Freitag, 11. Mai 2018

Warum reparieren wir nicht mehr?


Als Georg Müller 2016 mit dem Motorrad nach Indien fuhr, war er froh, dass in den Ländern, durch die er reiste, viele hilfsbereite Menschen waren, die eine wichtige Kulturtechnik beherrschten: Das Reparieren. In Turkmenistan fiel sein Auspuff auseinander, in Usbekistan verlor seine Maschine ständig Öl, darauf ging es eine Weile gut, dann verbog sich in Tadschikistan sein Hinterrad zu einer Art Skulptur, worauf in Pakistan dann der ganze Motor den Geist aufgab. Immer fand Georg nette Leute, die trick- und listenreich mit Bindfäden, Schrauben, mit Haarnadeln, Holzstecken, die mit Metallscheiben und Honiggläsern irgendetwas zurechtzimmerten, mit dem man wieder 1000 Kilometer weiterkam. «Wenn wir nicht reparieren könnten, dann wären wir verloren», so der einmütige Satz in Aşgabat, in Samarkand, so die einhellige Meinung in Duschanbe und Islamabad. Natürlich werden dort nicht nur Motorräder mit Bindfäden, Schrauben, mit Haarnadeln und Holzstecken, mit Metallscheiben, Honiggläsern, Glasflaschen und Strümpfen geflickt, sondern auch Kühlschränke und Waschmaschinen, auch Fernseher, Autos und Computer.

Wann ist uns diese Kulturtechnik verloren gegangen? Bei uns wird eigentlich nichts mehr repariert, der Service guckt sich bei uns einen Fernseher, ein Auto, einen Computer, guckt sich eine Spül- oder Waschmaschine kurz an und erklärt darauf: Auf den Müll damit.
Seit gefühlten 7 Monaten – wahrscheinlich sind es weniger – ist der Kassaautomat im Hallenbad Rialto ausser Betrieb. Die Mitarbeiter haben sich grosse Mühe gegeben, an sämtlichen Stellen des Bades und der Hauszugänge Schilder aufzustellen, es ist nun völlig gleich, ob man vom dritten Stock aus mit dem Lift hinunterfährt, ob man diesen Lift erst im zweiten Stock betritt oder ob man ebenerdig das Gebäude begeht, überall weisen Tafeln auf den Defekt des Automaten und auf die Möglichkeit Billette an der Kassa im EG zu kaufen, hin. Schöner aber wäre es doch, wenn die Maschine irgendwann einmal wieder ginge – gut, mir ist das egal, ich habe ein Abo.

Die alte Kulturtechnik des Flickens, des Reparierens und Ergänzens ist uns abhandengekommen.
Ich schreibe diesen Post auf meinem neuen Notebook, ein neues Notebook, weil es für das alte keinen Ersatz-Akku mehr gab, auch nicht bei jenem legendären Akkuhändler in Reinach, der 30000 Akkus auf Lager hat.
Meine Spülmaschine ist auch dabei, den Geist aufzugeben, ich stelle mir schon einen Dialog mit MIELE® vor:
«Beim Trockenvorgang brummt die Maschine und es läuft ganz ein bisschen Wasser heraus.»
«Wie alt ist ihr Gerät?»
«Zwanzig Jahre.»
«ZWANZIG JAHRE????????????????? Da empfehlen wir Ihnen aber dringend ein neues.»
«Das ist mir klar, dass Sie mir ein neues Gerät verkaufen wollen! Können Sie dennoch einen Monteur vorbeischicken.»
«Kommt Sie mit Stundenlohn, Mehrwertsteuer, Fahrtkosten, Kinderzulage, Schwerarbeiter- und Gefahrenzulage auf rund 1000.-. Ab 800.- gibt’s eine neue Maschine.»

Machen wir mal eine Rechnung auf: Alle zwei Jahre kauft im Durchschnitt ein Einwohner der Schweiz ein neues Notebook. Bei acht Millionen macht das vier Millionen Laptops. Zu viel gerechnet? Nehmen wir nur die Einwohner mit Notebookbedarf und nehmen wir vier Jahre als Lebensdauer, macht immer noch 1000000. Gut, die Platinen werden recycelt, aber die Gehäuse? Können Sie sich eine Million Notebooks auf einem Berg vorstellen? Und das jedes Jahr.
Nehmen wir nun noch die Waschmaschinen dazu.
Und die Kühlschränke.
Und die Spülvollautomaten.
Und Kleingeräte wie Rasierer, Epiliergeräte, wie Handys und Tablets, Kleingeräte wie Föhns, Staubsauger und Mikrowellen…
Dann kommen wir auf einen ganz schönen Berg. Alle Geräte, aufeinander geschichtet, würden das Matterhorn um einen Kilometer überragen, ja, vielleicht könnte die Eidgenossenschaft sogar den höchsten Berg der Welt bekommen, Mount Everest ade, wenn man – wie einer meiner Schüler vorschlug – den ganzen Müll in den Schweizer Seen versenkte, dann wäre die ganze Schweiz ein einziger See, man könnte dann mit dem Boot von Friedrichshafen bis Chiasso, von Vaduz bis Lyon.
Es ist also nicht nur meine furchtbare Sparsamkeit, die mich immer wieder dazu bringt, eine Reparatur zu verlangen, sondern auch der Gedanke an den vielen Schrott.

Als Georg Müller 2016 mit dem Motorrad nach Indien fuhr, war er froh, dass in den Ländern, durch die er reiste, viele hilfsbereite Menschen waren, die eine wichtige Kulturtechnik beherrschten: Das Reparieren.
Wir haben diese Kulturtechnik verlernt, aber was man ver-lernt hat, kann man ja auch wieder-lernen, es gibt immerhin schon einige nette Ansätze, wie z.B. Reparatur-Cafés, zum Beispiel in Berlin-Mitte und in Berlin-Kreuzberg.

Seien wir gespannt.

P.S. Seit einigen Tagen ist die zweite Kasse im Bahnhofsshop Solothurn-West defekt. Ich rechne mit 5-6 Monaten.
 


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