Donnerstag, 25. Mai 2017

Was teuer war, muss gut sein



Wenn ich am Stuttgarter Hauptbahnhof stehe und durch die Fenster im Bauzaun auf das riesige Höllenloch starre, das Höllenloch, das früher einmal Park hiess und das der neue Bahnhof werden soll, wenn ich also in die Grube blicke und den Stuttgart 21-Wahnsinn betrachte, dann denke ich: «Heute schlimm, aber irgendwann…»

Denken wir doch mal ein wenig in die Zukunft:

Die einwöchigen Feierlichkeiten zur Eröffnung des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofes wurden zu einem glanzvollen Triumph aller, die trotz Bau- und Montageschwierigkeiten, die trotz Verdreifachung der Kosten, trotz nie aufhörender Proteste immer an den Erfolg des Projektes Stuttgart 21 geglaubt hatten. Durch das Zusammenarbeiten aller Kulturinstitutionen der Neckarmetropole entstand eine einzigartige Kunstwoche, die die Schalterhalle zur Galerie, zur Ballett- und Schauspielbühne, zum Konzertsaal und zur Oper machten und rund um die Uhr das Thema «Mobilität» von allen Seiten beleuchtete. Die 7 Tage gipfelten im Zerschneiden des Roten Bandes durch den Schirmherren der Feierlichkeiten, Bundespräsident Liebreiz und den Abfahrten der ersten Züge, die sämtlich mit gekrönten und ungekrönten Häuptern der BRD und des In- und Auslandes besetzt waren.

Dolf Herrmann in der FAZ vom 14. 6. 2037

Jetzt kichern Sie mal nicht.
Denn zunächst gilt: Nichts vergisst man so schnell wie Proteste. Die von anderen und die eigenen; ich will nicht wissen, wie viele Banker im Ruhestand, die ein Premierenabo des Opernhauses Zürich besitzen, damals an den Opernhauskrawallen beteiligt waren. Oder nehmen Sie doch mal die Fusion der SWR-Orchester. «Nie werde ich ein Konzert vom neuen Orchester besuchen!», so tönte es noch vor einem halben Jahr. Und dann kommt eben doch das Traumkonzert, Mahler III mit Barenboim, und man hat zwei schlaflose Nächte und dann schleicht man sich zur Vorverkaufsstelle, den Hut tief ins Gesicht gezogen, um nicht erkannt zu werden und kauft sich ein Ticket – nein, nicht Reihe 1, wo denken Sie hin, nein, Galerie letzte Reihe, wo einen niemand sieht! – und dann trifft man am Konzertabend im Foyer alle die Leute, die auch geschworen hatten, den auf den Trümmern von Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg und Radiosymphonieorchester Stuttgart erbauten Klangkörper ein Leben lang zu boykottieren…

Es gilt aber auch:
Was unendlich teuer wird und unendlich lange braucht, kann nicht schlecht werden. Ab achtstelligen Kosten muss das Ergebnis einfach gut sein, alles andere wäre ein Offenbarungseid. Ab 20 Jahren Bauzeit muss es einfach ein architektonisches Wunderwerk sein, sonst kann man sich gleich erschiessen. Machen Sie doch einmal die Selbstteste: Gehen Sie in ein Restaurant und bestellen Sie das teuerste Gericht der Karte, irgendwas mit Trüffeln und Kobe, es wird Ihnen munden, auf jeden Fall. Oder bestellen Sie ein Buch, das, weil es in Neuseeland verlegt und in Finnland gedruckt wird, Sie zu einer Wartezeit von 17 Wochen zwingt, Sie werden die Lektüre dieses Romans geniessen wie Sie noch nie einen Roman genossen haben.

Oder nehmen wir doch mal den Elphi-Hype. Was so lange nicht fertig wurde, was solche Unsummen verschlungen hat, was die Stadt dermassen in den Ruin trieb und 45 Nervenzusammenbrüche (in Politik wie im Handwerk) verschuldet hat, was so lange auf Messers Schneide stand und mehr umgebaut wurde als das Forum Romanum seit der Antike, ja das kann nur grossartig sein. Finden alle, und alle müssen hin.
Dabei sieht das Ding von aussen überhaupt nicht schön aus, mal ehrlich; wie ein Zirkuszelt, das die besoffenen Roadies nicht richtig aufgebaut haben, wie ein zusammenfallendes Nachthemd hockt es da vor den Speichern der Hafenstadt, zu denen es passt wie die Faust aufs Auge, ein Spermafleck auf dem Brautkleid oder die Heilsarmee in den Swingerclub. (Danke an Fräulein Emmy und Herr Wilnowski für die Bereitstellung dieser wunderbaren Vergleiche.)
Ja, da kann die Broschüre zigmal von «reizvollem Kontrast» reden, Leuten, die Kontraste per se reizvoll finden, möchte ich gerne einmal Bratkartoffeln mit Konfitüre reichen, während ich ihnen die Platte Sido rappt Hölderlin vorspiele, bei denen würde ich gerne einmal in Shorts und Tanktop zur Gala erscheinen und einen «reizvollen Kontrast» zu den übrigen Gästen bilden.

Von innen ist die Elphi übrigens klasse, da kann man nix sagen. Sagen muss man noch was zu jenem Konzert, mit dem der Prunkbau eröffnet wurde, vor allem zum Schluss; selten wurde der 4. Satz der Neunten so schlecht musiziert, zu langsam, zu laut, zu pompöse, zu gebrüllt und gemeisselt und geholzt. Gerade von Hengelbrock hätte man doch eine sprachlich phrasierte, durchmodellierte Ode erwartet,
Freu – de, schö – ner Göt -ter – fun – ken
Stattdessen jede Silbe wie ein Granit rausgestossen:
Freu – de, schö – ner Göt -ter – fun – ken
Aber ein solches Konzert an solchem Ort, der so lange bebaut wurde und so viel kostete, das wird natürlich bejubelt.

Was teuer war, muss gut sein.
Was lang braucht, muss gut sein.

Für diesen Post habe ich übrigens nicht wie sonst 30-50 Minuten, sondern 7 Stunden benötigt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen