Ihr Arbeitskollege beginnt den Bürotag wie ein Entertainer
seine TV-Show: Mit einer Flugrolle hechtet er ins Büro, kommt wieder auf die
Beine, springt, streckt sich, er ruft: „Ich bin spitze!“ und gleitet zum PC.
Dort startet er voller Elan, voller Tatendrang die Programme, ruft seine Mails ab
und konsultiert die To-do-Listen, nebenbei schüttelt er Ihnen und allen anderen
die Hände, macht Kaffee und sieht die Post durch, sodass seine Arme, die her
und hin und hin und her fliegen, sich zu vervierfachen scheinen und er ein
shivaeskes (oder shivanisches?) Aussehen bekommt.
Und Sie?
Sie sind so müde, so schlapp, so wenig motiviert, dass Sie
schon Mühe haben, den Büroraum aufrecht zu betreten und dass das Drücken der
Computerstarttaste all ihre Energie verbraucht.
Ihr Chef, der auch Besitzer des Cheval d’or ist und dem Sie
beichten müssen, dass Sie einem Gast einen halben Liter braune Sauce über ein
hellbeiges 15.000 Franken-Armani-Jackett gekippt haben, lächelt Sie nur an: Das
könne nun jedem, aber wirklich jedem passieren, und Ihnen sei das noch nie
passiert, das sei nicht schlimm, man habe eine Versicherung, und Sie dürften
jetzt erst einmal Pause machen um sich von dem Schreck zu erholen, er werde
Ihre Schicht übernehmen. Der Mann steht scheinbar kurz vor seiner
Heiligsprechung, so und nicht anders, haben St. Stephanus, St. Nepomuk und St.
Andreas gelächelt, bevor sie mit Felsbrocken beworfen, von der Moldaubrücke
gestürzt und X-gekreuzigt wurden, sie haben gelächelt und verziehen. Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht,
was sie tun.
Und Sie?
Sie haben so viel Wut im Bauch, so viel Zorn, so viel Groll
über die blöden Gäste, denen die Tomatensauce nicht fruchtig und die Käsesauce
nicht käsig genug ist, die Wein bestellen, den sie dann nicht mögen und
Beilagensalate, die sie nicht essen, Sie haben eine solche Wut im Leib, dass
sie den Arschloch-CEO (s.v.v.) an Tisch 23 ganz bewusst in
Rinds-Madeira-Pfeffer-Tunke gebadet haben.
Ihre Untergebenen scheinen Computerhirne zu haben: Sie
denken jedes Jahr an Ihren Geburtstag, natürlich, selbstverständlich, ohne
Frage, aber auch an Ihren Namenstag, an Ihren Firmeneintrittstag, sie denken an
Ihren Hochzeitstag, an die Geburtstage Ihrer Frau, Ihrer Kinder und Ihrer
Putzfrau. Und jedes Mal gibt es nicht nur ein Kärtchen, sondern immer etwas
Spezielles, Originelles, etwas Handgemachtes oder Handgebackenes, mit viel
Liebe, mit sehr viel Liebe und mit viel frischer Butter gemacht.
Und Sie?
Sie vergessen natürlich am 6.3.2015 das Jubiläum von Ruedi
Stämpfli, der an diesem Tag 50 Jahre in der Firma arbeitet und davon 20 in
Ihrer Abteilung, obwohl Sie das Datum vollelektronisch, halbelektronisch und
nichtelektronisch gespeichert haben, obwohl es in Blackberry, I-Phone und
Laptop vermerkt ist, ausserdem rot in der Agenda UND an der Pinwand.
Wie schaffen Ihre Kollegen, Ihr Boss, Ihre Untergebenen es
nur, so dynamisch, so friedlich, so kooperativ zu sein, woher nehmen sie die
Kraft, die Liebe, die Energie, woher den Gleichmut und Teamgeist?
Ganz einfach:
Sie sind gedopt.
Laut einer Untersuchung der Krankenkassen nehmen 3 Millionen
Deutsche chemische Präparate, um ihren Arbeitsalltag zu bewältigen. Drei Millionen, in Zahlen 3 000
000 Beschäftigte kommen - nicht jeden
Morgen, aber doch einmal pro Woche, nicht immer, aber immer öfter - vollgepumpt
mit BEATOMED®, TRANQUILLOBON® und ENERGOSAN® in die Firma, sie werfen rote,
grüne und gelbe Pillen ein, Worker’s Little Helpers. Dabei sind BEATOMED®,
TRANQUILLOBON® und ENERGOSAN® gar keine schlechten Produkte, sie sind sogar
gute Mittel, aber eigentlich für Kranke. Diese Präparate sind gegen
Depressionen und Phobien, gegen Aggressivität und Schizophrenie, gegen Neuro-
und Psycho-sen, sie sind nicht dafür gemacht, den normalen Berufsalltag zu bewältigen. Wie viel Suchtgefahr und wie viel
Nebenwirkungen sie einem Gesunden bieten, ist noch überhaupt nicht ausgemacht.
Ich glaube, da muss man mal sehr, sehr, sehr heftig über die
Bücher in den deutschen Firmen. Was ist da in den Büros und Schreibstuben, in
den Kopierzimmern und Konferenzräumen los, dass so viele Arbeitnehmer ohne
BEATOMED®, TRANQUILLOBON® und ENERGOSAN® gar nicht in die Firma könnten?
Und wie sieht es eigentlich in anderen Bereichen aus? Muss
man vielleicht nicht nur Worker’s Little Helpers, sondern auch von Politician’s
Little Helpers, von Artist’s, von Writer’s Little Helpers sprechen? Muss man
bei nationalen und internationalen Preisen Dopingkontrollen einführen? Müssten
vielleicht Nobel- und Büchnerpreise, Karls- und Hebelmedaillen, müssen die
Preise des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und der Leipziger Buchmesse
zurückgegeben werden, weil da unerlaubte Substanzen im Spiele waren? Müssten da
nach positiven A- und B-Tests auch hohe Preisgelder zurückbezahlt werden?
Hätte man einst die Hegemann vielleicht eher durch die
Dopingschiene als durch die Plagiatsschiene drangekriegt, weil man so einen
Schwachsinn wie AXOLOTL ROADKILL nur unter Drogen geschrieben haben kann?
Fragen über Fragen.
Fest steht: Wenn Ihr Kollege wieder mit seiner
Akrobatiknummer ins Büro kommt, wenn Ihr Chef den ganzen Tag wie St. Florian
lächelt, wenn Ihre Untergebenen Ihnen wieder etwas mitgebracht haben, seien Sie
nicht neidisch.
Jene stehen unter dem Einfluss von TRANQUILLOBON®, BEATOMED®
oder ENERGOSAN®.
Und Sie?
Sie sind schlapp.
Sie sind wütend.
Sie sind vergesslich.
Aber Sie sind clean.
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