Dienstag, 3. März 2015

Der flambierte Mann

Ich muss eine Sache noch aufklären:
Die Geschichte mit dem flambierten Arm, ich habe sie noch 2014 erwähnt, war nicht erfunden.
Sie ist wahr.
Als ich im Dezember mit meinem Partner in einem guten Basler Restaurant essen war, bestellte ich zur Feier des Tages – was zu feiern war, weiss ich nicht mehr – ein Dessert.
Nun ergab sich das, was der Jurist eine Verkettung unglücklicher Umstände nennt:
Das Dessert war ein am Tisch flambierter Schokokuss.
Der Kellner war ein Idiot.
Der Chef und der Vizechef, die eigentlich am Tisch flambieren und dies auch gelernt haben, waren abwesend.
Der Kellner war ein Vollidiot.
Er brachte es nicht fertig zu sagen, dass er diese Aktion nicht drauf habe, und probierte es nach dem Motto „So schwer kann es ja nicht sein, ich habe schon vierzig Mal zugeguckt und es sieht ganz einfach aus.“ (Zum Glück ist der Mann kein OP-Pfleger oder Flugbegleiter.)
Der Kellner war ein Vollidiot.
Er schüttete Rum in die zu schwach brennende Flamme nach, es gab eine Riesenexplosion und mein Arm stand in Flammen.
Das ist jetzt Wochen her und ich muss sagen, ich habe Glück gehabt, die Verbrennungen 2. Grades sind topverheilt, ich hatte nie Schmerzen, es betraf auch nur den Unterarm, weil ich mein Hemd hochgekrempelt hatte, und der Beizer hat sich sehr kulant gezeigt.

Was das wirklich Spannende war, war die Reaktion der Leute, denen ich es erzählte. 70 % reagierten geschockt, waren entsetzt, liessen Sätze wie Das darf ja wohl nicht wahr sein! oder Hast du arge Schmerzen gehabt los, die des Servierens Kundigen auch Das gehört doch zum ABC der Gastronomie, dass man da nicht nachschüttet.
30 % allerdings taten etwas anderes: Sie lachten. L’homme flambé wurde für sie zur Quelle einer sprudelnden Heiterkeit, sie wälzten sich auf dem Boden, sie kicherten, sie brüllten, sie schütteten sich aus vor Lachen, Tränen liefen ihnen aus den Augen und sie hielten sich die Bäuche.
Sie konnten sich nicht beruhigen, immer wieder sagten sie sich den magischen Satz vor: Der Kellner hat das Dessert und mich mit flambiert, denn so hatte ich es berichtet – und natürlich ein wenig Heiterkeit auch schon in diesen Satz gelegt.

Wissen Sie was?
Beide Gruppen haben Recht.
Viele Dinge haben etwas ungeheuer Tragisches und dabei etwas überaus Komisches. Nur meistens halten wir unser Lachen zurück, weil Tod, Unfall und Verletzung eben nichts Lachenswertes sind. Aber ist es nicht eigentlich auch sehr witzig, wenn man in Paris nur zu Fuss geht, weil man Angst vor der Metro hat und dann auf den Champs Elysee von einem Ast erschlagen wird?
Ist es nicht komisch, wenn Barbarossa ein Schloss baut, dann nie drin schläft, weil ein Augur sagt, er werde darin sterben, schliesslich doch einmal darin nächtigt – und in dieser Nacht stirbt?
Gibt es nicht den Begriff Ironie des Schicksals?
Beruht nicht jeder Dick und Doof-Film darauf, dass Stürze sehr, sehr schmerzhaft, aber auch sehr, sehr erheiternd sind, und wir eben im täglichen Leben NICHT darüber lachen dürfen? Wir lachen uns kaputt, wenn der Oli dem Stan mit dem Finger ins Auge piekt, obwohl wir wissen, das tut verdammt weh.
In die gleiche Kategorie gehören natürlich auch alle FAIL OF THE DAY- und FAIL OF THE WEEK-Beiträge, Spots, bei denen wir uns totlachen, wenn der Parcour-Läufer auf dem Po und nicht auf den Beinen landet oder ein Mountainbiker gegen einen Baum segelt. Ich wäre übrigens, wenn es eine Geburtstagstorte gewesen wäre und ein Kollege das Anzünden von Anfang an gefilmt hätte, sofort im Internet auf einer dieser FAIL-Pages gelandet.

Glauben Sie mir:
Das Leben ist tragisch, und es ist manchmal wahnsinnig komisch.
Und manchmal ist es beides zugleich.
Ich kann inzwischen selber über die Sache herzhaft lachen, weil ich ihr die heitere Seite abgewinnen kann. Und weil der Wirt ausser den Arztkosten 1000.- Schmerzensgeld gezahlt hat. (Müsste es nicht eigentlich Scherzensgeld heissen, wenn er Schuld ist, dass alle lachen?)

Schade nur, dass das Ganze nicht in Chicago, NY oder LA passiert ist, ich müsste nicht mehr arbeiten.
Ich bin im Dezember zusammen mit dem Dessert flambiert worden.
So.
Nun können Sie sich Ihrer Reaktion überlassen:
Weinen Sie.
Empören Sie sich.
Oder lachen Sie.
Es ist alles OK.      

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