Freitag, 4. November 2016

Der Partyraum der Gegenstände oder: Die Kugelschreiber und Einzelsocken

Ich hatte neulich in England in einem 1 Pfund-Shop eine Packung mit 50 Kugelschreibern gekauft. (Jetzt unterbrechen Sie mich doch nicht! Ja, das war ein 1 PFUND-Shop, das hat nix mit dem breit zu tun, die Briten hatten nie den Euro.) Also wo war ich? Ja, bei den 35 Kugelschreibern. Als ich neulich eine kleine Kuliventur (Kuli-Inventur) machte, stellte ich fest, das längst nicht mehr alle da waren: Allschwil 6, Solothurn 7, Pult daheim 4, 9 in diversen Jackets + 3 in der Packung macht 29. Wo waren die restlichen 21? Sie waren auch an den ungewöhnlicheren Orten, die ich danach kontrollierte, Orte wie Badezimmer, Küche, Balkon oder Briefkasten nicht aufzufinden. Warum verschwinden ständig die Kulis und wohin verschwinden sie?

Ein paar Tage später löste sich dann das Rätsel und auch manches andere auf. Ich kam abends heim und in meinem Flur roch es komisch, meine Nase checkte die ihr bekannten Gerüche durch (Putzmittel? Bier? Anis? Hefe? Blut?...) und kam sehr bald auf den Namen: Hasch. In meinem Flur roch es nach Hasch. Nach Cannabis. Nach Gras. Nach Coffeeshop. Dem Geruch nachgehend, stand ich bald vor jenem weissen Kästlein, das keinerlei Funktion hat, ausser meinen Flurspiegel zu tragen. Ich riss die Türen auf und traute meinen Augen nicht; in meinem Flurkästlein fand eine wüste Party, eine Orgie, ein Gelage der verlorenen Gegenstände statt.



Ich stellte die Kugelschreiber zur Rede und sie erklärten mir darauf ihre Beweggründe. Kugelschreiber, und ich rede von Einwegkulis, haben ein kurzes, heftiges Leben. Sind sie jeden Tag im Gebrauch, dann ist ihre Tinte bald aufgebraucht und sie landen im Müll. Zwei Wochen haben sie getreue Dienste geleistet, haben uns geholfen, Steuererklärungen auszufüllen, Unterschriften zu leisten, haben Termine notiert und Einkaufszettel geschrieben, sie haben ihre Schnauze auf Agenden, Bücher, in Notizblöcke und Formulare gedrückt, jedes Mal Tropfen um Tropfen ihres Lebenssaftes vergiessend, sich aufopfernd und sich schenkend, und dann… peng, aus, weg. Kein Kuli hat je eine Grabrede oder einen Blumenschmuck bekommen, keiner hat je ein Dankeschön erhalten. Was liegt da näher, als dass man verschwindet und Party macht, dass man abhaut und feiert? Wenn sie sich verstecken, leben sie länger.

Allerdings, so sprachen die Schreibgeräte, seien sie ja auch nicht die einzigen, die hier in meinem Kästlein sich Alkohol und Haschisch, sich Lust und Genuss hingäben. Und nun sah ich es, ich sah die ganze Gruppe der Gegenstände.

Da waren meine Socken, der rot-gestreifte, der blau-geringelte, der mit den Pinguins drauf und der mit den Eisbären, der beige und der violette. Damit klärte sich nun endlich auch eine der wichtigsten Fragen der Menschheit: Wo bleiben bei den Socken die passenden Gegenstücke? Jeder kennt das doch, man stopft Sockenpaare in die Waschmaschine und schon beim Aufhängen stellt man fest, dass alle auf einmal nur noch Einzelstücke sind. Dies liege daran, so erklärten mir die Strümpfe, dass die Aussage «die und die gehören zusammen» vom Grund auf falsch ist. Strümpfe sind nicht monogam, sie haben das natürliche Bedürfnis, viele verschiedene Partner auszuprobieren. Die durch den Menschen arrangierten Zwangsehen gehen daher sofort auseinander, und hier im Kästlein, im Partyraum der Gegenstände, könnten sie eben das haben, was im Wäschekorb nicht ginge: promisken Sex.

Neben den Kulis und den Socken waren aber auch noch diverse andere Einzelstücke beim Feiern, Einzelstücke, die ich schon lange gesucht hatte:
Das Ladekabel zu meinem Rasierer.
Der Schlüssel zum zweithintersten Schrank in meinem Büro.
Die Ausweiskarte für die Zentralbibliothek Solothurn.
Der Spezialdreher zum Öffnen meines Druckers.
Der Memostick, auf dem sich zwei Songtexte befanden, die ich nicht mehr im Kopf hatte.
Die Speicherkarte mit den Fotos aus Wanne-Eickel.

Dies Dinge, so raunte mir ein Strumpf zu, seien hier auch nicht beliebt, sie kämen einfach und niemand getraue sich, sie fortzuschicken, weil man Angst vor den Werkzeugen habe. Diese Sachen seine nicht beliebt, nein, sie seien auch von Grund auf bösartig. Sie kämen nur hierher, um die Menschen zu ärgern. Sie seine Unikate und wüssten, wie sehr ihr Verschwinden ihre Besitzer zur Weissglut triebe.

Nun stand ich also da vor meinem Kästlein – ja, Sie haben es längst erraten, liebe Leserin, lieber Leser, es ist wirklich Trøløbø® aus jenem Post, in dem das Schränklein mich durch Heulattacken zum Kauf zwang – und ich überlegte, was ich tun sollte. Die Party beenden und die Dinge wieder an ihren Platz schicken? Der Spielverderber sein? Die Gegenstände würden eh sofort wieder verschwinden und sich einen neuen Ort suchen.
Nein, ich liess sie im Kästlein.
Nun weiss ich ja, wo alle die verlorenen Kulis, die Einzelsocken und der Ausweis der ZB Solothurn (wozu habe ich den eigentlich?) sind. 
 




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