Europa ist
gerettet.
Anders als
mit diesen dröhnenden Worten, anders als mit dieser hämmernden Formulierung,
anders als mit diesen wie in Stein gemeisselten Buchstaben, diesem klingenden
Vers, als mit diesem Satz kann man die Freude nicht ausdrücken.
Europa ist
gerettet.
Die
Franzosen sind – wie übrigens auch ähnlich die Holländer – bei aller
Brüsselskepsis, bei allem Wutbürgertum, bei allem Fremdenhass und sozialer
Schieflage vor dem letzten Schritt dann doch zurückgeschreckt.
Europa ist
gerettet.
Einen Auszug
der Gallier aus der EU hätte diese nicht überlebt, so lapidar – was ja in Stein gemeisselt heisst – muss man
das ausdrücken. Stellen Sie sich nur mal die Karte vor, bislang ist die EU ja
so etwas wie ein zusammenhängendes Gebiet, wenn das UK fehlt, sieht das schon
doof aus, aber ohne Frankreich? (Dass die Europäische Union in der Mitte ein
Loch hat, ist übrigens egal, das ist gerade reizvoll, viele tolle Dinge haben
in der Mitte ein Loch, eine DVD oder CD-ROM zum Beispiel, oder auch so etwas Leckeres
wie ein Doughnut.)
Europa ist
gerettet.
Mit der
uralten Achse D-F, die ja schon auf Adenauer und de Gaulle zurückgeht wäre der
ganze Laden gekippt. Natürlich hätte man, um die gleiche Anzahl an Menschen und
die gleiche Fläche zu erreichen, den halben Balkan und ein Drittel des Kaukasus
aufnehmen können, aber irgendjemand muss ja auch zahlen…
Europa ist
gerettet.
Aber beim
permanenten Wiederholen dieser dröhnenden Worte, dieser hämmernden
Formulierung, dieser lapidar in Stein gemeisselten Buchstaben (sit venia
pleonasmo) kommt mir ein Lied von Mani Matter in den Sinn.
In diesem
wunderbaren Song geht der Ich-Sänger (Gibt es das? Oder ist es das Lyrische
Ich?) durch die Strassen von Bern spät in der Nacht nach Hause. Und als er über
die Bundesterrasse läuft, bemerkt er, dass sich ein Kerl mit Dynamit am
Bundeshaus zu schaffen macht. Er hält ihn zurück, indem er die Vorzüge und
Vorteile des Schweizer Staates und der Schweizer Demokratie preist. Der
Übeltäter lässt die Übeltat sein und es steht ihm sogar eine Träne im Auge. Das
Lied «Dynamit» schliesst aber so:
So han i
schliesslech dr Staat chönne rette
Är isch mit sym Dynamit wieder hei
Und i ha mir a däm Abe im Bett en
Orde zuegsproche für my ganz allei
Glunge isch nume, dass zmonderischt scho
Über mi Red mir du Zwyfel si cho
Han ig ihm d'Schwyz o mit Rächt eso prise
Fragen i mi no bis hüt hindedry
Und no uf eis het dä Ma mi higwise
Louf i am Bundeshus sider verby
Mues i gäng dänke, s'steit numen uf Zyt
S'länge fürs z'spränge paar Seck Dynamit
Är isch mit sym Dynamit wieder hei
Und i ha mir a däm Abe im Bett en
Orde zuegsproche für my ganz allei
Glunge isch nume, dass zmonderischt scho
Über mi Red mir du Zwyfel si cho
Han ig ihm d'Schwyz o mit Rächt eso prise
Fragen i mi no bis hüt hindedry
Und no uf eis het dä Ma mi higwise
Louf i am Bundeshus sider verby
Mues i gäng dänke, s'steit numen uf Zyt
S'länge fürs z'spränge paar Seck Dynamit
Frei auf
Deutsch:
So konnte
ich den Staat schliesslich retten / er ging mit dem Dynamit wieder heim
Und ich habe
mir am Abend im Bett / ganz allein einen Orden zugesprochen
Erstaunlich
war aber, dass mir bald / über meine Rede Zweifel kamen.
Habe ich die
Schweiz mit Recht so gepriesen / frage ich mich bis heute im Nachhinein
Und auf
eines hat der Mann mich hingewiesen: / Laufe ich am Bundeshaus vorbei
Denke ich,
es steht nur auf Zeit / es reicht, um es zu sprengen ein paar Säcke Dynamit
Gilt das
nicht auch ein wenig für Europa? Die EU ist – wieder einmal – gerettet. Aber
war es richtig, sie zu retten? Ist sie es wert? Lohnt es sich? Das sind Fragen,
die man sich doch manchmal stellen müsste. Es ist ja schon bezeichnend, wie
viele Europäer eigentlich antieuropäisch denken.
Die aktuelle
Katastrophe ist abgewendet.
Aber müssten
wir nicht denken: Brüssel steht nur auf Zeit, es zu sprengen braucht es nur ein
bisschen Le Pen, oder Wilders, oder Brexit, oder…
Europa ist
gerettet.
Die
Franzosen sind – wie übrigens auch ähnlich die Holländer – bei aller
Brüsselskepsis, bei allem Wutbürgertum, bei allem Fremdenhass und sozialer
Schieflage vor dem letzten Schritt dann doch zurückgeschreckt.
Aber war die
Rettung korrekt?
Möge jeder so
nachdenklich wie der Ich-Sänger werden.
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