Freitag, 9. Januar 2015

Satire mit Anstands-Charta



Holger ist Satiriker.

Holger ist aber auch ein netter, lieber Mensch, der gerne respektvoll und friedlich mit seinen Mitmenschen zusammenlebt, daher hat er sich quasi eine persönliche Charta gegeben, die ihm Leitschnur und Richtlinie bei seinen Beiträgen ist, Holger ist sozusagen seine eigene „Standard and Practises“.

Die Charta in ihren 6 Punkten:

1.)    Ich schreibe über alle Dinge mit genügend Achtung und Respekt.
2.)    Ich bezeichne niemand als fett, dumm, ungeschickt, ungebildet o.ä.
3.)    Ich lasse grundsätzlich die Finger von Religionen.
4.)    Ich schiesse mich nicht auf spezielle Sachen ein.
5.)    Ich lasse grundsätzlich die Finger von Religionen!!!!!!
6.)    Ich kläre im Zweifelsfall ab, ob mein Text jemanden verletzt.

Wenn Holger nun an einem schönen Abend auf der Terrasse sitzt, bei einem guten Glas Wein und etwas Knabberzeug, dann macht er erst einmal Brainstorming, er räumt seinen Kopf leer und schreibt eine Menge auf, dann formuliert er ein bisschen herum und ihm fallen etliche Gags ein.
So steht dann vielleicht auf seinem Block:

In Dornach sind die Ämter so gross, weil alle Besucher der Behörden ihren Angaben nicht auf Formulare schreiben, sondern tanzen, sie könnten auch keine Angaben fehlerlos schreiben, weil sie statt zu lernen, wie man BAUM schreibt, Bäume umarmt haben.

Jetzt beginnt die eigentliche Mühe:
Zeigt der Satz genügend Achtung und Respekt? Nun ja, gerade noch. Bezeichnet der Satz jemand als fett, dumm, ungeschickt, ungebildet o.ä.? Sicher. Wer BAUM nicht schreiben kann, ist ja schon ein bissel blöd. Also weg mit dem zweiten Satzteil. Ist die Anthroposophie eine Religion? Nein, ist sie zum Glück nicht. Einschiessen? Er hat noch nie etwas über Dornacher (oder Stuttgarter, die gibt es auch, ja, das Goetheanum sollte eigentlich dort stehen!) geschrieben.
Bleibt Punkt 6:
Holger schreibt zwei E-Mails an Kollegen, die auf der Steiner-Schule waren. Postwendend kommt von beiden zurück: Wir fühlen uns enorm verletzt, das ist doch eines der dämlichsten Vorurteile.
Holger streicht den Satz komplett.

Holger ist Satiriker.
Holger ist ein Satiriker, der sein Handwerk mit Anstand und Würde ausübt.
Allerdings sind seine Beiträge erstens selten, sehr selten, und auch immer ein wenig kraftlos.

Denn Satire hat keine Charta, Satire MUSS um sich schlagen, nach allen Richtungen, Satire darf eben nicht respektvoll und anständig sein. Ein Kabarettist, der ständig nachfragt, ob er das so sagen kann, ist keiner, ein Karikaturist, der seine Zeichnungen erst bei der Menschenrechtsbehörde einreicht, ist keiner. Satire muss beissen und nicht schlecken, sie muss zustechen und nicht streicheln.

Insofern ist es grossartig, dass niemand, aber auch gar niemand nach den Ereignissen in Paris meinte, die hätten halt auch unnötig provoziert und hätten so heikle Themen einfach weglassen sollen. Nein, es ist grossartig, dass auch Politiker, die von den Titanen und Nebelspaltern, von den Scheibenwischern und Charlies stets nur mit Jauche überschüttet wurden, die Satire als Teil der Meinungsfreiheit sehen und verteidigen.

Holger wird nie in Gefahr geraten.
Denn er ist ein Satiriker, der sein Handwerk mit Anstand und Würde ausübt.

Oder anders gesagt: Er ist kein Satiriker.






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