Montag, 22. Mai 2017

Sic veniat... Keine Wortspiele mehr!



Wenn Sie jetzt verzweifelt nach s.i.v.i. gesucht haben, das ist natürlich eine Erfindung von mir. Was es gibt, ist s.v.v.
S.v.v. heisst «sit venia verbo», möge dem Worte Verzeihung sein oder freier «man verzeihe diesen Ausdruck».
Ich werde immer wieder von Schülern gefragt, warum alle die schönen Wörter, die sie so gerne schreiben wollen und nicht dürfen, im DUDEN stehen. Und ich erkläre ihnen dann, dass es manchmal – aber eben nur manchmal – vom Kontext her eine unseriöse Sprache braucht.
Als der Matrose das Schiff verliess, wollte er nur noch zwei Dinge: Seinen Hunger stillen und seinen geschlechtlichen Bedürfnissen nachkommen.
Klingt blöd, gell? Man müsste doch, wenn die Story im Hafenmilieu spielt, und wenn man ein wenig Matroseninnenschau betreibt, schreiben:
Als der Matrose das Schiff verliess, wollte er nur noch zwei Dinge: Fressen und Ficken.
Und für diese Fälle hat der DUDEN auch Sexvokabular und Fäkalvokabular, hat Obszönwortschatz und Untergürtelformulierungen aufgenommen, markiert mit «derb», was besagt: Wenn du es unbedingt schreiben willst oder musst, dann schreibe es richtig, aber schreibe es nur, wenn du über Matrosen und Huren, wenn du über Trump oder ähnliche Herren, wenn du über reiche oder arme Prolos schreibst.
Natürlich setzt das Setzen des s.v.v. ein gewisses sprachliches Schamgefühl voraus. In pseudojugendsprachlichen Machwerken – Roman wäre hier das falsche Wort – wie Axolotl Road Kill vermisst man es, es würde den Sprachfluss auch sehr hemmen
Ich bin eine verfickte (s.v.v.) Scheiss- (s.v.v.) Schlampe (s.v.v.), die…
Bestimmte Autoren verwenden es viel, andere weniger. Wer war wohl – wir machen nun ein kleines Quiz – der SVV-König?
o Alfred Döblin
o Thomas Mann
o Günter Grass
o Erich Kästner
Natürlich Thomas Mann, bei ihm passt das einfach, zu seiner seriösen Lebensweise, zu seiner Kleidung, zu seiner Vornehmheit. Ob er allerdings, wenn er im Hotel den Boy vernascht hat, auch beim Dirty Talk es jeweils einflocht, wird nicht herauszufinden sein. («Jetzt fick, sit venia verbo, ich dich in den Arsch, sit venia verbo, du geile, sit venia verbo, Stute…»)

Das s.v.v. gibt es also, das s.v.i.v. gibt es nicht.
Dabei wäre es doch viel nötiger. Ja, ich fordere alle Wurfzeitungsjournalisten, alle Werber und Plakattexter, alle Schlagzeilenerfinder und Überschriftenmacher, ich fordere alle Herumschreiber und Herumschmotzer, alle, die sich für so originell und so witzig halten, auf, doch beständig dieses Kürzel zu verwenden!
Denn so schlimm für manche Augen und Ohren ein obszönes, ein dreckiges Wort ist, Wortspiele sind viel, viel schlimmer. Ich bin den ganzen Tag nur am Stöhnen, was Wurfzeitungsjournalisten, Werber und Plakattexter, was Schlagzeilenerfinder und Herumschreiber sich so einfallen lassen.
Zoo herzig wirbt da der Tierpark Rapperswil und wird an Blödheit nur vom Zoo Zürich übertroffen, der die Interjektion Zooh! kreiert. In welch kranken Hirnen entstehen solche Dummheiten? Und sind uns vielleicht Formulierungen wie Zoofort zum Affen, Ich füttere, alzoo bin ich und Gönn Dirpark nur deshalb erspart geblieben, weil man ja nur EINEN Schwachsinn aufs Plakat setzen kann?

Ursache ist ein Vorgang, den man gemeinhin als Brainstorming, deutsch und netter als Gehirnsturm bezeichnet. Ein Brainstorming funktioniert so: 15 Minuten darf alles gedacht und gesagt werden, es wird alles aufgeschrieben und – das ist elementar wichtig – nichts kommentiert. Ein Gehirnsturm geht von der Maxime aus, dass in den Tiefen unserer grauen Zellen kreative, originelle, dass dort witzige und gehaltvolle, dass dort anspruchsvolle, ansprechende und künstlerische Dinge schlummern, die wir durch Selbstzensur und Angst vor der Ablehnung durch andere zurückhalten. (…ich hab da ne Idee, aber die ist zu doof, das sag ich jetzt lieber nich…) Wenn dem so ist, ist ein Brainstorming das richtige Mittel.
Aber:
Nicht in allen Hirnen schlummern kreative und originelle, witzige und anspruchsvolle schlummern ansprechende, gehaltvolle und künstlerische Dinge, es gibt leider Hirne, in denen sich nur Müll befindet. Und die Inhaber solcher Müllhirne tun gut daran sich selbst zu zensieren, sich zu fragen, ob man diese Bemerkung jetzt wirklich fallen lassen soll.
Das Dummchen Ulla aus Ladykracher ist ein schönes Beispiel für eine solche Person, wenn sie den Obdachlosen fragt, warum er stinkt und nicht geduscht hat oder die beiden Schwulen darauf hinweist, dass sie, wenn sie so weitermachen, ja gar keine Frau finden.
Das heisst nun im Klartext: Wenn Deppen brainstormen, wenn sie gehirnstürmen, dann kommt da einfach eine Viertelstunde lang Mist aufs Papier, diese Technik ist für gehemmte Kluge gedacht, die sich nicht trauen eine schöne Formulierung zu präsentieren, nicht für Idioten, die eh schon den ganzen Tag quasseln.
Und so entstehen dann eben Sachen wie zoo herzig oder Zooh!

Und noch etwas: Man muss auch kapieren, wo ein Brainstorming angebracht ist und wo nicht. Im Oval Office kann man gehirnstürmen, wenn keine Journalisten dabei sind. In der Pressekonferenz sollte man überlegt reden, das hat Trump noch nicht kapiert, überhaupt ist sein ganzes Auftreten ein permanentes Brainstormen eines Müllhirnes.

Hört also bitte auf mit dieser Technik, falls ihr keine gehemmten Klugen seid; und hört auf mit den Wortspielen, tut sie fort, macht sie zu Fortspielen.

Ups…
Sit venia ioco verborum!



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