„Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?“ Der Reporter von
RTL2 hält dem Passanten auf der Zeil das Mikrophon unter die Nase, während der
Kameramann sein Gerät wie eine Kanone geschultert hält. „Was wünschen Sie sich
zu Weihnachten?“ Man sieht dem armen Mann an, wie er fieberhaft überlegt.
Schliesslich kommt man vielleicht ins Fernsehen und da muss man ja etwas
Schönes, Nettes, etwas Intelligentes sagen und kann ja nicht mit der Wahrheit
kommen. Man stelle sich vor, man würde tatsächlich das 249.- teure Aftershave
oder den 378.- teuren Schal nennen. Oder einen wirklichen Herzenswunsch: „Einen
neuen Chef.“ „Dass das Arschloch unter uns endlich auszieht.“ oder „Dass meine Frau
meine Affäre nicht rauskriegt.“ oder noch besser „Dass meine Erbtante endlich
stirbt.“ Nicht auszudenken. Und vielleicht ist das Gerät auf der Schulter doch
eine Kanone und man wird sofort erschossen.
„Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?“ Man überlegt angestrengt. Leider ist man kein Kind mehr, denn die 4-10 jährigen dürfen bei
solchen Fragen noch hemmungslos wahrheiten (warum haben wir ein Verb für „Lüge
sagen“ aber für das Gegenteil nicht?) und Dinge wie X-Box, Handy, Stofftier,
Dinge wie Schokolade, Bargeld und Fahrrad in die Kamera posaunen und werden
trotzdem für gnadenlos goldig gehalten.
„Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?“ Der Mann schwitzt
inzwischen hörbar, er tritt von einem Bein auf das andere, Reporter und
Kameramann rücken immer näher auf ihn zu, und da kommt dann endlich die
Aussage:
„Frieden für die Welt.“
Also nee.
Man kann, in der Mittagspause aus den Gedanken gerissen und
von Mikro und Kamera (oder Waffe?, man weiss es ja nicht so genau…) bedrängt,
viel Blödsinn sagen, aber nicht
Frieden für die Welt.
Man hat leider keine genauen Statistiken über solche
Umfragen, aber ich bin mir sicher, dass, hätte man sie, in Deutschland 1913 und
1938 fünfzig Prozent der Menschen genau diese vier Worte gesagt hätten, was sie
nicht gehindert hat, mit Eifer und Elan im nächsten Jahr in ein paar andere
Länder einzufallen.
Nein.
Ganz ehrlich: Der Friede auf der Welt ist uns doch wurscht.
Von uns aus könnten doch alle Nationen irgendwo rumballern, solange
1) Keine Pipeline getroffen wird
2)
Der Dollarkurs nicht steigt
3)
Die ganzen Flüchtlinge zu uns kommen
4)
Keine Beachresorts, All-inclusive-Strände und
Pauschalparadiese getroffen werden.
Frieden fängt ja bekanntermassen im Kleinen an. Und da
könnte der gute Mann ja einige Sachen machen, bevor er an den Frieden in der
Welt denkt. Er könnte sich zum Beispiel überlegen, warum sein Chef immer so
sauer auf ihn ist. Vielleicht würde ein wenig mehr Pünktlichkeit, Ordnung und
Akkuratesse im Job ein wenig zum betriebseigenen Frieden beitragen. Vielleicht
würde ein wenig Toleranz gegenüber dem Untern (Mensch in der Wohnung unter uns,
der drüber ist ein Obern, Idee von Sascha Lobo) auch zum Frieden helfen.
Schliesslich arbeitet dieser Schicht und muss sich morgens um 4.00 in der
Wohnung bewegen, er tut das leise, aber ganz geräuschlos geht es nicht…
Ach, und die Affäre? Könnte er beenden. Würde extrem dem Ehefrieden zuarbeiten. Und: Erbtanten dürfen 100 werden, so wie Nonnen Aussicht
haben dürfen (Post vom 30.10.)
Nein, der gute Mann könnte in seinem kleinen Umfeld einiges
zum Frieden dazugeben.
Wenn Sie also in den nächsten Tagen nach einem Weihnachtswunsch
gefragt werden, sagen Sie alles und jedes aber nicht:
Frieden
für
die
Welt
Inzwischen haben sich die beiden RTL2-Leute eine ältere Dame
vorgeknöpft. Die überlegt nicht lange, reckt ihr Köpfchen in die Kamera (es ist
doch wirklich eine…) und sagt:
„Keine Umfragen mehr im Fernsehen.“
Man kann nur hoffen, das wird gesendet…
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