Stellen Sie
sich vor, Angela Merkel wird dabei ertappt, wie Sie sich während eines
Wirtschaftsgipfels in Tokio einen Callboy ins Hotel kommen lässt.
Wahrscheinlich übersteigt das jetzt Ihre sämtlichen Vorstellungskräfte, aber
bemühen Sie bitte doch ganz intensiv Ihre Phantasie. Wie ist Ihre Reaktion?
Empörung? Wut? Enttäuschung? Müsste Mutti Ihrer Meinung nach zurücktreten?
Ihren Job abgeben? Wäre sie moralisch und gesellschaftlich unten durch?
Stellen Sie
sich vor, Sie erfahren, dass Hans Rosenthal sein halbes Leben an der Spritze
gehangen hat. Wahrscheinlich übersteigt das jetzt Ihre sämtlichen
Vorstellungskräfte, aber bemühen Sie bitte doch ganz intensiv Ihre Phantasie.
Wie ist Ihre Reaktion? Empörung? Enttäuschung? Depression? Könnten Sie sich
noch unbedarft an Dalli-Dalli erinnern? Wäre er moralisch und TV-historisch
unten durch?
Stellen Sie
sich vor, es kommt heraus, dass RICOLA® seit Jahren übelste Chemikalien wie
PVC, PET, Glykol, Stoffe wie Asbest und Folsäure, wie Fluoride und Ammoniak in
ihre Kräuterbonbons kippt. Wahrscheinlich übersteigt das jetzt Ihre sämtlichen
Vorstellungskräfte, aber bemühen Sie bitte doch ganz intensiv Ihre Phantasie.
Wie ist Ihre Reaktion? Sind Sie empört, erstaunt, sind Sie wütend, enttäuscht,
zornig? Finden Sie RICOLA® müsste schliessen?
Es ist
merkwürdig, dass wir gewissen Leuten Sachen nicht zugestehen, die bei anderen
völlig normal sind. Setzen Sie doch für Merkel Putin, Trump, setzen Sie
Berlusconi oder Kennedy. Nutten im Hotel? Geschenkt. Sexorgien nach Tagungsende?
Peanuts. Es ist völlig normal, dass nach harten Verhandlungen ein bisschen
Spass auf dem Programm steht.
Warum soll
Hänschen nicht gefixt haben dürfen? 80% der Leute im Showbiz nehmen Heroin,
Hasch, nehmen LSD oder Koks, saufen wie die Löcher oder fressen Tabletten.
Und warum
soll RICOLA® nicht ein wenig nachhelfen dürfen, nachhelfen, was ja schliesslich
alle tun? Bei Coca Cola fragen wir auch nicht so genau, was drin ist, auch
nicht bei MARS, SNICKERS oder TWIX, wir ignorieren die 129874 Gifte in Süssgetränken
und Kaugummis, in Fertigpizzen und Fertigsaucen.
Warum also
wären auf Mutti liegende nackte Japaner, warum wäre der sich auf dem ZDF-Klo
die Nadel setzende Rosenthal, warum wäre
die RICOLA®-Fabrikation mit grossen Kesseln, in die gerade ein roter Schleim
fliesst – Sie merken, ich helfe Ihrer Phantasie doch ein wenig auf die Sprünge
– so eine totale Katastrophe?
Weil es
Menschen, Länder und Dinge gibt, die wir mit den Attributen
sauber
anständig
integer
rein und
keusch
lieb und
nett
verbinden.
Und denen
gestehen wir Dinge, die bei anderen völlig normal sind nicht zu. Es würde für
uns sonst eine Welt kaputt gehen. Merkel, Rosenthal und RICOLA® symbolisieren
eine heile Welt.
Zu diesen
Sachen gehört auch die Schweiz. Das saubere, anständige, das integre, das reine
und keusche, das liebe und nette Land darf eben auch scheinbar gewisse Dinge
nicht, die wir bei anderen akzeptieren. Wir haben es tapfer ignoriert, aber es
ist Tatsache:
Die
Eidgenossen haben einen Geheimdienst.
Diese
Erkenntnis ist an sich schon schrecklich, sie ist furchtbar, weil sie nicht zu
unserem Bild passt, unserem Bild, in dem Heidi vorbeizieht und ihre Ziegen
füttert, unser Bild, in dem friedliche Eidgenossen Alphörner blasen, jodeln, in
dem sie sich auf dem Dorfplatz zu (belanglosen) Abstimmungen treffen und
hinterher bei einem Pflümli jassen. Geheimdienst und Eidgenossenschaft passen
in unserer Vorstellung so wenig zusammen wie Sex und Mutti, Hänschen und Drogen
oder RICOLA® und Chemiegifte.
Jetzt kommt
es aber noch schrecklicher: Der Schweizer Geheimdienst schnüffelt in anderen
Ländern herum!
Gute Güte!
Es ist ein
Geheimdienst!
Und
Geheimdienste haben die Aufgabe zu schnüffeln. Und wie bei den oben genannten
Beispielen messen wir wieder mal mit zwei Massstäben, die so verschieden sind
wie Aare und Amazonas. Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass diese verdammte
NSA überall ihre Finger drin hat, dass keine Info vor ihr sicher ist und dass
über jeden Europäer irgendwo in Atlanta oder NY, in Washington, Chicago oder
L.A., in Seattle oder Boston ein Dossier lagert, aber den braven Schweizern
gesteht man das nicht zu.
Aber darf
ein CH-Spion im Ausland…?
Wo denn
sonst? BND, Secret Service, CIA, NSA, KGB und wie sie alle heissen sind für
Auslandsspionage ins Leben gerufen worden, und der Schweizer Geheimdienst eben
auch. Der eidgenössische Spion hat nur einen Fehler gemacht: Er hat sich
erwischen lassen.
Seien wir
also nicht ungerecht zu den Braven und Lieben, wenn sie etwas tun, was nicht in
unser Bild passt. Es ist nämlich ganz schön anstrengend, immer das saubere und
cleane Bild abzuliefern, das die Welt will.
Und in einem
Punkt kann ich Sie beruhigen: Hans Rosenthal war zwar kein Junkie, aber er war
einmal pro Jahr sturzbetrunken. Am Purimfest. Da müssen gläubige Juden sich nämlich
bis zur Besinnungslosigkeit besaufen.
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