Dienstag, 29. Dezember 2015

2015 ist nicht schneller vergangen

Vom 1.12. bis zum 31.12. hört man ja eine Menge Unsinn, Sätze wie „Diese Weihnachten machen wir es uns ganz gemütlich" oder „Wir schenken uns fast gar nichts“ oder „Ich wünsche mir Frieden für die Welt“.

Aber einer der unsinnigsten Sätze ist sicher „Das Jahr ist jetzt schneller als das letzte vergangen.“

Eine grosse Studie der Universität München, die gerade veröffentlicht wurde, hat herausgefunden und wissenschaftlich belegt, dass die Jahre 2013, 2014 und 2015 exakt die gleiche Dauer hatten. Sie waren genau 12 Monate, 52 Wochen, 365 Tage, somit 8760 Stunden, 525600 Minuten und 31536000 Sekunden lang. Dies wurde mit differenzierten Messungen und klaren Berechnungen bewiesen. Das nächste Jahr wird übrigens genauso lang.

Stopp.
Nein.
Es wird 24 Stunden, 1500 Minuten oder 90000 Sekunden länger, denn es wird geschaltet. Nur haben Sie überhaupt nix von diesem Schalttag, von diesem 29.2., denn es müsste ja eigentlich ein freier Tag, ein Urlaubstag sein. Die Wirtschaft funktioniert ja drei Jahre lang mit 365 Tagen, so sollte ja auch im vierten Jahr das Bruttosozialprodukt nicht sinken, der DAX oder SMI nicht fallen, weil man auch diese Zeit arbeitet. Oder, wenn man ganz fair rechnet, sollte einem eine anteilige Urlaubszeit dazugegeben werden, nämlich 24 Minuten.

Aber:
Wir waren bei dem Gefühl, ein Jahr ginge schneller vorbei als ein anderes. Nun mag das ja für einige so sein, aber es stimmt eben immer erst im Rückblick. Die Wahrheit ist, dass das vergangene Jahr gar nicht kontinuierlich rasend oder schneckig ablief, sondern dass es wie ein grosser Fluss sich mal staute, stehenblieb, dann wieder schoss und strömte.

Wollen Sie Beispiele?

Hubert X. aus D. wartete am 3.8.2015 von 14.00 bis 15.30 im Hauptbahnhof Hamm auf einen verspäteten ICE. Die anderthalb Stunden kamen ihm wie anderthalb Jahre vor, weil er seinen Gehe-ich-halt-noch-einen-Kaffee-trinken-Kaffee schon nach 15 Minuten getrunken hatte, weil Hubert nicht raucht und weil er – das ist ein grosser Fehler – nicht liest.

Maria D. aus L. schrieb genau zur selben Zeit, am 3.8. 2015 von 14.00 bis 15.30 am Germanistischen Seminar in Köln ihre Abschlussprüfung. Ihr Thema „Das Menschenbild in Goethes Wahlverwandtschaften“ war ihr zwar total geläufig und vertraut, dennoch schien die Zeit zu rasen, wegzurennen, zu eskalieren und sie vollendete den letzten Satz genau dann, als die Audimaxuhr halb vier schlug.

Max T. aus G. hatte wohl im WHYNOT ein paar Bierchen, vielleicht auch ein paar Schnäpschen oder Underbergchen zu viel gekippt, als er am 16.9.2015 meinte, einen kleinen Disput über die Rechnung anzufangen, der dann mit einem Faustschlag auf die Nase des Wirtes endete. Die 7 Stunden (1.00-8.00 des Folgetages), die er in der Arrestzelle der örtlichen Polizei verbrachte, hörten überhaupt nicht auf, vor allem, weil an Schlaf auf der 150x60-Pritsche nicht zu denken war.

Es war ebenfalls 1.00 am 17.9.2015, als Paula U. aus A. feststellte, dass 1.) die Umzugshelfer um 8.00 eintreffen würden, 2.) sie noch keine Kiste gepackt hatte und 3.) die Nacht draufgehen würde. Sie können sich vorstellen, dass für sie die nächsten sieben Stunden, oder sagen wir 420 Minuten oder sagen wir 25200 Sekunden wie im Fluge vergingen, Teller wurden eingewickelt, Bücher aus den Regalen gerissen, Tücher gewurstelt und  Hosen gestapelt und tatsächlich war sie um 8.00 fertig. nach sieben Stunden, 420 Minuten, 25200 Sekunden, die an ihr vorbeirauschten, vorbeiwuselten, vorbeidüsten.

2015 ging schnell vorbei. Oder auch nicht. aber sicher ist, dass es für jeden anders schnell vorbeiging und für jede und jeden auch nicht gleichmässig schnell.

Wie Hofmannsthal schrieb:
Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.

Wenn Sie also möchten, dass 2016 schnell, rasant, düsend vergeht , dann machen Sie viel Action, Prüfungen, Umzüge, Termine, Deadlines, und die Zeit wird rennen.
Wenn Sie möchten, dass die 12 Monate, 52 Wochen, 365 Tage, somit 8760 Stunden, 525600 Minuten und 31536000 Sekunden des Jahres MMXVI langsam, träge, schneckig, schildkrötig verstreichen, dann fahren Sie viel Bahn.

Und lassen sich mal verhaften.

In diesem Sinne: HAPPY NEW YEAR! 

 

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