Clara-Dora
Ullmann wäre eigentlich eine ganz brauchbare Person. Sie bewohnt mit ihrer
Schwester das kleine Häuschen, das sie von ihren Eltern geerbt haben, führt gut
Haus und Garten, arbeitet zu 80% auf einer Anwaltskanzlei, füttert und pflegt
ihre drei Katzen und hat somit immer gut zu tun. Clara-Dora Ullmann kleidet
sich modisch, aber nicht aufgetakelt, sie geht einmal pro Woche zum Friseur,
einmal ins Schwimmbad und einmal zur Maniküre. Donnerstags geht sie abends in
einen Lesekreis, der sich mit aktueller Literatur beschäftigt und sonntags in
den Gottesdienst der Landeskirche. Sie hat ein Abo der örtlichen Tageszeitung,
ein Abo des Verkehrsverbundes und ein Abo des Stadttheaters, sie isst viel Obst
und Gemüse, ohne Veganerin zu sein, trinkt mässig Alkohol (mal ein Gläschen
schon) und raucht 14 Zigaretten – im Jahr. Clara-Dora Ullmann ist also eine
normale, nette Frau, ein wenig langweilig, aber OK.
Clara-Dora
Ullmann wäre eigentlich eine ganz brauchbare Person, man könnte sie zu jedem
Essen und zu jeder Feier einladen, man könnte sie zu Ausflügen und Reisen
mitnehmen, sie würde auf keiner Vernissage, bei keinem Vortrag, sie würde bei
keinem Apéro und keinem Konzert eine allzu schlechte Figur abgeben. Clara-Dora
Ullmann würde man auch gerne besuchen, man würde gerne in ihrem gepflegten
Haus, auf ihrer gepflegten Terrasse oder in ihrem gepflegten Garten sitzen, man
würde gerne von ihren selbstgebackenen Kirsch-, Apfel-, Vanille- und
Schokokuchen kosten und sich von ihr mit ihrem unvergleichlichen Gemüsegratin
oder ihrer unvergleichlichen Mousse verwöhnen lassen. Man könnte es gut haben
mit Clara-Dora Ullmann, wäre da nicht…
Die
Schwester.
Eben diese
Schwester, mit der sie das Haus teilt, die Schwester, die immer dabei ist und
alles so unerträglich macht.
Christin-Sabine
Ullmann ist ein Ekel. Sie vereint in einem Masse schlechte Eigenschaften auf
sich, das sogar Jack the Ripper oder Graf Voldemort neidisch machen würde.
Christin-Sabine Ullmann ist geizig, geldgierig, dabei verlogen, betrügerisch
und korrupt bis ans Limit. Das allerdings hindert sie nicht, gleichzeitig
frömmlerisch, bigott und gelegentlich fanatisch zu sein, sie ist launisch,
borstig, sie ist misanthropisch und verbittert und ihre scharfe Zunge haben
schon manche zu spüren bekommen. Im Gegensatz zu ihrer Schwester trägt sie
altmodische, altbackene Kleider, geht nie ohne das Kopftuch aus dem Haus, das
sie um ihren strenggewobenen Dutt legt. Natürlich geht sie nicht in die
Landeskirche zu dem «linken» Pfarrer, sondern in eine altreligiöse
Gemeinschaft, wo noch «Recht und Gebote herrschen». Wie gesagt: Diese sehr
gesetzliche Haltung hindert Christin-Sabine Ullmann keineswegs daran, bei ihrem
Job (75%) auf dem Bezirksamt jedem Bestechungsversuch offen zu begegnen und
hemmungslos dem Meistzahlenden alle Aufträge zuzuschanzen.
Neuerdings,
und das ist eine Entwicklung, die auch Clara-Dora beunruhigt, sieht man sie
zusammen mit Typen, die einen nicht glücklich machen, mit Alt-, Spät-, Halb-
und Vollnazis, zusammen mit Ausländerfeinden und Schwulenhassern, mit Menschen,
denen ein normaler aus dem Wege geht.
Nun ist das
Dumme, dass man die grosse Schwester eben nur mit der kleinen zusammen bekommt.
Lädt man Clara-Dora ein, zu einem Tee, einem Kaffee, einem schönen Abendessen,
einem Glas Wein, dann wird sie Christin-Sabine mitbringen und diese wird den
Nachmittag, den Abend zerstören, versauen, miesmachen, sei es, dass sie einem
förmlich den Rosenkranz um die Ohren schlägt, sei es, dass sie Hetzreden führt,
vielleicht verbreitet sie aber auch nur schlechte Laune. Oder sie klaut einem
Geld aus dem Portemonnaie oder Schmuck aus der Schatulle.
Ginge man
aber zu Ullmanns heim, zu einem Kaffee, einem Tee, zu einem Fondue in der Stube
oder einer Grillade auf der Terrasse, würde das Gleiche passieren. Auch wenn
Christin-Sabine Gäste eigentlich hasst, würde sie nie in ihren Räumen bleiben,
nein, sie würde sich dazu setzen, und bewirken, dass jene gehen, bevor das
letzte Glas und die letzte Tasse ausgetrunken sind.
Natürlich
findet Clara-Dora nie einen Partner.
Wer will
schon eine Schwägerin, die so ein widerlicher Mensch ist, dass sogar Stalin und
Sauron ihr Platz 1 in der Bösartigkeits-Challenge einräumen? Wer will eine
Schwägerin, die geizig, geldgierig, die gemein, verlogen, eine Angeheiratet,
die korrupt und bestechlich, dabei bigott, frömmlerisch und fanatisch ist? Eine
Person, mit der man sich nur wenige Minuten im gleichen Raum aufhalten kann,
ohne Erfrierungen zu bekommen?
Bisher
gingen daher Partnersuchversuche von Clara-Dora immer schief.
Die Frage,
die sich jetzt jeder stellt, ist natürlich:
Warum
schmeisst die grosse die kleine Schwester nicht einfach raus?
Ganz
einfach: Christin-Sabine gehört das halbe Haus. Sie müsste ausbezahlt werden
und das würde Clara-Dora erst einmal in einen Schuldenberg stürzen. Und selber
das Feld räumen will sie auch nicht.
Clara-Dora
Ullmann wäre eigentlich eine ganz umgängliche Frau.
Eine, die
man einladen oder besuchen könnte.
Wäre da
nicht Christin-Sabine Ullmann.
Die kleine
Schwester.
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