Freitag, 11. August 2017

England 5 (last): Die Pannen im eigenen Land



Im Zug zurück, im Eurostar, komme ich mit der Dame ins Gespräch, die neben mir sitzt. Sie ist Pariserin und befindet sich auf der Rückfahrt von einem Besuch bei Freunden in London.
Menschen, die mich kennen, werden sich nun fragen, wie ich denn mit einer Französin ins Gespräch kommen kann, da mein Französisch doch eher, sagen wir mal rudimentär ist. Die Lösung ist einfach: Die Dame spricht Englisch und zwar ein fliessendes, gutes mit starkem American Accent. Da mein Englisch ja seit meinem Austausch auch eher Amerikanisch gefärbt ist, ist das eine lustige Unterhaltung. Wie sie mir übrigens erzählt, hat sie in Missouri Anglistik studiert und in London auch keine Briten, sondern US-Bürger besucht.

Wie es immer bei so Gesprächen läuft, kommt man bei allen Themen vorbei, Länder, Städte, Hobbys und Vorlieben, Zug und Bus und Flug, das Wetter und die Politik, was man beruflich so macht und warum und wie gerne, welche Filme man mag und welche Musik nicht.
Well this is very nice, I thought
Smiling through the haze
As we talked of Auguste Rodin
Through to Harold Pinter's plays
Und wie immer bei solchen Talks kommt man natürlich auch auf das Reisen und das Zugfahren als solches.
Françoise, so der Name der Pariserin, findet das Zugsystem in England teuer, kompliziert und unzuverlässig. Ich kann dem nicht ganz beipflichten, ich halte dagegen, dass ich das System für preislich normal, allerdings kompliziert (das Erste Klasse-Ticket!) aber für zuverlässig halte. In Deutschland, erzähle ich, in Deutschland müsse Françoise es einmal wagen, in einen Zug zu steigen oder versuchen, von München nach Hamburg ohne 3 Stunden Verspätung zu gelangen.
Das erstaunt die Französin jetzt auf das Ärgste. Sie war davon ausgegangen, dass die Züge in der Bundesrepublik auf die Sekunde genau abfahren und auf die Sekunde genau ankommen, gemäss ihrem Deutschlandbild, dass Vokabeln wie
Wertarbeit
Pünktlichkeit
Zuverlässigkeit
Organisation
Qualität
beinhaltet.
Da muss ich ihr jetzt doch die Augen öffnen, muss ihr den Zahn ziehen, ich muss ihr reinen Wein einschenken und die Karten auf den Tisch legen. Und so beginne ich von der Mammutkonzerthalle zu erzählen, die Äonen zu spät fertig wurde und die Baukosten aufs 20fache beförderte, ich erzähle von der Elbphilharmonie, die nun alle loben und preisen, aber das letzte Jahrzehnt bei Norddeutschen Politikern das Herzinfarktrisiko Nummer 1 war.

Françoise hat noch nichts davon gehört.

Ich setze meine BRD-Schelte, das Augenöffnen, das Zahnziehen, ich setze das Reinenweineinschenken und das Kartenaufdentischlegen fort und berichte vom FBB, jenem Airport, von dem inzwischen kein Deutscher und keine Deutsche mehr glaubt, dass jemals irgendein Flugzeug von ihm starten wird – ausser ein paar Segelfliegern vielleicht.

Françoise hat noch ganz wenig davon gehört.

Jetzt wird es vor den Fenstern schwarz, wir sind im Tunnel. Und nun beginnt die Pariserin von eben diesem Tunnel und seinen Katastrophen zu berichten, Katastrophen, die man im Ausland so auch nicht mitbekommen hat (und die übrigens in Wikipedia auch fehlen):
Der Tunnel begann als ehrgeiziges, hochgelobtes und powervolles Projekt, alle waren begeistert, es wurden Aktien ausgegeben, die hoch zeichneten und von vielen ihrer Bekannten erworben wurden. Dann kam es zur ersten Ernüchterung, das Gestein 75 Meter unter dem Meeresboden war viel ekliger, härter und biestiger als man vermutet hatte, die Baukosten wurden erneut auf das Vierfache und die Bauzeit auf das Dreifache berechnet; die Aktien rasten in den Keller.
In den Folgejahren erschienen in schöner Regelmässigkeit die Schlagzeilen

EUROTUNNEL VOR DEM AUS?
WIRD ES DEN TUNNEL JE GEBEN?
TUNNELPROJEKT GESCHEITERT

Im Endeffekt pumpten die Französische Republik und das Vereinigte Königreich Milliarden in die Baustelle, um den Eurotunnel schlussendlich – wenn ebenfalls Äonen zu spät – doch möglich zu machen.
All das blieb unbekannt.

Die Moral von der Geschicht’:
Die Pannen im eigenen Land werden jenseits der Grenze nicht so intensiv wahrgenommen, wie man im Inland befürchtet.
Und das ist gut so.
Die Siege übrigens (leider) auch nicht, dass der Gotthardtunnel 12 Monate früher als geplant fertig wurde, wusste Françoise auch nicht.

P.S.: Obiges Zitat ist von Anne Clark, aus dem Lied «Hope Road». Unbedingt einmal auf YouTube suchen!




1 Kommentar:

  1. Francoise wusste 100% von den unpünktlichen Zügen der DB.


    Be very, very careful
    When people seem so nice
    It's not now that it's expensive
    Later on you pay the price.
    #noHopeRoad

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