Dienstag, 8. Dezember 2015

"Ich wünsche mir Frieden für die Welt."



„Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?“ Der Reporter von RTL2 hält dem Passanten auf der Zeil das Mikrophon unter die Nase, während der Kameramann sein Gerät wie eine Kanone geschultert hält. „Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?“ Man sieht dem armen Mann an, wie er fieberhaft überlegt. Schliesslich kommt man vielleicht ins Fernsehen und da muss man ja etwas Schönes, Nettes, etwas Intelligentes sagen und kann ja nicht mit der Wahrheit kommen. Man stelle sich vor, man würde tatsächlich das 249.- teure Aftershave oder den 378.- teuren Schal nennen. Oder einen wirklichen Herzenswunsch: „Einen neuen Chef.“ „Dass das Arschloch unter uns endlich auszieht.“ oder „Dass meine Frau meine Affäre nicht rauskriegt.“ oder noch besser „Dass meine Erbtante endlich stirbt.“ Nicht auszudenken. Und vielleicht ist das Gerät auf der Schulter doch eine Kanone und man wird sofort erschossen.

„Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?“ Man überlegt angestrengt. Leider ist man kein Kind mehr, denn die 4-10 jährigen dürfen bei solchen Fragen noch hemmungslos wahrheiten (warum haben wir ein Verb für „Lüge sagen“ aber für das Gegenteil nicht?) und Dinge wie X-Box, Handy, Stofftier, Dinge wie Schokolade, Bargeld und Fahrrad in die Kamera posaunen und werden trotzdem für gnadenlos goldig gehalten.

„Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?“ Der Mann schwitzt inzwischen hörbar, er tritt von einem Bein auf das andere, Reporter und Kameramann rücken immer näher auf ihn zu, und da kommt dann endlich die Aussage:

„Frieden für die Welt.“

Also nee.
Man kann, in der Mittagspause aus den Gedanken gerissen und von Mikro und Kamera (oder Waffe?, man weiss es ja nicht so genau…) bedrängt, viel Blödsinn sagen, aber nicht

Frieden für die Welt.

Man hat leider keine genauen Statistiken über solche Umfragen, aber ich bin mir sicher, dass, hätte man sie, in Deutschland 1913 und 1938 fünfzig Prozent der Menschen genau diese vier Worte gesagt hätten, was sie nicht gehindert hat, mit Eifer und Elan im nächsten Jahr in ein paar andere Länder einzufallen.

Nein.
Ganz ehrlich: Der Friede auf der Welt ist uns doch wurscht. Von uns aus könnten doch alle Nationen irgendwo rumballern, solange
1)     Keine Pipeline getroffen wird
2)      Der Dollarkurs nicht steigt
3)      Die ganzen Flüchtlinge zu uns kommen
4)      Keine Beachresorts, All-inclusive-Strände und Pauschalparadiese getroffen werden.

Frieden fängt ja bekanntermassen im Kleinen an. Und da könnte der gute Mann ja einige Sachen machen, bevor er an den Frieden in der Welt denkt. Er könnte sich zum Beispiel überlegen, warum sein Chef immer so sauer auf ihn ist. Vielleicht würde ein wenig mehr Pünktlichkeit, Ordnung und Akkuratesse im Job ein wenig zum betriebseigenen Frieden beitragen. Vielleicht würde ein wenig Toleranz gegenüber dem Untern (Mensch in der Wohnung unter uns, der drüber ist ein Obern, Idee von Sascha Lobo) auch zum Frieden helfen. Schliesslich arbeitet dieser Schicht und muss sich morgens um 4.00 in der Wohnung bewegen, er tut das leise, aber ganz geräuschlos geht es nicht…
Ach, und die Affäre? Könnte er beenden. Würde extrem dem Ehefrieden zuarbeiten. Und: Erbtanten dürfen 100 werden, so wie Nonnen Aussicht haben dürfen (Post vom 30.10.)
Nein, der gute Mann könnte in seinem kleinen Umfeld einiges zum Frieden dazugeben.

Wenn Sie also in den nächsten Tagen nach einem Weihnachtswunsch gefragt werden, sagen Sie alles und jedes aber nicht:
Frieden
für
die
Welt

Inzwischen haben sich die beiden RTL2-Leute eine ältere Dame vorgeknöpft. Die überlegt nicht lange, reckt ihr Köpfchen in die Kamera (es ist doch wirklich eine…) und sagt:
„Keine Umfragen mehr im Fernsehen.“

Man kann nur hoffen, das wird gesendet…

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