Donnerstag, 9. April 2015

Kleinkünstler

Ein Kleinkünstler – ich muss das jetzt so schreiben, auch wenn Marc-Uwe Kling, der mit dem Känguru, jetzt im Viereck hüpft – zeigte mir neulich einen Vertrag mit einer Berliner Bühne, der so abstrus ist, dass ich ihn hier komplett und ungekürzt abdrucken möchte:

§1 Der Veranstalter stellt die Räumlichkeiten des CAFÈ WITZ gratis zur Verfügung. Für folgendes Spezialequipment muss allerdings der jeweilige Aufpreis berechnet werden:
Bühnenbeleuchtung   50.- Euro
Vorhang   40.- Euro
Mikrofonanlage   100.- Euro

§2 Die/der Auftretende überlässt dem Veranstalter 50% des erhobenen Eintrittspreises, sollte die Veranstaltung schlecht besucht sein (weniger als 30 Zuschauerinnen oder Zuschauer) 30%, aber mindestens einen Betrag von 100.- Euro

§3 Die/der Auftretende ist für alle Werbemassnahmen selber verantwortlich. Das CAFÈ WITZ weist auf seiner Homepage auf die Veranstaltung hin. Für einen Aushang im Schaukasten (Seite Reinickendorfer Strasse) werden Euro 30.- in Rechnung gestellt.

§4 Der Veranstalter überlässt der/dem Auftretenden gratis eine Flasche Mineralwasser. Für sämtliche andere Getränke (auch Kaffee oder Tee) muss der normale Kartenpreis bezahlt werden.

§5 Dier/der Auftretende kann die Räumlichkeiten des  CAFÈ WITZ 30 Minuten vor Saalöffnung für eine kurze Probe nutzen, sollten weitere Zeiten notwendig sein, werden diese mit 10.- Euro pro 15 Minuten in Rechnung gestellt.

Wir beiden machten uns ein bisschen an die Rechnung: Da der Kleinkünstler – verzeih, Marc-Uwe, verzeih – vor allem in studentischen Kreisen bekannt ist, ist mehr als 15.- für die Karte nicht drin. Kommen also 50 Leute (das ist schon optimistisch) hat er Einkünfte von 750.-. Davon gehen 50% ab, bleiben 375.- Immerhin. Da er aber Beleuchtung, Vorhang und ein Mikro braucht, da er anderthalb Stunden die Bühne testen muss, da er den Schaukasten nutzen will und vor dem Auftritt noch zwei Espressos braucht (Espresso 3.- Euro), belaufen sich seine Unkosten auf 266.- Euro. Das sind 109.- Euro Verdienst. Nicht schlecht. Wenn 50 Leute kommen! Kommen vierzig, bleiben ihm 34.- Euro. Kommen dreissig…
Der Kleinkünstler – sorry, Herr Kling – hat zugesagt, er wird alle seine sozialen Netzwerke in Bewegung setzen, dass die Bude voll wird. Denn er konnte schon im Februar einen Termin bekommen (irgendjemand hat abgesagt), normalerweise ist das CAFÈ WITZ ein Jahr im Voraus ausgebucht.

So weit, so gut. Das Schreckliche ist, dass diese Fiktion gar nicht so weit von der Realität entfernt ist, vielleicht habe ich sogar untertrieben.
Wundern wir uns also nicht, wenn so wenige etwas Frisches, Neues probieren, wenn so wenige ein Schrittchen vom Mainstream weglaufen, wundern wir uns nicht, warum so wenig Kreatives, Experimentelles passiert, wundern wir uns nicht, wenn Kleinkunst – jetzt ist gut, Marc-Uwe, ich habe mich schon dreimal entschuldigt – immer mehr zum Synonym für Comedy wird.
Was mich aber rasend macht, ist, wenn so ein Veranstalter dann auch noch Eigentümer der Immobilie ist. Dann sagt er sich nämlich: „Ich könnte einfach an ein Restaurant verpachten. Ich könnte aber auch Künstler abzocken, die sind ja um jeden Stall froh, wo sie ihre Kunst machen können, und ich kann mich als Förderer der Kunst aufspielen.“

Ich habe dem Kleinkünstler – Ruhe! – angeboten, wenn er im Herbst nach Freiburg kommt, bei mir in Basel einen Hausauftritt zu machen. Er kriegt die Reisekosten Basel – Freiburg und die gesamte Kollekte (ich rechne mit 25 Leuten), ausserdem mache ich ein Buffet, wo er sich, ich meinte das als Joke,  mal wieder  sattessen könne.
Das freue ihn besonders, so gestand er mir unter Tränen, sattgegessen habe er sich schon seit einem Jahr nicht mehr.
(Letzter Absatz eher im Konjunktiv, der Gute ist ja fiktiv, obwohl so realistisch)

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