Die ältere
Dame, ich schätze sie trotz ihrer kecken Kurzhaarfrisur und ihrer schicken
Kleidung, trotz ihres modischen Lippenstiftes und ihrer Ringe, die keine
Oma-Ringe sind, auf über 80, tippt wie wild auf ihrem I-Phone herum, während
ich sie dabei beobachte. Wir sitzen und uns im Café gegenüber, weil wir beide
die letzten Plätze im Szenebistro Acapulco
ergattert haben. Nach einer Weile merkt die Lady, dass ich sie anschaue und
beginnt das Wort an mich zu richten:
«WhattsApp-Junkie»,
so kichert sie, «ich bin ein totaler WhattsApp-Junkie, Sie können sagen, was
Sie wollen, aber das Handy, später das Smartphone, ist die genialste Erfindung
seit der Entdeckung des Feuers. Sehen Sie mal, ich habe 8 Enkelkinder, und die
sind ständig unterwegs, reisen mal da und mal dort hin, sind auf Zeltlagern und
Backpacking-Trips, auf Kulturreisen und Rundfahrten, und immer schicken sie mir
ein nettes Foto und einen Gruss dazu. Da sehen Sie mal!»
Die nette
Dame zeigt mir ihren Bildschirm, auf dem ein Bild des Tadsch Mahal prangt.
«Da ist
meine Lea, die 20jährige Tochter meiner Tochter, gerade zwei Monate in Indien,
und ich bekomme so viele Nachrichten, dass ich das Gefühl habe, dabei zu sein.
Oder hier:»
Sie nimmt
das I-Phone wieder an sich und schiebt eine Weile auf dem Display, dann zeigt
sie mir eine Waldblume mit der Bemerkung Blumen
für Omi.
«Das ist von
meinem jüngsten Grosskind, dem Tim, der ist 10 und gerade in einem Zeltlager in
Blumthausen.»
«Wo ist denn
das?», frage ich.
«Irgendwo im
Westfälischen bei Hamm. Middle of Nowhere», kichert sie. Aber schöne Blumen.»
Ich will
gerade Luft holen und etwas sagen, da spricht sie sofort weiter:
«Und wenn
Sie nun gerade sagen wollten, früher hätte man Postkarten geschrieben, dann
muss ich Ihnen klar sagen: Ich bin froh, dass die Postkartenzeit vorbei ist.
Wie oft haben denn meine Eltern Postkarten von ihren Enkeln bekommen? Einmal,
zweimal im Jahr, und selbst für das musste ich meine Kinder mit äusserster
Gewalt zwingen, die habe ich im Hotelzimmer eingeschlossen und erst rausgelassen,
wenn die Postkarte an Omi und Opi geschrieben war. Gehasst haben meine Kinder
das! Gehasst! Und Omi und Opi wahrscheinlich auch, auch wenn sie das nie
zugaben. Was wollen Sie denn auch schreiben, wenn Sie die halbe Karte füllen
müssen, aber nur Sätze verwenden dürfen, die jeder lesen kann. Haben Sie jetzt
nicht daran gedacht, gell? Die Karte war Allgemeingut, konnte jeder studieren.
Und dann die
Transportzeit!
Stellen Sie
sich vor, Lea würde heute eine Postkarte in Kalkutta aufgeben, die käme doch
erst zu Weihnachten an, wenn überhaupt. Wie oft haben Sie Leute nach Ihren
Ferien besucht und die Postkarte war noch längst nicht da, und wenn sie
verloren gegangen war, musste man Ihnen noch glauben, dass Sie sie überhaupt
geschrieben hatten.»
Ich muss
zugestehen, dass das häufig der Fall war.
«Und was
soll Tim für eine Karte schicken? Erinnern Sie noch an die Grüsse aus XY-Postkarten?»
O ja.
Vor meinem
geistigen Auge entsteht ein Bild. Es ist eine viergeteilte Postkarte, im oberen
Viertel sehe ich eine Gesamtansicht, daneben ein Rathaus aus den Sechzigern,
unten links ein Freibad und unten rechts eine schmucklose Kirche. Im
Schnittpunkt eine schlecht angedeutete Flagge mit der Aufschrift
GRÜSSE AUS
BLUMTHAUSEN
Wenn der Ort
noch nicht einmal ein Freibad hatte, das Rathaus nun doch echt zu scheusslich
war und auch die Kirche nicht im Dorf war, dann kam man auf die Vierergruppe
Gesamtansicht/Dorfladen/Hauptstrasse/Dorfbrunnen, was nun noch viel blöder
wirkte.
«Und das
Schreckliche», lacht die Dame weiter, «war doch auch, dass Orte wie Popeldorf und
Pipelheim 10000 Stück dieser Teile bestellt hatten, aber nur 50 Karten aus
diesen Käffern pro Anno geschrieben wurden, d.h. die Karten waren teils schon
völlig vergilbt.»
«Also ich
freue mich über viele Karten aus fernen Ländern, ich hänge sie sogar auf.»
«Ja,
natürlich, eine Karte von den Osterinseln würde ich auch aufhängen, aber eine
aus Bottrop?»
«Aber warum
sagen dann so viele meiner Generation, ihre Kindern sollten wieder Postkarten
schreiben?»
«Wissen Sie
das wirklich nicht?
Es ist der
Neid.
In
Wirklichkeit heisst die Aufforderung, mal wieder Karten zu schreiben, doch: Ich
wurde in meiner Jugend mit Gewalt, mit Drohungen, ich wurde mit Strafen und
Hotelarrest zum Kartenschreiben gezwungen, WARUM SOLLST DU ES BESSER HABEN?»
Ping.
Ein
WhattsApp ist angekommen. Die Lady guckt und streckt mir dann das I-Phone
entgegen.
Ein Selfie
vor der Statue of Liberty.
«Und das
ging vor 50 Jahren auch nicht», so grinst sie, «haben Sie jemals eine Karte mit
sich selbst drauf versandt?»
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