Anne blickte also hinein und sprach: „Wow, Du bist ja voll
ausgerüstet!“ Ich entgegnete: „Man tut was man kann.“
„Ich wusste gar nicht, dass du auf so was stehst.“ „Auf
häusliche Arbeiten?“ „Hihihi, natürlich nicht, du weisst schon, was ich meine…“
Ach du liebe Zeit!
Anne war in 50 Shades
of Grey gewesen.
Fast zärtlich strich sie über Bindfäden, Putzlappen, über
Teelichter und Besen, berührte sie Hammer und Nägel: “Fesseln, Knebel, Heisses-Wachs-Spiele,
Fisting, Schlagen, Fakirspiele…“ Dann schaute sie mich an und fragte, ob ich auch
schon einmal…
Ich konterte mit dem Witz, den ich immer zu diesem Thema
beisteuere, dass ich nämlich SM-Experte sei, weil ich SM unterrichte. Das
Bildungsamt war stur bei den Abkürzungen,
zweiwortige Fächer wurden mit den beiden Anfangsbuchstaben benamt,
Hauswirtschaft = HW, Werken Holz=WH usw., und trotz flehentlicher Bitten der
Schulmusiker das Fach Singen und Musik doch SI oder MU zu nennen, wurden wir zu
SM-Lehrern.
Anne liess das nicht gelten, papperlapapp, man müsse alles
einmal ausprobieren, sie sei seit 50 Shades richtig auf den Geschmack gekommen
und ich glaube, wenn sie nicht gewusst hätte, dass ich nicht auf Frauen stehe,
hätte sie uns beiden sofort die Kleider vom Leib gerissen und Bindfäden, Nägel,
Teelichter und Putzlappen aus meinem Schrank geräumt und HeissesWachs-Spiele
und Bonding begonnen (wahrscheinlich in umgekehrter Reihenfolge).
Sadismus kann ich noch verstehen. Manchmal ist man ja so
drauf, dass man einfach jemand quälen will, und da ist es besser, man ruft
Bodislaw, den blutjungen, durchtrainierten Slave (gemeint Sklave, nicht Slawe) aus
Minsk, der sich knebeln und schlagen lässt, bis seine weisse Marmorhaut 60
Shades of Yellow ausweist, der aber viel, viel Geld dafür bekommt. Man könnte
sonst seine Phantasien am falschen Ort ausleben, man könnte Lehrer, Polizist
oder Kondukteur werden, man könnte sich als Dirigent oder Trainer betätigen,
oder man könnte gar zur CIA und muslimische Köpfe in Wassereimer tauchen, was
da gelaufen ist, kommt ja erst ganz allmählich ans Licht.
Mit Masochismus tue ich mich schwerer.
Es gehe um Kontrollverlust, um das Gefühl, einmal ohnmächtig
zu sein, deshalb kämen auch viele Männer aus der Teppichetage zu ihr, sagt
Black Aphrodite, eine Domina aus Zürich im Interview.
Hallo? Welcher CEO meint da denn, er habe irgendetwas unter
Kontrolle? Welcher Finanzer redet da von Macht? Und, wenn man als
Nadelstreifenträger wirklich einmal die Kontrolle verlieren will, muss man da
zu Black Aphrodite in ihr Dungeon hinabsteigen? Muss man sich von Dark Rider,
dem männlichen Kollegen von ihr, an eine Gitterwand anketten lassen?
Man könnte
ja mal versuchen, beim nächsten PC-Fehler nicht den Helpdesk zu rufen, sondern
es selber zu probieren, man könnnte mal eine Woche den Haushalt und die Kinder
übernehmen, niemand zeigt dir deine Ohnmacht
so wie die junge Generation. Man könnte auch Frau Meier-Robli, der PA,
eine Woche freigeben. Dann sähe man auch, WER eigentlich die Kontrolle im
Unternehmen hat. Abgesehen davon, dass es noch einen Verwaltungsrat gibt und
einen Aufsichtsrat, die jeden Teppichetägler und jeden Nadelstreifler sofort
zum Arbeitsamt schicken können, was den Teppichetäglern und den Nadelstreiflern
umgekehrt nicht gelingt.
Nein, wer sich für so mächtig hält, dass er zu Black
Aphrodite und Dark Rider schleicht, um bei ihnen unter Stock- und
Peitschenhieben eine lustvolle Ohnmacht zu spüren, hat ein Wahrnehmungsproblem.
Anne war in
50 Shades of Grey.
Sachte schloss sie meinen Flurschrank und seufzte leise.
„Komm“, sagte ich, „ich mach uns einen Kaffee und kneble
dich ein wenig mit Schokopralinen.“
Damit war sie einverstanden. Und als die Truffes vor uns in
30 Shades of Brown and Black vor uns leuchteten, waren wir uns einig, dass Sex
eh nur ein schwacher Ersatz für Schokolade ist. (Nicht umgekehrt.)
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