«Das Jahr
der sterbenden Preise», das könnte ein Romantitel eines finnischen Autors sein,
ist hier aber eine Glossenüberschrift, die nur allzu realistisch eine
problematische Situation beschreibt;
2018 könnte
zum einem Jahr werden, in dem viele Preise das letzte Mal vergeben wurden oder
gar nicht erst vergeben werden können: Der ECHO ist abgeschafft, die
OSCAR-Verleihung war noch nie so öde und beim Literatur-Nobelpreis ist ob der
mehr als desolaten Situation des Komitees unklar, ob das heillos verwahrloste
Gremium überhaupt in der Lage sein wird, irgendetwas zu beraten. Auch beim
Eurovision Song Contest hat sich eine Lustlosigkeit breitgemacht, und man fragt
sich, welches Land als erstes nicht mehr fährt und damit die Lawine lostritt.
Im Idealfall
sieht die Verleihung eines Preises so aus, dass eine kompetente Jury den Preis
an die richtige Person vergibt. Das sieht in 4% der Fälle auch so aus. In einem
Fünftel der Fälle vergibt eine eigentlich inkompetente Jury den Preis an die
richtige Person («ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn»), in einem
weiteren Fünftel vergibt eine eigentlich kompetente Jury den Preis an die
falsche Person («errare humanum est»), und in der Mehrheit der Fälle (56%) kürt
eine inkompetente Jury die durch und durch falsche Person.
Es ist ja
auch gar nicht so einfach, einen Preis richtig zu vergeben. Man müsste
Sachverstand, Menschenkenntnis, man müsste Bildung und Kompetenz, müsste
Weitblick und Zukunftsvision, man müsste Geschmack, Anstand und Wissen haben,
und wer hat das heutzutage noch? Manche Jurys machen es sich leicht, sie
vergeben den Preis an jemand, der schon 15 Preise bekommen hat, damit liegt man
auf jeden Fall nicht verkehrt. Andere Jurorinnen und Juroren haben ein ganz
anderes Problem, nämlich einen so eng umschriebenen Preis, dass man Mühe hat,
überhaupt eine Preisträgerin oder einen Preisträger zu finden. Wer eine in der Schweiz geborene Person mit
ausländischen Wurzeln, die in ihren Werken die Kunst der Schweiz mit der Kunst
ihrer Heimat verbindet suchen muss, ist arm dran.
Die
Landschaft der Preise, Verleihungen und Jurys zeigt, wie oben schon
geschildert, ein düsteres Bild. Der ECHO hat sich bei der letzten Veranstaltung
selbst versenkt, und zwar nicht, weil es eine sehr umstrittene Entscheidung
war, einem homophoben, xenophoben, rechtradikalen und menschenverachtenden
Rapper-Paar den Preis zu geben, sondern weil die Entscheidung in keinster Weise
begründet wurde. «Gangsta-Rap ist halt so…» und «Kunst darf auch mal
provozieren…» sind da einfach zu müde Statements. Popmusik – und eben auch Rap
– muss vor allem gut sein, und das sind die zwei Schweineheinis auf keinen
Fall, sonst könnte ich ja jeden Tourette-Patienten auf die Bühne zerren und ein
wenig Beat laufen lassen.
Und was ist
in Stockholm los?
Es ist wie
bei einem Güllefass, man hat hineingestochen und nun fliesst die Jauche, und
man scheint sich zu wundern, dass so viel Kuhurin auf dem Behälter kommt, und
die Gülle fliesst und fliesst, und einige Leute hoffen noch, dass nach 67
Litern Dreck dann auf einmal Milch und Honig strömen wird, aber in einem
Jauchefass ist eben nur Jauche, keine Milch, kein Honig, kein Wein und kein
Most. Das Komitee des Nobelpreises ist ein Biotop, in dem sich scheinbar
Korruption, Zweckentfremdung und Missbrauch in einem Ausmass entwickeln
konnten, das keiner für möglich hielt. Da man einen Sitz in dem erlauchten
Gremium auf Lebenszeit innehat, kann hier nur noch eines helfen: Eine Truppe
guter Berufskiller, die die ganze Bande einfach umnietet. So brutal, so simpel,
sonst wird in der Liste der Nobelpreise nämlich stehen:
2018 konnte aus
organisatorischen Gründen nicht vergeben werden.
Auch der
ESC, der Eurovision Song Contest, jene edle Veranstaltung, der Sänger wie Udo
Jürgens oder Gruppen wie ABBA ihre Existenz und ihre Karriere verdankten, ist
am abnibbeln. Die meisten der Gründerstaaten, Länder wie die Schweiz,
Österreich oder Deutschland, wie die Niederlande, Frankreich und Italien haben
längst die Lust verloren, nur traut sich niemand, die erste Nation zu sein, die
dem Ereignis fernbleibt, das ist ein wenig wie bei den Geburtstagsfeiern von
Tante Erna, keiner hat mehr wirklich Lust hinzugehen, aber weil es halt
Tradition ist und weil sie sich so freut, und weil es seit 1976 zur
Jahresagenda gehört und weil Erwin, Agnes und Horst mit Familie auch hingehen,
geht man halt hin. Wenn sich einer getrauen würde, die magischen Worte zu
sprechen: «Tantchen, wir kommen dieses Jahr nicht…», dann, ja dann… Aber es
traut sich eben niemand.
2018 ist das
Jahr der sterbenden Preise.
Warum gibt
es eigentlich immer noch so viele? Sie wissen es nicht? Wegen der
Preisverleihungen. Da muss man hin, nach dem Motto «Sehen und gesehen werden»,
da muss man sein Gartolucci-Jackett und frau ihr St.André-Kleid vorführen –
wozu hat man schliesslich 1879.- bzw. 3567.- ausgegeben? – da muss man in die
Kameras lächeln und hoffen, dass möglichst viele Leute das mitbekommen. Da gibt
es aber auch After-Büffet und After-Party und After-Drink und viel After-Spass.
Daher hätte
ich, wenn ich im Lotto gewänne, eine wunderbare Idee: Ich würde eine Stiftung
ins Leben rufen, die folgendes Prozedere einzuhalten hätte:
§1 Die HERTER-Stiftung vergibt jedes
Jahr einen Preis an eine(n) Künstler(in), Musiker(in), Architekten(in) oder
Schriftsteller(in), die anerkannt und mindestens 20 Jahre tot ist.
§2 Da die Person schon verstorben ist
und Tote nichts mehr brauchen, ist der Preis undotiert.
§3 Die Stiftungsgelder werden für eine
Show zu Ehren des Preisträgers oder der Preisträgerin verwendet, sowie zu einer
fulminanten Party danach.
Hier könnte man
nichts falsch machen und alle hätten ihren Spass.
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