Im Tram der
Linie 7 stosse ich auf das folgende Plakätlein (eigentlich eher ein
aufgehängter Handzettel)
ARTHROSE – MÖGLICHKEITEN DER DIAGNOSE UND
THERAPIE
Öffentlicher Vortrag
Prof. Dr. Dr. Janmax Dubinger
Auditorium I der Georg Piller-Klinik,
Herzplatz 34
Freitag, 21.4.2017 19.00
Ein paar
Reihen weiter prangt noch so ein Machwerk:
DER VERSPIELTE BEETHOVEN
Öffentliches Konzert
Lea Frohsinn, Klavier
Sonntag, 23.4.2017 15.00
Altersheim Grünmatt, An der Wiese 45
Was um
Himmels willen bedeutet das «öffentlich»? Natürlich, auf den ersten Blick ist
es logisch; die Veranstaltungen sind nicht für Patienten oder Bewohner, sie
sind auch für Menschen, die von aussen kommen, oder anders formuliert, auch der
oder die von der Strasse ist herzlich eingeladen. Aber auf den zweiten Blick
ist es der totalste Schwachsinn. Wenn ein Konzert, ein Referat, wenn eine Party
oder ein Tanzfest, wenn Apéro, Brunch oder Abendessen, wenn Spieletag oder
Tournier, wenn ein Anlass nicht öffentlich ist, dann hänge ich keine Werbung
auf. Die Existenz eines Plakates ist der Beweis für die Publizität einer
Veranstaltung, es ist also das himmeltraurigste Doppelmoppel, dass ein Flyer
auf eine Tatsache hinweist, der er sein Dasein verdankt. Es gibt keine Hinweise
auf Konzerte oder Vorträge, denen man fernbleiben soll, oder wenn, dann nur im
Cartoon:
GÜNTER GRASS LIEST HEUTE IM KULTURCAFÉ
und will dabei nicht gestört werden
(Rattelschneck)
Ich hirne
eine Weile, was die Veranstalter sich dabei gedacht haben. Vielleicht, so denke
ich habe sie zu viele Habermas gelesen und gehen vom in Strukturwandel der Öffentlichkeit dargelegten
Öffentlichkeitsbegriff aus, ich verwerfe diese Idee aber sofort wieder. Ist
hier das pejorative öffentlich gemeint, so wie in «öffentliche Person» oder
«öffentliche Orte»? Sicher nicht. Um das Geheimnis zu lüften, fotografiere ich
– iPhone sei Dank – die beiden Flyer und beschliesse, zu Vortrag und Konzert
hinzugehen.
Die Georg
Piller-Klinik ist ein schmucker Neubau im Stadtteil Hurlikon, dessen beide
Auditorien dank weisser Wände und grosser Glasfenster mit Blick auf die
Sträucher im Park einen freundlichen und netten Eindruck machen. Der Saal ist
schon gut gefüllt, als ich ankomme, und alle ca. 50 Augenpaare ruhen sofort auf
mir. Ich kann die Gedanken förmlich hören: Wer ist das? Ein Patient ist er
nicht, so federnd wie der reinläuft, so sportlich wippend, der hat mit
Sicherheit keine Arthrose, er ist aber auch kein Pfleger und kein Arzt, die
würden wir kennen. Vielleicht gab es in seiner Familie viele Fälle dieser
Krankheit und er will sich mal informieren; ansonsten: WAS MACHT DER HIER?
Der
einstündige Vortrag ist informativ und wissenschaftlich fundiert, man merkt dem
Orthopäden Dubinger an, dass er sich leidenschaftlich mit diesem Leiden
beschäftigt hat. (s.v.i.v.) Dennoch flüchte ich 5 Minuten vor Ende aus dem
Auditorium, um blöden Fragen zu entgehen.
Das Gleiche
spielt sich beim Konzert zwei Tage später ab; der Saal ist ein Schmuckstück,
eine nette kleine Bühne, bequeme Stühle und indirekt beleuchtete Wände, Lea
Frohsinn spielt, wie sie heisst, sie musiziert einen klaren, heiteren Reigen,
u.a. mit der Wut über den verlorenen
Groschen, den Bagatellen und einigen der kleinen Sonaten. Mich aber starren
die Bewohnerinnen und Bewohner an, zum Teil sicher, weil sie so dement sind,
dass sie niemand mehr erkennen, zum Teil aber, weil sie sich die Fragen wie
oben stellen: Wer ist der, Pfleger ist er nicht, er ist kein Bewohner und er
hat keinen Angehörigen hier… Ich fühle mich genauso unwohl, ich schleiche mich
vor der Zugabe, den Variationen über
«Schöne Minka» hinaus.
Natürlich
habe ich sowohl in der Klinik als auch im Altersheim falsch gehandelt. Ich
hätte das Foto zeigen sollen und laut schreien: «Schaut her, ihr Deppinnen und
Deppen! Diese Veranstaltung ist ÖFFENTLICH! Ich habe ein Recht hier zu sein!»
Und jetzt begreife ich die Plakate, die
Plakate geben dem oder der externen Besucher(in) etwas in die Hand, das seine
oder ihre Anwesenheit legitimiert.
Die Frage
stellt sich natürlich, warum man solche Konzerte, Lesungen, warum man solche
Vorträge und Referate, warum man solche Feiern, Vernissagen und Anlässe
öffentlich bekanntmacht. Wer hockt da in den Gremien und Vorständen, der auf
einmal losbrüllt: «Ich habe eine Superidee – wir machen das ÖFFENTLICH, mit
Plakat und so…!» Wer überlegt sich da nicht, dass der oder die einzige Externe
sich vorkommt, wie der ungeliebte schwule Lebenspartner auf dem 80. Geburtstag
von Missionar Elder James, wie der einzige Zürichfan im Braunen Mutz bei der
Grossleinwandübertragung des Endspiels FCB/FCZ?
Ich weiss es
nicht.
Eines jedoch
ist klar: Die Zeit spielt für mich. In 30 Jahren falle ich weder beim
Arthrosereferat noch beim Klavierkonzert in der Seniorenresidenz auf.
P.S.
s.v.i.v. heisst übrigens sic veniat ioco verborum, man verzeihe das Wortspiel
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