Donnerstag, 26. Februar 2015

Das Räppli-Prinzip

Der Schoggistängel! Ich hätte den Schoggistängel nicht begehren sollen, nicht nach ihm greifen, nicht nach ihm fassen. Ich hätte den Schoggistängel nicht fangen sollen, denn in dem Moment, als ich ihn in der Hand hielt, ergoss sich ca. 1 Tonne Räppli über mich.

Die letzten Jahre bin ich stets räpplifrei durch die drey scheenschte Dääg gewandert. Diese kleinen bunten Biester, die deutsche Touristen stets falsch mit Konfetti bezeichnen, sind nämlich hartnäckige Gesellen. Hast du sie einmal in den Kleidern, und damit auch in der Wohnung, kriegst du sie nicht mehr weg. Sie fallen auf den Boden und schieben sich in alle Ritzen, sie wandern auf deinen Schreibtisch und in deinen PC, sie scheinen sich zu vermehren und überfluten deine Küche. Noch an Pfingsten entdeckst du im Bad ein paar rote, blaue und grüne Papierkreise, noch in den  Sommerferien tauchen sie auf einmal in deinen Badesachen auf.

 Um räpplifrei zu bleiben, muss man so wachsam wie ein Agent Ihrer Majestät 008 sein, denn sie werden nicht nur von den Wagen heruntergeworfen, sondern auch im Zweikampf Mann gegen Mann. Wenn also ein Waggis (für Nichtbasler: =Narr) mit extremperückter Larve (für Nichtbasler: =Maske) auf dich zu rennt, hilft nur die Flucht oder ein Sprung in den zweiten Stock des benachbarten Hauses wie weiland Tell auf dem See auf die Tellplatte sprang. Nein, Gewalt ist hier keine Lösung, die Basler Fasnacht ist eine der friedlichsten Veranstaltungen der Welt, obwohl die ganze Stadt auf den Beinen ist und obwohl Alkohol konsumiert wird.

Natürlich muss man sich auch von den Wagen fernhalten. Sie locken dich nämlich mit Blumen (Rosen und Mimosen), mit Schoggi und Bonbons, aber auch mit so gesunden Dingen wie Mandarinen oder Orangen. Und wenn du das Geworfene fangen willst, wirst du mit Räppli übergossen. Das weiss ich eigentlich alles, aber am Montag flog nun dieser Schoggistängel auf mich zu und ich blickte nur nach diesem Teil und schwupps – ich hatte meine Ladung abbekommen.

Als ich zuhause mich umzog, die Räppli hatten es bis in meine Unterhose geschafft, keine Ahnung, wie sie das gemacht haben, dachte ich, dass es immer so läuft: Man lenkt dich ab, bietet dir etwas, du passt nicht auf – und es ist geschehen.
Das Räppli-Prinzip.

Da sitzt eine Jungfrau auf dem Felsen und kämmt ihr lockiges Haar und singt eine wundersame Melodey und der Schiffer im Kahne wird von wildem Weh ergriffen und achtet nicht mehr auf die Felsen und schwupps: Schiffbruch und Bad im kalten Rhein.
Räppli-Prinzip.

Da blockiert ein Mann mit seinem Koffer den Gang im Zug und du hilfst ihm noch das brutal schwere Gepäckstück weiterzuschieben und bist so abgelenkt, dass du nicht mehr nach hinten schaust und schwupps: Dein Geldbeutel ist weg, schon aus dem Zugfenster gereicht und auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Wenn dich dann noch jemand beim Code-Eintippen beobachtet hat, ist dein Konto geplündert, bevor in Rheinfelden der Kontrolleur kommt, du deine Börse nicht findest und deine Sperr-Hotline anrufst. (Ist einer Kollegin passiert.)
Räppli-Prinzip.

Da gibt man dir beim COOP ein Los mit Sofortgewinn, der dann ein einzelner Kaugummi ist, aber man kann ein ganzes Wellness-Wochenende gewinnen, wenn man die Gewinnnummer per SMS an die COOP AG schickt und du denkst, warum nicht, kostet ja nicht viel und schreibst die 86735364875 an die COOP AG und schwupps: Du hast der Werbeabteilung des Handelsriesen deine Handynummer gegeben.
Da verwickeln dich Leute in nette Gespräche und du denkst an nichts Böses und schwupps: Du hast FRAU MIT LEBER oder AGATHE oder MEN OF STEEL abonniert, du bist auf einmal Passivmitglied bei den FREUNDEN DES PULLOVERSTRICKENS 1899 e.V. oder beim KANUPOLO-CLUB DIESSENHAUSEN 1976 e.V., du bist – schlimmste aller Möglichkeiten – den Mormonen, den Zeugen Jehovas oder der Scientology beigetreten.

Politiker haben das Räppli-Prinzip zur wahren Perfektion gebracht. Wenn also da eine Pressekonferenz stattfindet, auf der Minister A verkündet, dass die Hochschulen mit zusätzlichen 45 Millionen unterstützt werden, eine Pressekonferenz, auf der Minister B sagt, dass zusätzliche Sozialwohnungen gebaut werden, wenn C von Steuersenkung und D von Verbessrung des ÖV spricht:
Schaut nach den Waggisen mit den Räpplisäcken!
Schaut nach den Waggisen!
Schaut nach den grossen Plastiksäcken mit Räpplis!
Irgendwo wird gerade eine grosse, eine ganz grosse, eine Riesenschweinerei vorbereitet.
Man will euch nur ablenken.

Am Dienstag habe ich es dann wieder richtig gemacht: Ich habe den Warnspruch der Basler Polizei beachtet, heisst es da: Augen auf und Tasche zu, hiess es bei mir Augen auf und Kragen zu. Ich habe keine Mimosen, keine Orangen, keine Bonbons und keine Schokolade nach Hause getragen, aber dafür waren auch meine Unterhose und mein T-Shirt papierfrei.   

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