Ein paar Tage später löste sich dann das Rätsel und auch manches andere auf. Ich kam abends heim und in meinem Flur roch es komisch, meine Nase checkte die ihr bekannten Gerüche durch (Putzmittel? Bier? Anis? Hefe? Blut?...) und kam sehr bald auf den Namen: Hasch. In meinem Flur roch es nach Hasch. Nach Cannabis. Nach Gras. Nach Coffeeshop. Dem Geruch nachgehend, stand ich bald vor jenem weissen Kästlein, das keinerlei Funktion hat, ausser meinen Flurspiegel zu tragen. Ich riss die Türen auf und traute meinen Augen nicht; in meinem Flurkästlein fand eine wüste Party, eine Orgie, ein Gelage der verlorenen Gegenstände statt.
Ich stellte
die Kugelschreiber zur Rede und sie erklärten mir darauf ihre Beweggründe.
Kugelschreiber, und ich rede von Einwegkulis, haben ein kurzes, heftiges Leben.
Sind sie jeden Tag im Gebrauch, dann ist ihre Tinte bald aufgebraucht und sie
landen im Müll. Zwei Wochen haben sie getreue Dienste geleistet, haben uns
geholfen, Steuererklärungen auszufüllen, Unterschriften zu leisten, haben
Termine notiert und Einkaufszettel geschrieben, sie haben ihre Schnauze auf
Agenden, Bücher, in Notizblöcke und Formulare gedrückt, jedes Mal Tropfen um
Tropfen ihres Lebenssaftes vergiessend, sich aufopfernd und sich schenkend, und
dann… peng, aus, weg. Kein Kuli hat je eine Grabrede oder einen Blumenschmuck
bekommen, keiner hat je ein Dankeschön erhalten. Was liegt da näher, als dass
man verschwindet und Party macht, dass man abhaut und feiert? Wenn sie sich
verstecken, leben sie länger.
Allerdings,
so sprachen die Schreibgeräte, seien sie ja auch nicht die einzigen, die hier
in meinem Kästlein sich Alkohol und Haschisch, sich Lust und Genuss hingäben.
Und nun sah ich es, ich sah die ganze Gruppe der Gegenstände.
Da waren
meine Socken, der rot-gestreifte, der blau-geringelte, der mit den Pinguins
drauf und der mit den Eisbären, der beige und der violette. Damit klärte sich
nun endlich auch eine der wichtigsten Fragen der Menschheit: Wo bleiben bei den
Socken die passenden Gegenstücke? Jeder kennt das doch, man stopft Sockenpaare
in die Waschmaschine und schon beim Aufhängen stellt man fest, dass alle auf
einmal nur noch Einzelstücke sind. Dies liege daran, so erklärten mir die
Strümpfe, dass die Aussage «die und die gehören zusammen» vom Grund auf falsch
ist. Strümpfe sind nicht monogam, sie haben das natürliche Bedürfnis, viele
verschiedene Partner auszuprobieren. Die durch den Menschen arrangierten
Zwangsehen gehen daher sofort auseinander, und hier im Kästlein, im Partyraum
der Gegenstände, könnten sie eben das haben, was im Wäschekorb nicht ginge:
promisken Sex.
Neben den
Kulis und den Socken waren aber auch noch diverse andere Einzelstücke beim
Feiern, Einzelstücke, die ich schon lange gesucht hatte:
Das
Ladekabel zu meinem Rasierer.
Der
Schlüssel zum zweithintersten Schrank in meinem Büro.
Die
Ausweiskarte für die Zentralbibliothek Solothurn.
Der
Spezialdreher zum Öffnen meines Druckers.
Der
Memostick, auf dem sich zwei Songtexte befanden, die ich nicht mehr im Kopf
hatte.
Die
Speicherkarte mit den Fotos aus Wanne-Eickel.
Dies Dinge,
so raunte mir ein Strumpf zu, seien hier auch nicht beliebt, sie kämen einfach
und niemand getraue sich, sie fortzuschicken, weil man Angst vor den Werkzeugen
habe. Diese Sachen seine nicht beliebt, nein, sie seien auch von Grund auf
bösartig. Sie kämen nur hierher, um die Menschen zu ärgern. Sie seine Unikate
und wüssten, wie sehr ihr Verschwinden ihre Besitzer zur Weissglut triebe.
Nun stand
ich also da vor meinem Kästlein – ja, Sie haben es längst erraten, liebe
Leserin, lieber Leser, es ist wirklich Trøløbø® aus jenem Post, in dem das
Schränklein mich durch Heulattacken zum Kauf zwang – und ich überlegte, was ich
tun sollte. Die Party beenden und die Dinge wieder an ihren Platz schicken? Der
Spielverderber sein? Die Gegenstände würden eh sofort wieder verschwinden und
sich einen neuen Ort suchen.
Nein, ich
liess sie im Kästlein.
Nun weiss
ich ja, wo alle die verlorenen Kulis, die Einzelsocken und der Ausweis der ZB
Solothurn (wozu habe ich den eigentlich?) sind.
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