Neulich
wachte ich an einem Sonntag schon früh auf und wollte auf einmal doch endlich
wissen, was mit mir los ist. Ich hatte wieder heftig geträumt, hatte im Traum
den Kölner Dom gesprengt und auf den Trümmern der gotischen Kathedrale eine
Katze vergewaltigt, ich hatte in einer zweiten Traumphase den Trottoirbelag der
Kö’ mit Eigelb bestrichen, während ich die Internationale sang.
Abgesehen
davon, dass ich scheinbar auch in meinen Träumen sehr ausgewogen bin – es
kommen sowohl die Kölner als auch die Düsseldorfer dran:
Was war nur
mit meiner Psyche los? Ich beschloss, an diesem Sonntag nur den halben Tag in
die Badi zu gehen und die zweite Tageshälfte für einige Psychotests zu nutzen.
Glücklicherweise
muss man sich für solche Tests inzwischen keine Frauenzeitschriften mehr
kaufen, man findet alles online, ich meinte aber auch nicht solche Tests wie Bin ich ein gehemmter Mensch?, Bin ich zu gutgläubig? oder Habe ich Ängste? (als ob man das nicht
wüsste…), sondern seriöse, fundierte, von psychologischen Expertenteams
ausgearbeitete Fragebögen zu ADHS, Bipolarer Störung, zu Asperger-Syndrom und
Borderline. Ich verkroch mich also hinter meinen Laptop und hatte 4 Stunden
später die folgenden Ergebnisse:
ADHS 45 JA von 70 Fragen
Bipolar 35 JA von 60 Fragen
Asperger 67 JA von 100 Fragen
Borderline 78 JA von 160 Fragen
Was konnte
ich nun daraus schliessen? Die simple mathematische Antwort verbat sich, nach
dieser hätte ich alle vier Störungen gleichzeitig gehabt. Und das konnte
schlichterdings (sic) nicht sein. Also ging ich die Tests noch einmal durch und
stiess auf eine Fülle von Fragen, die in sämtlichen Bögen erschienen, Fragen,
die auf das Feststellen einer Psychostörung im Allgemeinen hinzielten, nicht
aber dazu taugten, eine spezielle von anderen abzugrenzen.
Am meisten
verwunderte mich hier eine bestimmte Frage, die in vier Varianten vorkam:
Denken Sie
viel über sich und die Welt nach?
(ADHS-Test
Frage 23)
Denken Sie
viel über die Welt und sich selbst nach?
(Bipolar-Test
Frage 47)
Sind Sie oft
am Nachdenken, über sich und die Welt?
(Asperger-Test
Frage 83)
Stimmt der
Satz für Sie: Ich denke viel über mich und die Welt nach.
(Borderline-Test
Frage 103)
Das war
jetzt wirklich alarmierend, ist Nachdenken pathologisch?
Gewiss, in
einer Zeit, wo eben nicht mehr nachgedacht wird, muss jemand, der sein Leben
und seine Schritte, der sein Umfeld und seine Sitten be-denkt, über-denkt, der
einer Sache nach-denkt und anderes voraus-denkt wie ein totaler Irrer
erscheinen. Und häufig hört man ja auch so Sätze über Leute, die in der Klinik
landen: «Er hat auch immer so viel gegrübelt.» oder «Er musste ja auch immer so
viel nachdenken.»
Es ist ein
Wunder, dass es noch keine Präventionskampagnen, dass es keine Prophylaxe, es
ist ein Wunder, dass es keine Warnhinweise gibt. Aber vielleicht kommt das
noch.
Eine
Horrorvision:
In den
Buchläden sind alle philosophischen Bücher und alle mit einem Philosophietouch
mit Banderolen umwickelt:
·
NACHDENKEN
KANN ZUR SUCHT WERDEN –
FANGEN SIE AM
BESTEN GAR NICHT ERST DAMIT AN.
·
AUFHÖREN
MIT NACHDENKEN? – IHR FERNSEHSENDER WEISS RAT! WENDEN SIE SICH AN VOX, RTL ODER SAT1.
·
VORSICHT!
DIESES BUCH ENTHÄLT PHILOSOPHISCHE BETRACHTUNGEN UND IST NUR IN KLEINEN DOSEN
ZU VERWENDEN
Gut, viele
Philosophen, viele Schriftsteller und Dichter, viele Nach-Denker hatten einen
Hau – aber eben nicht alle. Es gibt und gab durchaus Menschen, bei denen das
Denken nicht zu einer sofortigen Einweisung in die Klapse führte. Ja, ich wage
sogar die Behauptung, dass der Anteil der Philosophen, Schriftsteller und
Dichter, die ihr Leben wirklich in geistiger Umnachtung beschlossen, weit unter
50% liegt. Es ist halt nur viel spektakulärer, wenn ein Denker intensiv über
das Leben nachdenkt, dann zum Schluss kommt, dass alles ein «Haschen nach Wind»
sei und depressiv wird, als wenn ein Denker über das Leben nachdenkt und am
Ende findet, alles sei sehr Ok und sogar richtig gut, die «bestmögliche aller
Welten». Nicht das Denken hat den ersten in die Klapse getrieben, sondern eine
schon vorher dagewesene Depression, anders formuliert: Denken schadet hier
nicht.
Neulich
wachte ich an einem Sonntag schon früh auf und wollte auf einmal doch endlich
wissen, was mit mir los ist. Nach den diversen Tests war ich auch nicht
schlauer. Nur eines war klar: Mit Denken höre ich nicht auf.
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