Freitag, 20. März 2015

Wieso sind im Büro alle so gut drauf? oder: Worker's Little Helpers



 Ihr Arbeitskollege beginnt den Bürotag wie ein Entertainer seine TV-Show: Mit einer Flugrolle hechtet er ins Büro, kommt wieder auf die Beine, springt, streckt sich, er ruft: „Ich bin spitze!“ und gleitet zum PC. Dort startet er voller Elan, voller Tatendrang die Programme, ruft seine Mails ab und konsultiert die To-do-Listen, nebenbei schüttelt er Ihnen und allen anderen die Hände, macht Kaffee und sieht die Post durch, sodass seine Arme, die her und hin und hin und her fliegen, sich zu vervierfachen scheinen und er ein shivaeskes (oder shivanisches?) Aussehen bekommt.
Und Sie?
Sie sind so müde, so schlapp, so wenig motiviert, dass Sie schon Mühe haben, den Büroraum aufrecht zu betreten und dass das Drücken der Computerstarttaste all ihre Energie verbraucht.

Ihr Chef, der auch Besitzer des Cheval d’or ist und dem Sie beichten müssen, dass Sie einem Gast einen halben Liter braune Sauce über ein hellbeiges 15.000 Franken-Armani-Jackett gekippt haben, lächelt Sie nur an: Das könne nun jedem, aber wirklich jedem passieren, und Ihnen sei das noch nie passiert, das sei nicht schlimm, man habe eine Versicherung, und Sie dürften jetzt erst einmal Pause machen um sich von dem Schreck zu erholen, er werde Ihre Schicht übernehmen. Der Mann steht scheinbar kurz vor seiner Heiligsprechung, so und nicht anders, haben St. Stephanus, St. Nepomuk und St. Andreas gelächelt, bevor sie mit Felsbrocken beworfen, von der Moldaubrücke gestürzt und X-gekreuzigt wurden, sie haben gelächelt und verziehen. Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Und Sie?
Sie haben so viel Wut im Bauch, so viel Zorn, so viel Groll über die blöden Gäste, denen die Tomatensauce nicht fruchtig und die Käsesauce nicht käsig genug ist, die Wein bestellen, den sie dann nicht mögen und Beilagensalate, die sie nicht essen, Sie haben eine solche Wut im Leib, dass sie den Arschloch-CEO (s.v.v.) an Tisch 23 ganz bewusst in Rinds-Madeira-Pfeffer-Tunke gebadet haben.

Ihre Untergebenen scheinen Computerhirne zu haben: Sie denken jedes Jahr an Ihren Geburtstag, natürlich, selbstverständlich, ohne Frage, aber auch an Ihren Namenstag, an Ihren Firmeneintrittstag, sie denken an Ihren Hochzeitstag, an die Geburtstage Ihrer Frau, Ihrer Kinder und Ihrer Putzfrau. Und jedes Mal gibt es nicht nur ein Kärtchen, sondern immer etwas Spezielles, Originelles, etwas Handgemachtes oder Handgebackenes, mit viel Liebe, mit sehr viel Liebe und mit viel frischer Butter gemacht. 
Und Sie?
Sie vergessen natürlich am 6.3.2015 das Jubiläum von Ruedi Stämpfli, der an diesem Tag 50 Jahre in der Firma arbeitet und davon 20 in Ihrer Abteilung, obwohl Sie das Datum vollelektronisch, halbelektronisch und nichtelektronisch gespeichert haben, obwohl es in Blackberry, I-Phone und Laptop vermerkt ist, ausserdem rot in der Agenda UND an der Pinwand.

Wie schaffen Ihre Kollegen, Ihr Boss, Ihre Untergebenen es nur, so dynamisch, so friedlich, so kooperativ zu sein, woher nehmen sie die Kraft, die Liebe, die Energie, woher den Gleichmut und Teamgeist?

Ganz einfach:

Sie sind gedopt.
Laut einer Untersuchung der Krankenkassen nehmen 3 Millionen Deutsche chemische Präparate, um ihren Arbeitsalltag zu  bewältigen. Drei Millionen, in Zahlen 3 000 000 Beschäftigte kommen  - nicht jeden Morgen, aber doch einmal pro Woche, nicht immer, aber immer öfter - vollgepumpt mit BEATOMED®, TRANQUILLOBON® und ENERGOSAN® in die Firma, sie werfen rote, grüne und gelbe Pillen ein, Worker’s Little Helpers. Dabei sind BEATOMED®, TRANQUILLOBON® und ENERGOSAN® gar keine schlechten Produkte, sie sind sogar gute Mittel, aber eigentlich für Kranke. Diese Präparate sind gegen Depressionen und Phobien, gegen Aggressivität und Schizophrenie, gegen Neuro- und Psycho-sen, sie sind nicht dafür gemacht, den normalen Berufsalltag zu  bewältigen. Wie viel Suchtgefahr und wie viel Nebenwirkungen sie einem Gesunden bieten, ist noch überhaupt nicht ausgemacht.

Ich glaube, da muss man mal sehr, sehr, sehr heftig über die Bücher in den deutschen Firmen. Was ist da in den Büros und Schreibstuben, in den Kopierzimmern und Konferenzräumen los, dass so viele Arbeitnehmer ohne BEATOMED®, TRANQUILLOBON® und ENERGOSAN® gar nicht in die Firma könnten?

Und wie sieht es eigentlich in anderen Bereichen aus? Muss man vielleicht nicht nur Worker’s Little Helpers, sondern auch von Politician’s Little Helpers, von Artist’s, von Writer’s Little Helpers sprechen? Muss man bei nationalen und internationalen Preisen Dopingkontrollen einführen? Müssten vielleicht Nobel- und Büchnerpreise, Karls- und Hebelmedaillen, müssen die Preise des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und der Leipziger Buchmesse zurückgegeben werden, weil da unerlaubte Substanzen im Spiele waren? Müssten da nach positiven A- und B-Tests auch hohe Preisgelder zurückbezahlt werden?
Hätte man einst die Hegemann vielleicht eher durch die Dopingschiene als durch die Plagiatsschiene drangekriegt, weil man so einen Schwachsinn wie AXOLOTL ROADKILL nur unter Drogen geschrieben haben kann?

Fragen über Fragen.

Fest steht: Wenn Ihr Kollege wieder mit seiner Akrobatiknummer ins Büro kommt, wenn Ihr Chef den ganzen Tag wie St. Florian lächelt, wenn Ihre Untergebenen Ihnen wieder etwas mitgebracht haben, seien Sie nicht neidisch.
Jene stehen unter dem Einfluss von TRANQUILLOBON®, BEATOMED® oder ENERGOSAN®.

Und Sie?
Sie sind schlapp.
Sie sind wütend.
Sie sind vergesslich.

Aber Sie sind clean.


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