Ich muss
Ihnen jetzt noch erzählen, was mir in der Kathedrale von Lincoln passiert ist,
was ich dort erlebt habe, und das war so erschütternd, so schrecklich, dass ich
jetzt noch ganz benommen bin.
Die Lincoln
Cathedral ist eine der grössten und schönsten, die ich je besucht habe. Mächtig
und gotisch, also sozusagen gotisch-mächtig thront sie auf dem Hügel, auf dem
die Stadt entstand, hoch über den Ufern des Witham und inmitten von herrlichen
Fachwerkhäusern. Der Eintritt in die Kirche beträgt 8 Pfund, ein Beitrag den
man angesichts der Schönheit des Bauwerks und der Masse an Kunstschätzen, die
sich in ihm befinden, gerne zahlt. Mit dem Ticket bekommt man einen Flyer
ausgehändigt, der auf der einen Seite kurz die Geschichte der Lincoln Cathedral
erzählt, auf der anderen befindet sich ein Grundriss mit Legende.
Und jetzt
kommt’s:
Oben auf
dieser Seite steht ein Grusswort der Dekanin von Lincoln.
Und die
werte Dekanin belässt es nicht dabei, Sie in diesem doch recht sehenswerten
Bauwerk und zu begrüssen und sich zu bedanken, dass Sie 8 Pfund zum Unterhalt
des Gemäuers beitragen, nein, Sie wünscht Ihnen Momente der Ruhe und Stille im
Gotteshaus und Gottes Segen.
Darf die
das?
Scheinbar
darf die das, sonst würde man Ihnen diesen Flyer nicht aushändigen dürfen, aber
es geht noch weiter; beim Studium der einzelnen Punkte auf dem Lageplan und der
Erklärungen in der Legende bemerken Sie, dass die Erläuterungen zu jedem Teil
der Kirche geistlich angereichert sind. So steht da zum Beispiel:
Vierung
Die Vierung ist der zentrale Punkt, in dem
sich das Längs- und das Querschiff schneiden, die zusammen eine Kreuzform
bilden. Die Kreuzform weist auf das Kreuz Jesu Christi hin, das für jeden
Christen das Zentrum seines Glaubens ist.
Und zur
Erklärung der Kanzel steht:
Cathedra
Das Katheder ist die Kanzel eines jeden
Bischofs und gibt der Kathedrale ihren Namen. Von hier wird der Bibeltext
ausgelegt, der für die kommende Woche Leitung und Richtschnur sein soll.
Ich bin verdattert,
ich bin erbost, ich bin erschüttert und von den Socken, wütend und fassungslos.
Hier wird ein harmloses informatives Blatt dazu missbraucht, missionarisch zu
arbeiten, hier werden der ahnungslose Bauwerksbesucher und die ahnungslose
Bauwerksbesucherin mit Dingen belästigt, die sie nicht lesen wollen und die
ihnen aufgezwungen werden.
Aber wenn
Sie denken, es könne nicht schlimmer kommen, hier bitte:
Punkt 12.00,
High Noon, steigt die Priesterin der Kirche auf das Katheder und bittet für
einen Moment um Ruhe. Sie begrüsst die Anwesenden und sagt, sie freue sich
darüber, dass alle den Weg in dieses Gotteshaus gefunden haben, die Kathedrale
sei ein Ort der Stille und des Gebetes und nun lädt sie alle ein, mit ihr das
Gebet des HERRN zu sprechen; und tatsächlich geht es los:
Our Father
Who art in Heaven..
Dann spricht
sie noch den Aaronitischen Segen.
Fluchtartig
verlasse ich die Kirche.
Hier wird
also der heiter-harmlose Besuch eines wichtigen Bauwerkes dazu missbraucht, die
Touristen mit Glaubensdingen zu belästigen. Zum Glück ist das bei uns anders,
niemals würde ein Pfarrer das Wort ergreifen, in den Flyern werden Worte wie
Gott, Jesus, Gebet und Kreuz vermieden, es wird um Rücksicht für die wenigen
einzelnen gebeten, die doch eine Kirche als Gebetsort benutzen, aber stets in
dem Tonfall, dass jene eigentlich die Ausnahme sind, es wird bei uns alles
getan, dass eine Touristin oder ein Tourist nicht irgendwie an irgendetwas
Geistlichem Anstoss nehmen könnte.
Gut so.
Jetzt
könnten Sie einwenden, dass die Lincoln Cathedral ja doch ein Gotteshaus ist,
dass die Priesterin sozusagen Hausrecht hat und selbstverständlich zur
Mittagsstunde das Our Father sprechen darf, Sie könnten einwenden, dass diejenigen,
die das nicht hören wollen, ja nur weghören müssen. Aber um dieses Ignorieren
geht es ja gerade. Ich will da nichts ignorieren müssen, ich will in Ruhe ein
schönes Bauwerk ansehen – das aus Versehen eine Kathedrale ist, wofür es nichts
kann – und mit nichts Religiösem belästigt werden.
Sie könnten aber
auch bemerken, dass, wenn man eine Moschee besichtigt, man ganz
selbstverständlich vom Guide eine Menge über den Islam, Mohamed und den Koran
erzählt bekommt… Aber das ist es doch gerade! Sie gehen aus architektonischem
Interesse in eine Moschee, werden infiltriert, nach zwei Wochen wächst Ihnen
ein Vollbart und nach 4 Monaten sind Sie beim IS. Genau so kann das bei einer
Kathedrale auch passieren, Sie wollen einfach nur ein wenig Gotik gucken, dann
werden Sie missioniert, nach einem halben Jahr trinken Sie keinen Alkohol mehr,
haben keinen Sex und buchen Ihre Ferien nur noch in Bad Liebenzell oder auf
St. Chrischona.
Wehret den
Anfängen!
So sollte
eigentlich bei jeder Kirche ein Schild stehen:
DIES IST
EINE KIRCHE.
LEIDER IST
BEI DER BESICHTIGUNG EINE BERÜHRUNG MIT RELIGIÖSEN INHALTEN NICHT GANZ ZU
VERMEIDEN.
WIR
ENTSCHULDIGEN UNS DAFÜR UND WÜNSCHEN EINEN SCHÖNEN AUFENTHALT.
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