Dienstag, 1. November 2016

Klassische Dummheiten



Der Buschauffeur soll die Gruppe aus Luzern direkt zum Basler Münster bringen. Er findet in einem solchen klaren Fall natürlich ein Navigationsgerät überflüssig, was soll das da helfen, ein Münster, einen Dom, eine Kathedrale oder Hauptkirche sieht man ja, in Basel wird ja schon noch die Kirche im Dorf sein, also guckt er beim Eintritt in die Innenstadtzone einfach genau hin. Und liefert die Gruppe ab – an der Elisabethenkirche, jener Kirche, die so schrecklich gotisch aussieht, dass sie eigentlich schon gar nicht mehr gotisch sein kann, sondern eben NEUgotisch, aus dem 19. Jahrhundert. Als der Irrtum heraus- und die Gruppe mit einer halben Stunde Verspätung ankommt, sagt meine Kollegin:
«Der Klassiker.»
Die Verdrehung Elisabethen/Münster ist nämlich schon häufiger passiert.

In Love Actually kauft der Chef einer Werbeagentur (Alan Rickman) seiner Mitarbeiterin (Heike Makatsch) zu Weihnachten eine teure Goldkette. Seine Frau (Emma Thompson) bekommt am Fest eine Joni Mitchell-CD; dummerweise hat sie den Schmuck aber schon gesehen. Nachdem sie ein paar Minuten unter den Klängen von I looked at life from both sides now geweint, sich dann zusammengerissen, die Tränen abgewischt und sich neu geschminkt hat, geht die Familie zum Krippenspiel – bei dem der Sohn den zweiten Hummer spielt, aber das ist Nebensache. Nach der Aufführung stellt sie ihren Mann zur Rede, worauf der Werbechef antwortet:
«I was a classic fool.»

Jeder weiss, dass man beim Ausräumen einer Spülmaschine aufpassen muss, wenn die Türen der Hängeschränke offenstehen. Wenn man sich nämlich nach zwei Tellern bückt und dann unbedacht wieder hochgeht, gibt es eine relativ unangenehme und schmerzhafte Kollision von Türkante und Stirn. Sie kennen mich inzwischen gut, und wissen sofort, dass mir solche Dinge passieren, jedenfalls, als ich mit einer ziemlich wüsten Schramme über der Nase in die Chorprobe komme und mein Missgeschick berichte, sagt meine Präsidentin:
«Der Klassiker.»

Klassiker
Dazu gehört natürlich auch die Bananenschale, auf der man so wunderbar ausgleitet, dazu zählen die diversen Dinge, die wir in Gullis und andere Schächte rollen lassen, dazu rechnen wir die Mails, die wir aus Versehen an die falschen Leute leiten und die dringende SMS, die wir an Heike statt an Heiko schicken, weil wir uns im elektronischen Telefonbuch vertippen.
Klassiker.

Es ist interessant, dass die Wörter KLASSIK, KLASSIKER und KLASSISCH so positiv belegt sind. Bei KLASSIK denken wir an die Klassik in der Antike, an die Weimarer Klassik und die Wiener Klassik, wir kommen auf Klassische Musik und in der Bildenden Kunst auf die Klassiker der Moderne. Klassisch heisst edel, gediegen, heisst ästhetisch und geordnet, heisst wohlgeformt und vorzeigbar.

Es gibt aber auch die Klassische Dummheit.
Die Klassische Blödheit.

Warum machen wir Menschen immer wieder die gleichen Fehler? Warum werden wir nicht gewarnt? Warum lassen wir uns nicht warnen? Warum produzieren wir immer wieder die Klassiker? Warum gibt es keine Internetseiten zu diesem Thema? Warum keine Lexikons (auch dieser Fehler ein Klassiker...)? Warum keine Reiseführer?
Das wäre doch eine spannende Sache. Denn jede Stadt hat ihre Klassiker.
Und da stünde dann zum Beispiel:

Düsseldorf:                 In Düsseldorf trinkt man ALTBIER. Niemals, niemals, unter keinen Umständen ein Kölsch (siehe unter Köln) bestellen, wenn Sie nicht die Düsseldorfer Unikliniken kennenlernen wollen.
Freiburg:                     Achtung! Die Innenstadt ist voll von schlecht sichtbaren, ekligen Wasserläufen, in die Sie wahrscheinlich hineintreten, wenn Sie nicht höllisch aufpassen. Sollte es passieren, werden Sie von den bösartigen Eingeborenen ausgelacht – und zwar ziemlich.
Köln:                          In Köln trinkt man KÖLSCH. Niemals, niemals, unter keinen Umständen ein Altbier (siehe unter Düsseldorf) bestellen, wenn Sie nicht die Kölner Unikliniken kennenlernen wollen.
Stuttgart:                    Die Eingeborenen laufen die 1200 Treppen («Stäffele»), auf die sie merkwürdigerweise so stolz sind, nur aus dem Fussgelenk. Niemals versuchen das nachzumachen! Die Schwaben haben das jahrelang trainiert. Sie fallen als Ungeübter sofort auf die Fresse.

Und unter BASEL stünde eben:
Die gotische Kirche in der Innenstadt mit EINEM Turm ist nicht das Münster!

Es wäre eine schöne Sache, wenn es einen solchen Reiseführer gäbe. Und auch ein Lexikon der Klassiker wie B=Bananenschale, F=Fremdgehen, S=Spülmaschine, mit T=Telefonbuch und E=E-Mail. Dann würden wir nicht jedes Mal in die gleichen Gruben fallen.

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