Eines der
entzückenden Städtchen, die ich letztes Jahr verpasst habe, ist
Newark-on-Trent. Malerisch am gleichen Fluss wie Nottingham gelegen und nur
25 Zugminuten davon entfernt, bietet es eine uralte Burg, malerische Gassen und
Häuser, einen pittoresken Marktplatz und – wenn man ein wenig Pounds für ein
Taxi spendiert, einen Ausflug zu dem riesigen Herrensitz Kelmal Hall. Hat man
Glück, dann ist auf dem Markplatz Markt, im ganzen Städtchen ein Folklorefest
oder auf Kelmal Hall eine Gigantohochzeit der Indischen Oberschicht, hat man so
viel Glück wie ich, dann ist alles gleichzeitig, man schlendert also von
Markstand zu Marktstand, schaut sich zwischendurch einen Dance mit Stäben oder
Schellen an und darf schliesslich auf dem Herrensitz ca. 100 herrliche Saris
bewundern (allerdings scheint es der indischen Oberschicht sehr gut zu gehen,
einige Damen müssten mal vom S- oder M-Sari zu XL oder XXL wechseln…)
Newark-on-Trent
ist übrigens die Heimat jener, die das Städtchen mit genau dem identischen
Namen im Garden State New Jersey gegründet haben (New Newark klang so blöd…),
jenes Städtchen das den Inlandsflughafen beheimatet.
Man beginnt
den Rundgang durch Newark am Fluss Trent und damit am Castel, und hier beginnt
auch unsere Geschichte. Das Castel, eigentlich nur noch eine guterhaltene Ruine,
beherbergt jenen Turm, in dem King John 1216 sein Leben aushauchte. Fragen Sie
mich nun bitte nicht, was John sein Leben lang gemacht hat, ich habe es schon
wieder vergessen, wie ich auch vergessen habe, was Richard III gemacht hat, an
dessen letzter Ruhestädte ich letztes Jahr stand. Während ich also nun in der
Turmstube weilte und mit Interesse las, dass John ein Plantaget gewesen sei,
strömten auf einmal wieder alle die Houses, die Geschlechter, die Adelsfamilien
aus den Tiefen meines Gehirns und wollten sortiert werden: Kamen nach den
Plantagets die Yorks oder die Lancasters? Hatten das House of Lancaster und das
House of Stuart Krach oder war der Zoff zwischen Stuarts und Tudors? Wie war
die Reihenfolge jener Herrscher, wer hat wen abgemurkst, wer wen beerbt und wer
wen abgemurkst UND beerbt (übrigens der Normalfall). Obwohl ich viel gelesen
habe und inzwischen ALLE Königsdramen des grossen Meisters aus Stratford
gesehen, ich kriege dieses Zeug nicht langfristig in meinen Kopf.
Beim Ausgang
fragte ich nun, um mich ein wenig zu beruhigen, die Lady an der Kasse: «Excuse
me, Madam, I have one question, does a normal English person know all these
kings and queens and houses? Does he or she know the order of all that Yorks,
Lancasters, Stuarts and Tudors?» Die Antwort war in der Tat beruhigend:
«No.»
Keine
Engländerin und kein Engländer könne sich das merken, so die nette Frau im King
John-Turm, man habe einfach keine Chance alle diese Morde, Kriege, alle diese
Nebenfrauen und Nebenkinder, alle diese Zoffereien, alle diese Dinge nur
annähernd zu behalten. Ich solle mir also keine Gedanken machen, der normale
Mensch von der Insel wisse genau so viel wie ich, vielleicht sogar weniger. Im
Geschichtsunterricht gehe man, so die Lady, einfach punktuell vor:
Die Römer.
Dann die
Stuarts und die Tudors.
Dann der 1.
Weltkrieg.
Eventuell,
wenn man viel Zeit habe, nehme man noch ein wenig Industrialisierung und Kolonialgeschichte
dazu, das aber sei Geschmacksache.
Ich finde
den englischen Geschichtsunterricht vorbildhaft. Wozu sich mit den ganzen
Kämpfen zwischen York und Lancaster plagen, wenn man sie eh nicht behält? Wozu
irgendetwas durchnehmen, was eh keiner versteht? Römer, Tudors, und dann ab ins
20. Jahrhundert, so geht’s. Man könnte das auch wunderbar auf andere Fächer
ausdehnen. Wenn Sie z.B. schon mit 15 wissen, dass Sie eine Geisteswissenschaft
studieren wollen, können Sie Mathe mit dem Dreisatz beenden, Ehrenwort, mehr
brauchen Sie nicht, die Winkelfunktionen versteht eh kein Mensch.
Das Gespräch
mit der Dame ging übrigens noch weiter. Ich erzählte, dass ich in einem Land
wohne, das nie einen König hatte, und dass sich in der ganzen Schweiz nur ca.
10 Orte von Schlachten, also sogenannte Schlachtfelder befinden; sie schlug die
Hände über dem Kopf zusammen, soviel hätten sie allein im County (also in
Derbyshire, wo Newark liegt).
Und dies
brachte mich später, leider später, sehr viel später, als ich schon auf dem
Markt gewesen war, die Tänze mit Stab, Schellen, Bändern und Hüten gesehen
hatte und im Taxi nach Kelmal Hall zu den Saris sass, auf einen Gedanken:
Bei so
komplexen Historien wie der Britischen müsste man mit Negativmasken arbeiten.
So könnte
man z.B. auf einer Karte die Plätze markieren, wo die Yorks und Lancasters, die
Tudors und Stuarts sich NICHT bekämpften; eine Karte «Places without Battles in
England, Wales and Scotland» wäre viel übersichtlicher.
Man könnte
auch eine Liste der Könige machen, die NICHT auf eine krumme Tour um die Ecke gebracht
wurden, die also auf dem Schlachtfeld starben (da war Richard III der letzte)
oder im Bett den Odem aushauchten. Auch eine Liste «Kings and Queens not
Murdered» wäre klar, kurz und übersichtlich.
Froh und
zufrieden trat ich dann meine Heimfahrt nach Nottingham an um dann im Hotel
noch einmal eine Liste aller Königinnen und Könige durchzugehen, frohgemut,
weil ich nun wusste, wenn ich wieder alles vergesse, bin ich auf dem Stand
eines normalen Briten.
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