In meinem Badezimmer hängen 25 Fotos, die ich selber
geschossen – nein, das ist jetzt wieder so gewaltsam – gemacht habe. Alle haben
ein Thema: Wasser – es ist ja auch das Bad. Auf einige bin besonders stolz. Da
balancieren die weissen Häuser von Polignano a Mare auf den schroffen Klippen,
da ragen rubinrote Zweige in einen tiefblauen Den Haager Teich, da hängt eine
orangedottergelbe Abendwolke über dem Zürichsee. Und natürlich das Freibad von
Wuppertal: Eigentlich ein stinknormales Freibadfoto, wäre da nicht das Kind,
das sich vorne auf dem Bild an den Zaun klammert und sehnsüchtig ins Wasser
schaut. Übrigens exakt im Goldenen Schnitt. Alle diese Fotos haben noch eine
tolle Eigenschaft, sie sind nämlich echt, sie sind ohne Foto Shop entstanden.
Ich verwende kein Foto Shop. Nur so kann ich auf weisse Häuser, tiefblaue
Teiche, orangedottergelbe Wolken und hängende Kinder wirklich stolz sein. Da
bin ich altmodisch.
Obwohl:
Das Verändern, Vernichten, Umpolen, Auslöschen ist keine
Erfindung des digitalen Zeitalters.
Die digitale Technik hat das Ganze einfach nur so simpel
gemacht. Schon immer wurde verändert, vernichtet, umgepolt und ausgelöscht.
Würde Louise heute schlicht und einfach die Mails ihres ungetreuen Liebhabers löschen und ihren Facebook-Status auf SINGLE klicken, hat sie früher die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannt, was natürlich viel dramatischer ist und uns eines der schönsten Mozartlieder beschert hat.
Die Skrupel des Herrn Bur-Malottke wären heutzutage auch
einfacher zu besänftigen. Wurde in Dr.
Murkes gesammeltes Schweigen noch echtes Bandmaterial geschnitten und
eingeklebt, ginge das heute auf Knopfdruck, geändert hat sich an der Sache
nichts: Gott muss x-mal durch jenes höhere Wesen, das wir verehren
ersetzt werden.
Der grösste Retuscheur der Weltgeschichte war Stalin, er hat ganze Lebensläufe vernichtet und die Köpfe und Körper der in Ungnade gefallenen Männer aus sämtlichem Foto- und Filmmaterial getilgt. Wenn man sich also bei Filmsequenzen wundert, warum der Kopf eines Soldaten so saublöde ins Bild kommt und den Politikeraufmarsch verdeckt: Da, genau da, genau in diesem Moment lief der vernichtete und ausgelöschte Politbüromensch XY durch die Aufnahme.
Manchmal aber treibt das Umpolen und Verändern aber schon die seltsamsten Blüten. Ich rede nicht von Models, die in Unterwäschereklamen auf dem einen Foto ein absolut perfekt gewaxtes Sixpack haben und in einem anderen der gleichen Serie eine leichte Schambehaarung um den Nabel, ich rede nicht von Bundesrätinnen, denen zweimal die gleiche Goldkette um den Hals baumelt, ich rede gar nicht von bewusst gemachten Fakes, die an einem Foto Shop-Wettbewerb teilnehmen, das finde ich sogar ganz entzückend: Da lassen die einen beim Thema Horror sich in den Spiegel blicken und Voldemort schaut heraus, andere sitzen in einem Schlauchboot und unter ihnen ahnt man die Piranhas.
Nein.
Ich rede von Aufmärschen der Mitmenschlichkeit, der
Toleranz, des Protestes gegen den Terror, auf denen auf einmal Leute fehlen.
Abgesehen davon, dass das ganze Wir-Politiker-führen-die-Demo-an ein Fake ist,
das Foto wurde in einer Nebenstrasse unter höchster Bewachung gemacht, ist es
eine Schweinerei, dass eine israelische Zeitung die Frauen einfach löscht.
Was für ein Problem haben die?
Dass hier Damen und Herren so eng stehen? Und sich auch
anfassen?
Meine Güte, Mutti hakt sich bei ihren Nachbarn unter, es ist
ja nicht so, dass sie den Männern in den Schritt oder an den Po greift oder
CK-Wäscheshootings nachspielt.
Oder ist das Problem, dass Frauen an der Spitze von Städten
und Staaten stehen?
Man hat wohl vergessen, dass der General Barak die Richterin
Debora bat, das Heer zu führen, weil er selber so ein Warmduscher und
Schattenparkierer war, und sie das auch tat, nachdem sie ihn süffisant darauf
hingewiesen hatte, dass dann auch SIE Ruhm und Ehre bekäme.
Man hat wohl vergessen, dass Israel von einer Frau gelenkt
wurde, von einer Dame, zu Zeiten, als in Deutschland eine Mutti noch
unvorstellbar war und in der Schweiz die Frauen nicht einmal ABSTIMMEN durften.
Golda Meir war eine der faszinierendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts,
klar, scharf, manchmal schnoddrig und stets mit Kippe in Mund oder Hand, der
Kippe, die man hoffentlich nicht irgendwann wegretuschiert.
Nein.
Eine Zeitung, die hier einfach die Frauen auslöscht und
vernichtet, hat das gleiche Gedankengut wie die, gegen die ja hier demonstriert
wurde, auch wenn es eine jüdische Zeitung ist.
Besonders hart traf es ja die Bundesrätin Sommaruga – das
war übrigens nicht die mit den zwei Ketten, die zwei Ketten trug (oder eben
nicht) Frau Leuthard – sie fehlt auf dem Gruppenfoto in der Israel-Version und
sie fehlt auf einer feministischen Parodie, hier hat man alle Männer
weggelassen, die Bundesrätin fehlt auch hier.
Das Vernichten, Auslöschen, Umändern und Umpolen hat eine
lange Tradition.
Und ich bin stolz auf meine Bilder, die echt sind.
Nein, ich werde keines davon hier veröffentlichen. Dies
bleibt ein Textblog. Ausserdem könnte sich das Kind irgendwann melden und die
Löschung verlangen. Und dann muss ich es rausmachen und das Bild wird ein
langweiliges Schwimmbadbild.
Oder ich lasse die Sommaruga ins Wasser schauen, sie kommt
ja immer ein wenig zu kurz.
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