Montag, 8. Mai 2017

Le Pen und Mani Matter, oder: War die Rettung richtig?



Europa ist gerettet.
Anders als mit diesen dröhnenden Worten, anders als mit dieser hämmernden Formulierung, anders als mit diesen wie in Stein gemeisselten Buchstaben, diesem klingenden Vers, als mit diesem Satz kann man die Freude nicht ausdrücken.
Europa ist gerettet.
Die Franzosen sind – wie übrigens auch ähnlich die Holländer – bei aller Brüsselskepsis, bei allem Wutbürgertum, bei allem Fremdenhass und sozialer Schieflage vor dem letzten Schritt dann doch zurückgeschreckt.
Europa ist gerettet.
Einen Auszug der Gallier aus der EU hätte diese nicht überlebt, so lapidar – was ja in Stein gemeisselt heisst – muss man das ausdrücken. Stellen Sie sich nur mal die Karte vor, bislang ist die EU ja so etwas wie ein zusammenhängendes Gebiet, wenn das UK fehlt, sieht das schon doof aus, aber ohne Frankreich? (Dass die Europäische Union in der Mitte ein Loch hat, ist übrigens egal, das ist gerade reizvoll, viele tolle Dinge haben in der Mitte ein Loch, eine DVD oder CD-ROM zum Beispiel, oder auch so etwas Leckeres wie ein Doughnut.)
Europa ist gerettet.
Mit der uralten Achse D-F, die ja schon auf Adenauer und de Gaulle zurückgeht wäre der ganze Laden gekippt. Natürlich hätte man, um die gleiche Anzahl an Menschen und die gleiche Fläche zu erreichen, den halben Balkan und ein Drittel des Kaukasus aufnehmen können, aber irgendjemand muss ja auch zahlen…

Europa ist gerettet.
Aber beim permanenten Wiederholen dieser dröhnenden Worte, dieser hämmernden Formulierung, dieser lapidar in Stein gemeisselten Buchstaben (sit venia pleonasmo) kommt mir ein Lied von Mani Matter in den Sinn.
In diesem wunderbaren Song geht der Ich-Sänger (Gibt es das? Oder ist es das Lyrische Ich?) durch die Strassen von Bern spät in der Nacht nach Hause. Und als er über die Bundesterrasse läuft, bemerkt er, dass sich ein Kerl mit Dynamit am Bundeshaus zu schaffen macht. Er hält ihn zurück, indem er die Vorzüge und Vorteile des Schweizer Staates und der Schweizer Demokratie preist. Der Übeltäter lässt die Übeltat sein und es steht ihm sogar eine Träne im Auge. Das Lied «Dynamit» schliesst aber so:

So han i schliesslech dr Staat chönne rette
Är isch mit sym Dynamit wieder hei
Und i ha mir a däm Abe im Bett en
Orde zuegsproche für my ganz allei
Glunge isch nume, dass zmonderischt scho
Über mi Red mir du Zwyfel si cho

Han ig ihm d'Schwyz o mit Rächt eso prise
Fragen i mi no bis hüt hindedry
Und no uf eis het dä Ma mi higwise
Louf i am Bundeshus sider verby
Mues i gäng dänke, s'steit numen uf Zyt
S'länge fürs z'spränge paar Seck Dynamit

Frei auf Deutsch:

So konnte ich den Staat schliesslich retten / er ging mit dem Dynamit wieder heim
Und ich habe mir am Abend im Bett / ganz allein einen Orden zugesprochen
Erstaunlich war aber, dass mir bald / über meine Rede Zweifel kamen.

Habe ich die Schweiz mit Recht so gepriesen / frage ich mich bis heute im Nachhinein
Und auf eines hat der Mann mich hingewiesen: / Laufe ich am Bundeshaus vorbei
Denke ich, es steht nur auf Zeit / es reicht, um es zu sprengen ein paar Säcke Dynamit

Gilt das nicht auch ein wenig für Europa? Die EU ist – wieder einmal – gerettet. Aber war es richtig, sie zu retten? Ist sie es wert? Lohnt es sich? Das sind Fragen, die man sich doch manchmal stellen müsste. Es ist ja schon bezeichnend, wie viele Europäer eigentlich antieuropäisch denken.
Die aktuelle Katastrophe ist abgewendet.
Aber müssten wir nicht denken: Brüssel steht nur auf Zeit, es zu sprengen braucht es nur ein bisschen Le Pen, oder Wilders, oder Brexit, oder…

Europa ist gerettet.
Die Franzosen sind – wie übrigens auch ähnlich die Holländer – bei aller Brüsselskepsis, bei allem Wutbürgertum, bei allem Fremdenhass und sozialer Schieflage vor dem letzten Schritt dann doch zurückgeschreckt.
Aber war die Rettung korrekt?

Möge jeder so nachdenklich wie der Ich-Sänger werden.



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