Dienstag, 28. April 2015

Kretschmann muss man in Ruhe lassen (sagt Ötti)



Ach, war das vor 30 Jahren noch einfach, einem Politiker etwas anzuhängen. Wenn man zum Beispiel nur ein wenig buddelte, fand man irgend eine NS-Scheisse (sit venia verbo), die der Betreffende, hatte man ganz grossen Dusel, dann auch noch leugnete, und dann begann ein wunderbares Spiel: Historiker: SS!
Politiker: Ja, aber nur im Büro.
Historiker: SS-Wachmann in Dachau.
Politiker: Ja, aber nur 14 Tage und keine Mitwirkung an Morden.
Historiker: 2 Jahre und nachweislich 2000 in die Kammern geführt.
Dann war der Rücktritt fällig, abgesehen davon, dass die SS niemand zum Briefeschreiben aufnahm und das jeder, der in einem KZ arbeitete, auch an den Morden beteiligt war.
Fand man nichts in der dunklen Vergangenheit, fand man irgendetwas anderes: War der gute Mann vielleicht im Oscar Wilde gesichtet worden, Hand in Hand mit einem knackigen Boy? Hatte er eventuell von seinem Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht und – hässlichstes aller Worte – demonstriert? (Denn demonstrieren taten nur Staatsfeinde.) Liess sich möglicherweise ein Foto auftreiben, auf dem er kifft?

Heute ist es sehr, sehr schwer eine Politikperson in den Schmutz zu ziehen. Wenn er nicht gerade volltrunken Auto fährt und bei der Kontrolle den Polizisten als blöden Hund bezeichnet, hat man nicht viele Möglichkeiten: Für eine braune Vergangenheit sind die Typen schlicht und einfach zu jung. Schwulsein ist kein Problem mehr und selbst die Kanzlerin geht an Demonstrationen. Und Kiffen? Meine Güte, Jugendsünde, wer hat das nicht schon einmal probiert…

An so einem Musterbuben wie dem Kretschmann hätten sich allerdings die Strategen der Gegenpartei auch schon vor 30 Jahren sämtliche Schneide-, Backen- und Weisheitszähne ausgebissen: Brav, bieder, treuer Familienmensch, weder schwul noch bi, erzkatholisch, Laienfunktionär und Kirchenchorsänger. Schon damals hätten die CDU-Werbeleute sich die Haare gerauft, dass die Grünen einen besseren Katholiken als sie selber haben.

So ist es zu verstehen, dass Alt-Ministerpräsident Öttinger seine Partei warnt, im Wahlkampf personell gegen Winnie vorzugehen. Der Mann, so Ötti im Interview, sei zu be- und geliebt, sei so sehr everbody’s darling, dass der Schuss nur nach hinten losgehen könne. Man solle ihn, so der Altmini wörtlich, nicht als „Bösen Buben“ handeln. Recht hat er. Das Schlimmste, was Winnie in den letzten Monaten gemacht hat, war, dass er in der Missa Sanctae Juliae von Boccone falsch eingesetzt hat, aber soll man davon nun ableiten, dass Kretschi auch im Landtag den Ton nicht trifft, sich im Ton vergreift, seine(n) Part(ei) nicht im Griff hat? 

Was Ötti allerdings nicht benennt, ist die Alternativstrategie: Wenn das Ich-hänge-dir-was-an, wenn das Wir-stellen-dich-bloss nicht geht, was ist die andere Möglichkeit?

Die andere Möglichkeit ist die Sachebene. Aber das ist natürlich eine schwierige Sache. Wenn sich einer im Musterländle hinstellt und laut ruft: „Alles läuft schief!“, dann blicken die Leute am Kaiserstuhl, im Kraichgau, im Schwarzwald und auf der Alb von ihrer emsigen Arbeit auf und fragen sich: „Was denn? Die Wirtschaft boomt, es gibt Stellen und Ausbildungsplätze, wir sind fleissig und sauber und innovativ, es werden Strassen und Häuser und Windkraftwerke gebaut, alles läuft doch…“
Und wenn doch eine sagt: „Na, x und y und z könnten besser gehen“, dann müsste man ja zeigen, dass man es besser KANN.

Ausserdem haben sich Politicker (sic, siehe Kreisler) so oft bei Sachfragen blamiert, dass sie lieber die Finger davon lassen. Da wollte einer die A345 sechsspurig, was einen Rückbau bedeutet hätte, denn sie hatte schon acht; da wollte eine die Institute für Kybernetik und Hermeneutik, ebenso die für Medienwissenschaften und Mediävistik zusammenlegen, da wollte man Flughäfen bauen, die so nahe an anderen gewesen wären, dass die Maschinen direkt auf die Rollfelder des Nachbarflughafens geglitten wären.

Nein, bei Sachfragen ist die Union nicht die Stärkste, deshalb hat sie auch ein Personalprogramm: MUTTI.

Nur steht Mutti halt als Gegnerin für Kretschi nicht zur Verfügung.
Um an die Macht zu kommen, bliebe für die CDU im Südwesten nur eine Lösung:
Winnie muss die Partei wechseln.
Denn wie damals bei Helmut Schmid sagen ja viele: Ein toller Typ, nur in der falschen Partei.

Es heisst also: Nicht Dreck auf sein Haupt, sondern Honig ums Maul, vielleicht lässt er sich ja abwerben. Katholisch genug ist er ja.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen