Dienstag, 26. Januar 2016

Winterwegignorierer



Es war ein superprächtiger Sommer. Es war ein heisser, tropischer Herbst. Und dann kam der Winter doch, wenn auch nur kurz und schneereich, jetzt ist es ja wieder schon viel zu warm. Ja, und in dieser kurzen Zeit des winterlichen, arktischen Klimas bemerkte man sie. Die, die dachten, die vierte Jahreszeit kommt gar nicht mehr und man könne sie so einfach ignorieren.
Die Winter-weg-Ignorierer.
(Wir nennen sie jetzt der Einfachheit halber Wiweig)

Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Ignoranten und einem Weg-Ignorierer?
Der Ignorant ist immun gegen jeden Einfluss, der ihm von aussen daher kommt. Er hat Augen und Ohren verschlossen, er läuft mit Scheuklappen durch die Welt und bekommt ausser dem, was BILD und RTL ihm aufbereiten, nichts mit. Er kann ein *****-Menu in sich hineinmampfen, ohne dass irgendwelche Geschmacksknospen angesprochen werden, er kann Mahler VIII hören und es mit einem „nett“ kommentieren, er sieht nichts, er hört nichts, er riecht und schmeckt nichts, er ist fünf Affen in einer Person.
Der Weg-Ignorierer/die Weg-Ignoriererin ignoriert speziell und ausgesucht. Und er ignoriert fest und unbeirrt mit dem Ziel, das von ihm oder ihr werde nach dem Ignorationsprozess auch nicht mehr da sein. Die BRD ignorierte die Existenz eines zweiten Staates, die DDR tat es genauso, sehr konservative Katholiken (und Protestanten!) ignorieren noch immer das Vorhandensein einer anderen Konfession. Es gibt Leute, die auch die heftigsten körperlichen Schmerzen wegignorieren wollen, da wird auch, wenn man das Gefühl  hat, man werde mit scharfen Messern in den Bauch gestossen, erst einmal gewartet, gewartet, das vergeht schon, man will ja schliesslich kein Hypochonder sein.

Der Wiweig ignoriert also den Winter. Er lebt nach dem Motto: „Wenn ich so tue, also ob Sommer ist, IST auch Sommer." Der Wiweig geht nur mit T-Shirt und leichtem Sakko aus dem Haus, schon ein Halstuch um den von Shirt und Jackett unbedeckten Hals empfände er oder sie als übertrieben. Nun kann man sagen, das sei ja das ureigenste Problem des Wiweig selber, ist es auch, solange er sich nicht erkältet, was ihm oder ihr aber wahrscheinlich passieren wird. Da sitzt der oder die Wiweig dann neben einem im Tram oder im Bus und hustet und schnieft, poltert und spritzt mit Bazillen nur so um sich und steckt jeden an, der sich in die Nähe wagt.

Ist das schon schlimm genug, geht es erst richtig los, wenn der Wiweig ein Auto besitzt.
Da es ja nicht Winter ist, da die kalte Jahreszeit ja nicht gekommen ist, KANN der Belag auf dem Fahrzeug ja kein Eis oder Schnee sein, es muss sich um Blütenstaub, Hautschuppen eines Alien oder Industrieabgase handeln. Und weil es ja Pollen, Alienhaut oder anderes Zeug ist, wird das ja beim Losfahren irgendwie abrutschen. Eiskratzen muss man nicht, denn dann wäre ja Winter, was ja nicht sein kann – siehe oben.
Der Wiweig fährt also los, wartet auf das Wegrutschen des Blütenstaubs, der Hautreste des Beteigeuzianers, der Abgasreste und fährt und fährt…
Hunderte solcher „Iglufahrer“ hat die CH-Polizei in den letzten Wochen angehalten, alle mit einem Guckloch in der Windschutzscheibe, das die Grösse eines Brillenglases hatte. Und sämtliche mussten ausser einer saftigen Busse den Führerschein abgeben, und das ist gut so, mir wird ganz anders, wenn ich mir vorstelle, wie wenig der Mercedesfahrer, dem ich mich gerade nähere, eigentlich sieht.

Der Wiweig fährt natürlich – natürlich! – stets zu schnell. Da ja nicht Winter ist, die kalte Jahreszeit nicht gekommen, KANN es sich bei der weissen Farbe auf den Strassen ja nicht um Reif oder Schnee oder sogar Glatteis handeln, es handelt sich – ebenso wie bei dem komischen Zeug auf dem Auto um Alienschuppen, Pollen, Kandiszucker oder Crack, also Substanzen die die Haftung seiner Pneus eher verbessern. Er oder sie (wahrscheinlich doch eher er) fährt also los, wie er immer fährt: 160 km/h auf der Autobahn, 80 km/h Innerorts und 50 km/h in Dreissigerzonen. Und wundert sich dann ganz schnell, dass er doch eher rutscht und gleitet als fährt. Wenn wir Glück haben, rutscht oder gleitet er mit 160 km/h einfach auf einen Baum oder eine Mauer, wenn wir Pech haben, kommt er uns entgegen, gleitend, rutschend und saust mit grosser Treffsicherheit in uns rein.

Der oder die Nicht-Wiweig, der oder die Winteranerkenner(in), wir nennen ihn oder sie Wianek, ist da klüger. Der/die Wianek zieht sich warm genug an, kratzt das Auto frei und fährt langsam – oder gleich Bahn. Hier stösst allerdings in Deutschland der/die Wianek auf die allergrösste Wiweig, die DB. Das Bahnmanagement hat noch nie in Betracht gezogen, dass man sich im Oktober vielleicht überlegen sollte, ob nicht bald die kalte Jahreszeit kommt, und wenn die Frage auftauchte, hat man sie auf den Frühling vertagt. Fällt dann im Dezember die erste Schneeflocke, muss es sich ja um Alienhaut, Blütenstaub oder Puderzucker handeln, also Substanzen, die den Bahnbetrieb nicht beeinträchtigen werden. So ist regelmässig beim ersten Wintereinbruch das gesamte Schienennetz lahmgelegt, Weichen frieren ein, Schienen werden unbrauchbar, und wenn der Zug doch fährt, hat er keine Heizung…

Es war ein superprächtiger Sommer. Es war ein heisser, tropischer Herbst. Und dann kam der Winter doch, wenn auch nur kurz und schneereich, jetzt ist es ja wieder schon viel zu warm.

Aber vielleicht kommt der Winter nun doch noch einmal zurück.
Und da wären Winterreifen und ein Eisschaber keine schlechte Anschaffung.
Und wenn der Winter nicht kommt: Mit dem Schaber kann man sich auch den Rücken kratzen.

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