Dienstag, 8. August 2017

England 4: In der Kirche bitte keine Vaterunser!



Ich muss Ihnen jetzt noch erzählen, was mir in der Kathedrale von Lincoln passiert ist, was ich dort erlebt habe, und das war so erschütternd, so schrecklich, dass ich jetzt noch ganz benommen bin.

Die Lincoln Cathedral ist eine der grössten und schönsten, die ich je besucht habe. Mächtig und gotisch, also sozusagen gotisch-mächtig thront sie auf dem Hügel, auf dem die Stadt entstand, hoch über den Ufern des Witham und inmitten von herrlichen Fachwerkhäusern. Der Eintritt in die Kirche beträgt 8 Pfund, ein Beitrag den man angesichts der Schönheit des Bauwerks und der Masse an Kunstschätzen, die sich in ihm befinden, gerne zahlt. Mit dem Ticket bekommt man einen Flyer ausgehändigt, der auf der einen Seite kurz die Geschichte der Lincoln Cathedral erzählt, auf der anderen befindet sich ein Grundriss mit Legende.
Und jetzt kommt’s:
Oben auf dieser Seite steht ein Grusswort der Dekanin von Lincoln.
Und die werte Dekanin belässt es nicht dabei, Sie in diesem doch recht sehenswerten Bauwerk und zu begrüssen und sich zu bedanken, dass Sie 8 Pfund zum Unterhalt des Gemäuers beitragen, nein, Sie wünscht Ihnen Momente der Ruhe und Stille im Gotteshaus und Gottes Segen.
Darf die das?
Scheinbar darf die das, sonst würde man Ihnen diesen Flyer nicht aushändigen dürfen, aber es geht noch weiter; beim Studium der einzelnen Punkte auf dem Lageplan und der Erklärungen in der Legende bemerken Sie, dass die Erläuterungen zu jedem Teil der Kirche geistlich angereichert sind. So steht da zum Beispiel:
Vierung
Die Vierung ist der zentrale Punkt, in dem sich das Längs- und das Querschiff schneiden, die zusammen eine Kreuzform bilden. Die Kreuzform weist auf das Kreuz Jesu Christi hin, das für jeden Christen das Zentrum seines Glaubens ist.
Und zur Erklärung der Kanzel steht:
Cathedra
Das Katheder ist die Kanzel eines jeden Bischofs und gibt der Kathedrale ihren Namen. Von hier wird der Bibeltext ausgelegt, der für die kommende Woche Leitung und Richtschnur sein soll.
Ich bin verdattert, ich bin erbost, ich bin erschüttert und von den Socken, wütend und fassungslos. Hier wird ein harmloses informatives Blatt dazu missbraucht, missionarisch zu arbeiten, hier werden der ahnungslose Bauwerksbesucher und die ahnungslose Bauwerksbesucherin mit Dingen belästigt, die sie nicht lesen wollen und die ihnen aufgezwungen werden.

Aber wenn Sie denken, es könne nicht schlimmer kommen, hier bitte:
Punkt 12.00, High Noon, steigt die Priesterin der Kirche auf das Katheder und bittet für einen Moment um Ruhe. Sie begrüsst die Anwesenden und sagt, sie freue sich darüber, dass alle den Weg in dieses Gotteshaus gefunden haben, die Kathedrale sei ein Ort der Stille und des Gebetes und nun lädt sie alle ein, mit ihr das Gebet des HERRN zu sprechen; und tatsächlich geht es los:
Our Father
Who art in Heaven..
Dann spricht sie noch den Aaronitischen Segen.
Fluchtartig verlasse ich die Kirche.

Hier wird also der heiter-harmlose Besuch eines wichtigen Bauwerkes dazu missbraucht, die Touristen mit Glaubensdingen zu belästigen. Zum Glück ist das bei uns anders, niemals würde ein Pfarrer das Wort ergreifen, in den Flyern werden Worte wie Gott, Jesus, Gebet und Kreuz vermieden, es wird um Rücksicht für die wenigen einzelnen gebeten, die doch eine Kirche als Gebetsort benutzen, aber stets in dem Tonfall, dass jene eigentlich die Ausnahme sind, es wird bei uns alles getan, dass eine Touristin oder ein Tourist nicht irgendwie an irgendetwas Geistlichem Anstoss nehmen könnte.
Gut so.

Jetzt könnten Sie einwenden, dass die Lincoln Cathedral ja doch ein Gotteshaus ist, dass die Priesterin sozusagen Hausrecht hat und selbstverständlich zur Mittagsstunde das Our Father sprechen darf, Sie könnten einwenden, dass diejenigen, die das nicht hören wollen, ja nur weghören müssen. Aber um dieses Ignorieren geht es ja gerade. Ich will da nichts ignorieren müssen, ich will in Ruhe ein schönes Bauwerk ansehen – das aus Versehen eine Kathedrale ist, wofür es nichts kann – und mit nichts Religiösem belästigt werden.

Sie könnten aber auch bemerken, dass, wenn man eine Moschee besichtigt, man ganz selbstverständlich vom Guide eine Menge über den Islam, Mohamed und den Koran erzählt bekommt… Aber das ist es doch gerade! Sie gehen aus architektonischem Interesse in eine Moschee, werden infiltriert, nach zwei Wochen wächst Ihnen ein Vollbart und nach 4 Monaten sind Sie beim IS. Genau so kann das bei einer Kathedrale auch passieren, Sie wollen einfach nur ein wenig Gotik gucken, dann werden Sie missioniert, nach einem halben Jahr trinken Sie keinen Alkohol mehr, haben keinen Sex und buchen Ihre Ferien nur noch in Bad Liebenzell oder auf St. Chrischona.
Wehret den Anfängen!

So sollte eigentlich bei jeder Kirche ein Schild stehen:
DIES IST EINE KIRCHE.
LEIDER IST BEI DER BESICHTIGUNG EINE BERÜHRUNG MIT RELIGIÖSEN INHALTEN NICHT GANZ ZU VERMEIDEN.
WIR ENTSCHULDIGEN UNS DAFÜR UND WÜNSCHEN EINEN SCHÖNEN AUFENTHALT.  



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