Donnerstag, 19. Februar 2015

Bindfaden zu Fesseln, Putzlappen zu Knebeln

Meine Freundin Anne kommt immer spontan und unangemeldet. Und meistens trifft sie mich sie mich, weil sie ja spontan und unangemeldet kommt, bei irgendeiner Tätigkeit an, ich sitze ja selten einfach nur so herum. Wenn also Anne spontan und unangemeldet läutet, stehe ich unter der Dusche, koche eine Kürbissuppe, backe einen Kuchen, schreibe einen Post oder lege eine Patience. Neulich, als Anne unangemeldet und spontan erschien, war ich dabei, einige häusliche Arbeiten zu erledigen und so sah Anne etwas, was sonst wenige sehen: Das Innere meines Flurschranks. Mein Flurschrank ist aussen über und über mit Zitaten, Sprüchen, Sentenzen und Bonmots dekoriert, was meine Freunde stets fasziniert, aber das Innere haben wenige gesehen.

Anne blickte also hinein und sprach: „Wow, Du bist ja voll ausgerüstet!“ Ich entgegnete: „Man tut was man kann.“
„Ich wusste gar nicht, dass du auf so was stehst.“ „Auf häusliche Arbeiten?“ „Hihihi, natürlich nicht, du weisst schon, was ich meine…“

Ach du liebe Zeit!
Anne war in 50 Shades of Grey gewesen.

Fast zärtlich strich sie über Bindfäden, Putzlappen, über Teelichter und Besen, berührte sie Hammer und Nägel: “Fesseln, Knebel, Heisses-Wachs-Spiele, Fisting, Schlagen, Fakirspiele…“ Dann schaute sie mich an und fragte, ob ich auch schon einmal…
Ich konterte mit dem Witz, den ich immer zu diesem Thema beisteuere, dass ich nämlich SM-Experte sei, weil ich SM unterrichte. Das Bildungsamt war stur bei den Abkürzungen,  zweiwortige Fächer wurden mit den beiden Anfangsbuchstaben benamt, Hauswirtschaft = HW, Werken Holz=WH usw., und trotz flehentlicher Bitten der Schulmusiker das Fach Singen und Musik doch SI oder MU zu nennen, wurden wir zu SM-Lehrern.

Anne liess das nicht gelten, papperlapapp, man müsse alles einmal ausprobieren, sie sei seit 50 Shades richtig auf den Geschmack gekommen und ich glaube, wenn sie nicht gewusst hätte, dass ich nicht auf Frauen stehe, hätte sie uns beiden sofort die Kleider vom Leib gerissen und Bindfäden, Nägel, Teelichter und Putzlappen aus meinem Schrank geräumt und HeissesWachs-Spiele und Bonding begonnen (wahrscheinlich in umgekehrter Reihenfolge).

Sadismus kann ich noch verstehen. Manchmal ist man ja so drauf, dass man einfach jemand quälen will, und da ist es besser, man ruft Bodislaw, den blutjungen, durchtrainierten Slave (gemeint Sklave, nicht Slawe) aus Minsk, der sich knebeln und schlagen lässt, bis seine weisse Marmorhaut 60 Shades of Yellow ausweist, der aber viel, viel Geld dafür bekommt. Man könnte sonst seine Phantasien am falschen Ort ausleben, man könnte Lehrer, Polizist oder Kondukteur werden, man könnte sich als Dirigent oder Trainer betätigen, oder man könnte gar zur CIA und muslimische Köpfe in Wassereimer tauchen, was da gelaufen ist, kommt ja erst ganz allmählich ans Licht.

Mit Masochismus tue ich mich schwerer.
Es gehe um Kontrollverlust, um das Gefühl, einmal ohnmächtig zu sein, deshalb kämen auch viele Männer aus der Teppichetage zu ihr, sagt Black Aphrodite, eine Domina aus Zürich im Interview.
Hallo? Welcher CEO meint da denn, er habe irgendetwas unter Kontrolle? Welcher Finanzer redet da von Macht? Und, wenn man als Nadelstreifenträger wirklich einmal die Kontrolle verlieren will, muss man da zu Black Aphrodite in ihr Dungeon hinabsteigen? Muss man sich von Dark Rider, dem männlichen Kollegen von ihr, an eine Gitterwand anketten lassen? 

Man könnte ja mal versuchen, beim nächsten PC-Fehler nicht den Helpdesk zu rufen, sondern es selber zu probieren, man könnnte mal eine Woche den Haushalt und die Kinder übernehmen, niemand zeigt dir deine Ohnmacht  so wie die junge Generation. Man könnte auch Frau Meier-Robli, der PA, eine Woche freigeben. Dann sähe man auch, WER eigentlich die Kontrolle im Unternehmen hat. Abgesehen davon, dass es noch einen Verwaltungsrat gibt und einen Aufsichtsrat, die jeden Teppichetägler und jeden Nadelstreifler sofort zum Arbeitsamt schicken können, was den Teppichetäglern und den Nadelstreiflern umgekehrt nicht gelingt.
Nein, wer sich für so mächtig hält, dass er zu Black Aphrodite und Dark Rider schleicht, um bei ihnen unter Stock- und Peitschenhieben eine lustvolle Ohnmacht zu spüren, hat ein Wahrnehmungsproblem.
 
Anne war in 50 Shades of Grey.

Sachte schloss sie meinen Flurschrank und seufzte leise.
„Komm“, sagte ich, „ich mach uns einen Kaffee und kneble dich ein wenig mit Schokopralinen.“
Damit war sie einverstanden. Und als die Truffes vor uns in 30 Shades of Brown and Black vor uns leuchteten, waren wir uns einig, dass Sex eh nur ein schwacher Ersatz für Schokolade ist. (Nicht umgekehrt.)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen