Freitag, 1. Mai 2015

Keine Reaktion ist keine mögliche Reaktion

Ich habe neulich von den beiden Reaktionen auf meine Flambage berichtet (SIe erinnern sich? Ein Kellner hatte mich mitsamt dem Dessert in Flammen gesetzt.):
70% Weinen, Zagen, Sorgen, Klagen und 30% heftigstes Gelächter, 70% „Du Ärmster, hattest du Schmerzen, was für ein idiotischer Kellner.“ und 30% Bäuchehalten, Bodenkugeln, Krampfkichern und „Schade, dass ich nicht dabei war.“ 70% Mitleid, das mich vom Tor zum Wissenden machte und 30% Fail oft he Day-Grinsen.
Normalerweise wäre die Verteilung anders:
65% Erschrecken und Mitleid
25% Heiterkeit
Und die fehlenden 10%?
Sie blieben der Reaktion vorbehalten, die ich – im Gegensatz zu Weinen oder Kichern – nicht akzeptiere:
Nämlich keine.

Ja, es gibt sie, diese Leute, die, egal, was für ein Leiden, eine Katastrophe, was für ein Debakel und was für einen Schmerz du ihnen erzählst, einfach dahocken, gucken und nichts sagen – oder etwas völlig Unpassendes.
„Ich habe einen Autounfall gehabt“, sagen Sie, indem Sie blut- und ölverschmiert ins Zimmer stürzen, und Ihre Tante lässt ihr Strickzeug sinken und meint:
„Putz deine Schuhe ab, bevor du hereinkommst.“
„Ich wandere nach Australien aus“, sagen Sie in der Kantine und eine Weile ist Schweigen und dann sagt Frau Meier aus der Buchhaltung:
„Ach.“
Sie finden während Ihrer Suche nach dem Zugrestaurant im hinterletzten Wagen des ICE 700 einen Mann in seinen Sitz hineingesunken und denken zunächst, er schlafe, wogegen allerdings seine starre Haltung, seine ins Leere blickenden Augen und das grosse Messer in seinem Hals sprechen. Sie rasen also zum Zugbegleiter, schildern atemlos Ihren Fund und er meint:
„Aha.“
Du sagst deinem Vater, dass der Junge, mit dem du in Ferien warst, nicht einfach ein Kumpel ist, sondern dass ihr euch im Zelt geküsst habt und sogar richtig Sex hattet, und dass das auch so bleiben wird, weil du – oh hässlichstes aller Worte! – schwul bist, und dein Vater sagt:
„OK.“

Aha.
Ach.
Hm.
So.
OK.

Alles Reaktionen, die man einfach so nicht bringen kann. Niemand erwartet von der Tante, dass sie sofort Erste Hilfe leistet, Sie wäscht und mit Öl und Wein salbt wie der Samariter, danach den Wagen abschleppt und die gesamte Versicherungsscheisse (sit venia verbo) klärt. Niemand erwartet von den Kollegen, dass sie sofort exakt nachfragen, in welche Stadt und in welche Provinz man ziehe – und diese selbstverständlich auch noch kennen á la „Nach New Mursbee? Dann geh ins Miller Steakhouse, da gibt es das beste Essen!“
Niemand erwartet vom Zugschaffner, dass er in den hinterletzten Wagen eilt, seine weissen Handschuhe anzieht, die Spuren sichert, die Passagiere befragt und, wenn die Kripo kommt, schon einen Täter mit Geständnis hat.
Ein Vater, der NICHT tobt und schreit, der NICHT den Exorzisten ruft, der den Sohn NICHT aus dem Haus wirft, ist ja ganz gut, aber ist ein OK nicht doch ein bisschen dürftig?

Aha.
Ach.
Hm.

Reaktionen, die einfach zu wenig sind, diese Wörter zu sagen ist so wie einen Tennisball nicht zurückzuspielen, sondern ihn aufzufangen und einzustecken. So wie eine E-Mail ohne ein Wort zu schreiben zurückzuschicken, so wie bei einem Telefonat einfach aufzulegen. So wie ein Schnitzel fünfmal durchzuschneiden und dann zurückgehen zu lassen.
Eine besonders schöne Variante berichtet Claudia Keller: Ihr Mann, den sie in ihrem Scheidungsroman Viktor nennt, sprach stets Warum das denn?
Viktor legte die Zeitung weg und sprach Warum das denn,  als sie sagte, dass sie schwanger sei. Viktor blickte von seinen Börsenseiten auf und meinte Warum das denn, als sie sagte, dass sie sich das Bein gebrochen habe und vier Wochen liegen müsse (In diesen Wochen schrieb sie übrigens ihr Buch.) Und Viktor sagte  Warum das denn, als sie ihm mitteilte, dass sie sich scheiden lassen wolle.

Eine besondere Spezies sind die Schwaben. Der Schwabe würde nie die scheusslichen Worte
Aha.
Hm.
OK.
in den Mund nehmen, aber wird doch eine solche Reaktion bringen, die eine weitere Kommunikation unmöglich macht. Er wird keine Heiterkeit und kein Mitleid zeigen, und seine Reaktion wird eben eigentlich auch KEINE Reaktion sein. „Des gibbds jetzt viele om dia Jooreszait“, wird er zum Unfall sagen. „Do isch Sidnei d‘ Haubtschtad“ zum Thema Australien. Und er wird weise „Jo, mid eme Mässer im Bauch isch mr dood.“ sagen. Man kann ihm also nicht nachsagen, er würde schweigen oder er sei einsilbig, obwohl er es ist.

Aha.
OK.
Hm.
So.
Bitte sagen sie nicht so etwas! Lachen Sie, Weinen Sie, reagieren Sie peinlich, unangemessen, werfen Sie mit etwas um sich, halten Sie sich den Bauch vor Kichern oder kugeln Sie auf dem Boden, zeigen Sie wissendmachendendes Mitleid oder Empörung, aber sagen Sie nicht einfach
Ach.


Das emotionale Reagieren haben wir nämlich den Robotern voraus.

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