Montag, 13. April 2015

Ikebana als Weiterbildungsmassnahme - 100% Förderung

Ich war die letzte Woche in Berlin, und wann immer man in der Bundeshauptstadt U-Bahn fährt, kommt man nicht umhin, die vielen Werbeplakate zu bestaunen, gut, man hat zwar ein interessantes Buch dabei, aber man muss ja auch aus- und einsteigen und draussen ist es schwarz. Auf den unzähligen Klebedingern wird für alles und jedes geworben: Da kann man Sprachen lernen, von Esperanto bis zu seltenen Inuit-Dialekten, da soll man Museen und Konzerte besuchen, da kann man Franchise-Unternehmer von Schokolade oder Yoga werden, und natürlich sind da die Weiterbildungen, alle mit dem schönen 100% gekennzeichnet: 100% der Kosten werden getragen.
Super, denke ich und mein Blick fällt schnurstracks auf ein sehr buntes Schreiben vor mir:

HABEN SIE EINEN GRÜNEN DAUMEN?
Natürlich, den habe ich.
HABEN SIE GEFÜHL FÜR FORM UND STRUKTUR UND SIND SIE EIN MUSISCHER MENSCH?
Klar, ich bin schliesslich Musiker, das scheint ja wie für mich gemacht.
WOLLEN SIE DAS LEBEN IHRER MITMENSCHEN VERSCHÖNERN?
Ja, ja, das will ich, das will ich.
DANN ANMELDEN: AUSBILDUNG ZUM/ZUR IKEBANA-FLORIST(IN), 5-WÖCHIGER LEHRGANG. 100% FÖRDERUNG. TEL. 030 7676988

Ich rufe sofort an, und siehe da: Im Juli und August findet ein Lehrgang statt, ich solle gleich mal vorbeikommen. Im Institut SHUFOMA® bin ich sofort begeistert, die Blütensteckschule liegt in einer alten Villa in Dahlem, die aber innen völlig japanisch eingerichtet ist. Helle Wände werden von Wandteppichen verziert, im Foyer plätschert ein Brunnen in einem Steingarten, es herrscht eine wohltuend konzentrierte Atmosphäre, fast meint man den Duft von Kirschblüten, Jasmin und Tee zu atmen. Frau Gomatotschi, die Gründerin und Leiterin des SHUFOMA® weiss auf alle meine Fragen eine gute Antwort und so unterschreibe ich den Vertrag: Vom 14.7. bis zum 21.8. werde ich nun in die Kunst der korrekten Ikebana eingeführt werden.
Als ich nach der Förderung frage, gibt sie mir die Adresse des entsprechenden Amtes.

Im Amt herrscht eine andere Atmosphäre. Untergebracht ist es in einem 60er-Jahre-Zweckbau, hier verdecken hässliche Brandenburg-Tourismus-Plakate den bröckelnden Putz, statt Steingarten die obligatorischen Gummibäume und den Duft nach Bodenpflegemittel und schlechtem Kaffee ahnt man nicht, er ist real. Ich ziehe eine Nummer, denn die Sachbearbeiterin, Frau Mödel-Schubler, ist – im Gegensatz zu Frau Gomatotschi – ständig beschäftigt. Nach zwei Stunden komme ich endlich dran. Nun reden wir eine Weile ziemlich haarscharf aneinander vorbei, bis mir die Sache klar ist: Die 100% Förderung gelten für Langzeitarbeitlose  mit deutschem Wohnsitz, nicht für Ausgewanderte, die zu hundert Prozent arbeiten und eine Fortbildung als Ferienbeschäftigung machen will. Auf Deutsch gesagt, sie gelten für Hartz IV-Empfänger, die regelmässig einen Weiterbildungsnachweis vorlegen müssen, um ihre Stütze nicht zu riskieren.
Ich werde also meinen Fernbus, meine Logis und Verpflegung, sowie die Kurskosten von immerhin 650.- Euro selber berappen müssen.

Nun bin ich aber doch neugierig und frage Frau Mödel-Schubler, warum eine Ausbildung zum/zur Ikebanafloristen/Ikebanafloristin die Chancen eines LZA relevant erhöhe. Immerhin könnte sie ja bei einigen Jobs sogar ein Handicap sein: Welcher Landschaftsgärtner stellt eine Frau ein, die statt die Blumen einfach zu pflanzen, sie ständig um- und neusortiert, welche Supermarkt beschäftigt einen Typen, der beim Regaleinräumen auf Farbe, Form und Schwingung, aber nicht auf das Produkt achtet? („Neben den roten Kaffeefiltern würden jetzt so gut ein paar blaue Suppendosen passen…“)

Die Antwort der Sachbearbeiterin ist lapidar: Natürlich wisse sie, dass diese Ausbildungen zur Ikebanakunst, zum Schokoladerühren, zum Homepagemachen und zum Klopapierrollenhäubchenhäklen (sic) absolut nix bringen. Genausowenig übrigens wie die zum Fassadenklettern, zum Regaleinräumen oder zum Zeitschrifteneinschweissen, die ersten seien Nischenjobs, die zweiten 1 Tag-Anlernen-Jobs. Das Wichtige sei: Massnahme = Arbeit, wer also eine Massnahme mache, falle aus der Statistik raus, wenn man LZA regelmässig zu solchen Kursen zwinge, dann haben sie theoretisch wieder einen Monat gearbeitet und sind wieder zu den Kurzzeitarbeitslosen zu rechnen.

So einfach ist das.

Mir bleibt der Mund offen stehen. ich habe das natürlich immer schon gewusst, aber nicht in dieser Deutlichkeit: Frau Gomatotschi belügt Frau Mödel-Schubler, indem sie die Chancen für Ikebanakundige auf dem 1. Arbeitsmarkt als extrem hoch bezeichnet, wobei die Sachbearbeiterin weiss, dass die andere lügt. Frau Mödel-Schubler wird etliche ihrer Klienten dorthin schicken und die Chancen ausmalen, wobei wieder beide Seiten wissen, dass gelogen wird und am ersten Kurstag wird die Japanerin nochmal ihren Schützlingen erzählen, was man mit Ikebanadiplom alles machen kann, und auch hier wird der Schwindel jedem klar sein.

Was wäre aber, wenn die 100% Förderung gestrichen würden? Von Hobbyikebanisten wie mir kann Frau Gomatotschi nicht leben, nicht in Dahlem, da müsste sie ihre Workshops auf Kreta oder Sardinien anbieten. Sie würde also arbeitslos und würde die Statistik belasten – bis man sie in eine 100% geförderte Massnahme schickte. Fassadenkletterin vielleicht. Wobei die Chancen für 140cm grosse Kiotoerinnen  in der Fassadenbranche nicht gross sind.
 
Aber das wäre ihr ja klar…

 

  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen