Montag, 28. August 2017

Grossmütter hassen Postkarten (und haben es schon immer getan)



Die ältere Dame, ich schätze sie trotz ihrer kecken Kurzhaarfrisur und ihrer schicken Kleidung, trotz ihres modischen Lippenstiftes und ihrer Ringe, die keine Oma-Ringe sind, auf über 80, tippt wie wild auf ihrem I-Phone herum, während ich sie dabei beobachte. Wir sitzen und uns im Café gegenüber, weil wir beide die letzten Plätze im Szenebistro Acapulco ergattert haben. Nach einer Weile merkt die Lady, dass ich sie anschaue und beginnt das Wort an mich zu richten:

«WhattsApp-Junkie», so kichert sie, «ich bin ein totaler WhattsApp-Junkie, Sie können sagen, was Sie wollen, aber das Handy, später das Smartphone, ist die genialste Erfindung seit der Entdeckung des Feuers. Sehen Sie mal, ich habe 8 Enkelkinder, und die sind ständig unterwegs, reisen mal da und mal dort hin, sind auf Zeltlagern und Backpacking-Trips, auf Kulturreisen und Rundfahrten, und immer schicken sie mir ein nettes Foto und einen Gruss dazu. Da sehen Sie mal!»
Die nette Dame zeigt mir ihren Bildschirm, auf dem ein Bild des Tadsch Mahal prangt.
«Da ist meine Lea, die 20jährige Tochter meiner Tochter, gerade zwei Monate in Indien, und ich bekomme so viele Nachrichten, dass ich das Gefühl habe, dabei zu sein. Oder hier:»
Sie nimmt das I-Phone wieder an sich und schiebt eine Weile auf dem Display, dann zeigt sie mir eine Waldblume mit der Bemerkung Blumen für Omi.
«Das ist von meinem jüngsten Grosskind, dem Tim, der ist 10 und gerade in einem Zeltlager in Blumthausen.»
«Wo ist denn das?», frage ich.
«Irgendwo im Westfälischen bei Hamm. Middle of Nowhere», kichert sie. Aber schöne Blumen.»
Ich will gerade Luft holen und etwas sagen, da spricht sie sofort weiter:
«Und wenn Sie nun gerade sagen wollten, früher hätte man Postkarten geschrieben, dann muss ich Ihnen klar sagen: Ich bin froh, dass die Postkartenzeit vorbei ist. Wie oft haben denn meine Eltern Postkarten von ihren Enkeln bekommen? Einmal, zweimal im Jahr, und selbst für das musste ich meine Kinder mit äusserster Gewalt zwingen, die habe ich im Hotelzimmer eingeschlossen und erst rausgelassen, wenn die Postkarte an Omi und Opi geschrieben war. Gehasst haben meine Kinder das! Gehasst! Und Omi und Opi wahrscheinlich auch, auch wenn sie das nie zugaben. Was wollen Sie denn auch schreiben, wenn Sie die halbe Karte füllen müssen, aber nur Sätze verwenden dürfen, die jeder lesen kann. Haben Sie jetzt nicht daran gedacht, gell? Die Karte war Allgemeingut, konnte jeder studieren.
Und dann die Transportzeit!
Stellen Sie sich vor, Lea würde heute eine Postkarte in Kalkutta aufgeben, die käme doch erst zu Weihnachten an, wenn überhaupt. Wie oft haben Sie Leute nach Ihren Ferien besucht und die Postkarte war noch längst nicht da, und wenn sie verloren gegangen war, musste man Ihnen noch glauben, dass Sie sie überhaupt geschrieben hatten.»
Ich muss zugestehen, dass das häufig der Fall war.
«Und was soll Tim für eine Karte schicken? Erinnern Sie noch an die Grüsse aus XY-Postkarten?»
O ja.
Vor meinem geistigen Auge entsteht ein Bild. Es ist eine viergeteilte Postkarte, im oberen Viertel sehe ich eine Gesamtansicht, daneben ein Rathaus aus den Sechzigern, unten links ein Freibad und unten rechts eine schmucklose Kirche. Im Schnittpunkt eine schlecht angedeutete Flagge mit der Aufschrift
GRÜSSE AUS BLUMTHAUSEN
Wenn der Ort noch nicht einmal ein Freibad hatte, das Rathaus nun doch echt zu scheusslich war und auch die Kirche nicht im Dorf war, dann kam man auf die Vierergruppe Gesamtansicht/Dorfladen/Hauptstrasse/Dorfbrunnen, was nun noch viel blöder wirkte.
«Und das Schreckliche», lacht die Dame weiter, «war doch auch, dass Orte wie Popeldorf und Pipelheim 10000 Stück dieser Teile bestellt hatten, aber nur 50 Karten aus diesen Käffern pro Anno geschrieben wurden, d.h. die Karten waren teils schon völlig vergilbt.»
«Also ich freue mich über viele Karten aus fernen Ländern, ich hänge sie sogar auf.»
«Ja, natürlich, eine Karte von den Osterinseln würde ich auch aufhängen, aber eine aus Bottrop?»
«Aber warum sagen dann so viele meiner Generation, ihre Kindern sollten wieder Postkarten schreiben?»
«Wissen Sie das wirklich nicht?
Es ist der Neid.
In Wirklichkeit heisst die Aufforderung, mal wieder Karten zu schreiben, doch: Ich wurde in meiner Jugend mit Gewalt, mit Drohungen, ich wurde mit Strafen und Hotelarrest zum Kartenschreiben gezwungen, WARUM SOLLST DU ES BESSER HABEN?»

Ping.

Ein WhattsApp ist angekommen. Die Lady guckt und streckt mir dann das I-Phone entgegen.
Ein Selfie vor der Statue of Liberty.
«Und das ging vor 50 Jahren auch nicht», so grinst sie, «haben Sie jemals eine Karte mit sich selbst drauf versandt?»

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