommen
Sie mir bitte nicht mit der Urmensch-Theorie!
Natürlich,
für den Neandertaler war es äusserst hilfreich, sich als Herdenwesen zu fühlen,
in der Gruppe war er sicher, behütet, aufgehoben, er war bewahrt und geschützt.
Aber:
Wir sind
keine Urmenschen mehr.
Im Gegensatz
zu den Fastnochaffen, die am Ende der letzten Eiszeit unsere Breiten
bevölkerten, können Sie sich Ihre Nahrung alleine besorgen. Wirklich, wahrlich,
glauben Sie mir: Das Hirschsteak im ALDI wird Sie nicht wie ein Mammut
angreifen, Sie können ganz einfach hin und es nehmen.
Im Gegensatz
zu den Wäldern der Urzeit sind unsere Strassen nicht wirklich gefährlich. Der
letzte Säbelzahntiger in Berlin-Mitte wurde 1969 von dem 20jährigen
Soziologiestudenten Jürgen Drusser gesichtet, aber der hatte vorher extrem viel
geraucht.
Nein.
Die
Urmensch-Theorie erklärt den Herdentrieb des Menschen nicht vollständig.
Tun wir also
etwas gegen das Herdenverhalten.
Machen wir
irgendetwas, obwohl es niemand macht, oder tun wir etwas NICHT, obwohl es alle
tun.
Als ich neulich an einem Mittwoch nachts heimkam, stand der Bürgersteig voll mit
blauen Kehrrichtsäcken. Mist, dachte ich, Müll musst du auch noch
runterbringen. Ich schnappte mir also die beiden vollen Säcke und warf sie auf
das Trottoir.
Oben wieder
angekommen, stellte ich fest, dass es Mittwoch war und die Abholung am
Freitagmorgen stattfindet.
Wer im
Glashaus sitzt…
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