Urs, ein
Freund aus Zürich rief mich Mitte Mai an. Und neben vielem anderen Geplauder
erwähnt er, er müsse nächste Woche nach Basel, vielleicht könne man sich
treffen, dummerweise war ich genau die Woche weg. «Aber, wenn ich dich schon
gerade an der Strippe habe», so Urs, «ich muss am Nachmittag von Binningen nach
Dornach, das ist doch der 2er bis Bahnhof und dann der 10er, oder?» Tja, meinte
ich, das sei zurzeit nicht ganz so einfach, Basel sei eine einzige Baustelle.
In Binningen müsse er den Schienenersatzbus bis Bahnhof nehmen, weil Binningen
ein einziges klaffendes Loch sei, dann könne er am Bahnhof in die 2 umsteigen,
die eine andere Strecke fahre, bis M-Parc; der 10er und der 11er könnten
nämlich nicht über den Bahnhof, weil der Aeschengraben aufgerissen sei, am
M-Parc müsse er auf die Linie 10 oder 11 warten, eine Station bis Dreispitz, am
Dreispitz warte dann wieder ein Schienenersatzbus bis Dornach, weil auch im
Birstal die Gleise komplett erneuert werden.
«Kannst du
mir das noch mal aufschreiben und als WhatsApp schicken?»
«Klar, mache
ich.»
Und jetzt kam
ein Satz von Urs, über den ich noch lange nachdenken muss: «Ihr macht das
richtig in Basel, wenn Chaos, dann komplett.»
Ich denke
schon, dass mein Zürcher Freund – ja, verdammt, es ist ein lieber und netter
Freund von der Limmat, was ist schon dabei, jeder Basler hat Freunde in Zürich,
die meisten geben es nur nicht zu – die Bemerkung leicht sarkastisch gemeint
hat. Aber eigentlich ist es völlig richtig: Wenn Chaos, dann komplett, oder
präziser formuliert: Ein temporäreres Totaldurcheinander ist besser als ein
ewiges Leichtdurcheinander. Wenn ich mich eh über eine Änderung der
Fahrtstrecke informieren und diese aufschreiben muss, dann ist es völlig
wurscht, ob ich zwei oder drei Zeilen schreibe. Wenn mein normaler Weg nicht
geht, muss ich sowieso an den PC und recherchieren. Wenn der 2er eh die normale
Strecke nach Binningen nicht bedienen kann, dann kann er auch die 10 und 11 am
Peter Merian ersetzen.
Ich glaube,
viele Dinge auf dieser Welt wären einfacher, wenn man den Mut zu einem
temporären Totalchaos hätte.
Sie kennen
das vielleicht vom Küche-Umräumen. Meistens hat man den Mut nicht, alle Formen
und Pfannen, alle Gläser und Tassen, hat man nicht den Mumm alle Tiegel und
Töpfe, Messer und Löffel auf den Küchenboden zu stellen und dann neu
einzuräumen. Nein, man fängt damit an, dass man die zwei Teetassen, die bei den
Gläsern so blöd aussehen, zu den Kaffeetassen schaffen will, wo sie nicht
hineinpassen, worauf man alle Kaffeetassen (samt Teetassen) in ein grösseres
Fach tut, ein Fach, in dem aber bis jetzt die Gratinformen waren, diese schafft
man… Am Ende steht nach zwei Stunden der gesamte Küchenkasteninhalt auf dem
Fussboden, eine Situation, die man ja gerade vermeiden wollte.
Mut zum
temporären Totalchaos.
«Chaos» ist
ja eigentlich die Altgriechische Übersetzung des Althebräischen «tohu wa bohu»,
wüst und leer, also des Zustandes vor der Erschaffung der Welt in der Genesis,
bibelologisch exakt 1. Mose 1, Vers 2. Aus einem Chaos oder einem Tohuwabohu
kann also durchaus etwas Brauchbares entstehen.
Nehmen wir
doch mal die EU: Wäre es nicht angesagt, die ganze Sache mal ein halbes Jahr
auf Eis zu legen, Zähler auf null, die ganzen BrüBürs (Brüsseler Bürofritzen)
bekommen 6 Monate Urlaub, und in der Zeit darf jedes Land noch mal entscheiden,
ob es dabei sein möchte oder nicht. Und dann schaut man sich die Landkarte an,
und guckt, ob das Ding noch Sinn macht; eine Union Norwegen – Slowakei –
Italien – Irland wäre zwar unglaublich spannend, aber ein Staatenbund ohne eine
einzige Grenzberührung ist ja nich so doll.
Oder nehmen
wir die Schulpolitik: Da fordert irgendjemand ein Fach Diskutieren mit drei
Wochenstunden, und die will man den SuS ja nicht einfach zusätzlich aufbrummen,
also müssten irgendwelche anderen Fächer um je 45 Minuten gekürzt werden, hat
man die endlich zusammen, es ist sowieso wieder Musik, Kunst und Sport, müsste
dort der Stoff geschmälert werden, ein Ding der Unmöglichkeit, da jedes Fach
jeden noch so blöden Inhalt mit Zähnen und Klauen verteidigt. («Kein
Quintenzirkel mehr – das ist der Untergang des Abendlandes!» «Wenn wir keinen
Linolschnitt mehr machen, ist der Planet am Ende.» «Dann könnten wir kein Reck
und keine Ringe mehr machen und wo kämen wir da hin?)
Besser wäre
doch, erst einmal alle traditionellen Fächer abzuschaffen und dann einen neuen
Kanon zusammenzustellen. Nein, die wurden nicht in 1. Mose 1 zusammen mit der
Erde erschaffen, da muss
ich Ihnen entschieden widersprechen, die hiessen auch schon
ganz anders, z.B. Algebra/Geometrie/Musik/Astronomie und
Grammatik/Rhetorik/Dialektik; Disputkunde WAR also sogar schon einmal
Schulfach.
Wenn Chaos,
dann richtig. Richtig alles durcheinanderwerfen und neugestalten. Ein Tohuwabohu
machen, und dann alles auf Anfang.
Während ich nun
die Message für Urs schrieb, fiel mir ein, dass sie ja auch noch die Mittlere
Brücke im Juni sperren.
Was der
Basler macht, macht er richtig.
Und wenn es
das Chaos ist.
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