Franz hat Angst vor Fischen. Und zwar eine
echte, heftige, überdimensionale Angst, die bis ihn die unmöglichsten Bereiche
mit hineinspielt. Selbstverständlich kann Franz niemals in einem offenen
Gewässer, einem See oder dem Meer baden, aber auch im Frei- oder Hallenbad muss
er sich sehr gewissenhaft davon überzeugen, dass sich keine Hechte, Brassen
oder Aale ins Bassin geschmuggelt haben. Selbstverständlich macht er im Zoo um
die Aquarien einen Riesenbogen, aber auch Filme, in denen Fische erscheinen,
oder Fotos von Doraden oder Heringen führen bei ihm zu Panikattacken,
Schweissausbrüchen und Herzrasen. Ja, in den letzten Jahren hat sich seine
Furcht so gesteigert, dass, als ich ihn neulich in eine Aufführung des Forellenquintetts mitnehmen wollte, er
zitternd ablehnte, er habe, so erzählte er mir, auch schon eine Vorstellung von
Bernhards Macht der Gewohnheit
verlassen müssen, obwohl in diesem Drama das Quintett zwar das Leitmotiv
sei, aber eben, und das sei ja der Gag,
nie zum Klingen komme.
Franz müsste dringend zu einem
Seelenklempner, seine Phobie hat sich dermassen ins Irrationale hineinbewegt,
dass er professionelle Hilfe braucht.
Maria hat ekelt sich vor Monochromie. Und das ist ein heftiger, echter, überdimensionaler Ekel, der ihr viele Bereiche des Lebens erschwert und viele Orte verunmöglicht. Dass sie in Galerien und Museen niemals vor einem monochromen Bild wie zum Beispiel die blauen Gemälde von Yves Klein stehenbleiben kann ohne einen Weinkrampf zu bekommen, geht noch, sie rennt dann einfach weiter, dass sie niemals im Winter auf eine weite Schneefläche geraten darf, ist schon schwieriger. Wenn ich sie besuche, muss ich darauf achten, dass ich nicht von einem Auftritt kommend in Totalschwarz erscheine, zumindest einen farbigen Schal muss ich umhängen. Ganz schwierig wird es für die Gute, wenn sie zum Himmel blickt und dieser ist wolkenlos. An solchen tiefblauen, wolkenlosen Sommertagen bleibt sie einfach im Bett. Das natürlich rot-grün-gelbe Bettwäsche hat, nicht auszudenken, Maria müsste ins Spital, sie würde dort in einem komplett schneeweiss bezogenen Bett schlicht und einfach durchdrehen.
Maria müsste dringend zu einem
Seelenklempner, ihr Ekel hat sich dermassen ins Irrationale hineinbewegt, dass
sie professionelle Hilfe braucht.
Herbert hat Angst vor dem Islam.
Er ekelt sich vor dem Islam.
Er…
Sie meinen, liebe Onliner, ich dürfe das
nicht vergleichen?
Aber sicher darf ich das.
Wenn man die Argumente und Äusserungen von Pegida-Demonstranten hört, stehen diese der Fischsache und Farbsache in
Irrationalität doch in nichts nach.
„Meine Kinder sollen keine Koranverse auswendig lernen müssen.“
Aber hallo? Ist das geplant? Selbst wenn
ein staatlich bezahlter (und kontrollierter!) muslimischer Religionsunterricht
flächendeckend eingeführt würde, wäre er doch wahrscheinlich für die Muslime,
nicht wahr? Oder habe ich etwas verpasst? Kommt das jetzt wirklich in den
Lehrplan á la „7. Schuljahr: Sure 12-14 auswendig?“
„Meine Frau und meine Töchter sollen weiterhin ohne Kopftuch auf die Strasse dürfen, man sieht ja nur noch Kopftuch.“
Man sieht sehr viel Kopftuch, aber ob diese
Frauen alle vom Koran beeinflusst sind? Nonnen tragen Kopftuch, alte
Bauersfrauen tragen es, Auslandsdeutsche aus Russland tragen es – und englische
Königinnen. Ein Kopfbedeckungszwang für
alle Bewohnerinnen der BRD halte ich für sehr, sehr unwahrscheinlich.
Aber diese Ängste sind irrational, man kann
sie mit Argumenten nicht greifen. Nur mit guter Psychotherapie.
Dass wir uns recht verstehen: Wenn Franz sagen würde, er habe Angst vor Haien, er würde in kein Meer gehen, bei dem die Gefahr bestünde, von so einem bisswütigen Ungetüm angefallen zu werden, dann könnten wir das verstehen.
Wenn Maria sagen würde, sie bekäme in einem
komplett leuchtend rot gestrichenen Raum, in dem sie aus Versehen drei Stunden
eingesperrt wäre, eine absolute Panik, könnten wir das begreifen.
Wenn jemand Angst vor einem militanten,
fanatischen, gewaltbereiten Islamismus hat, können wir das verstehen. Wobei mir
auch Christen, die Bomben in Abtreibungskliniken werfen, ein leichtes Unbehagen
bereiten.
Wer aber eine Phobie, einen Ekel, eine
Angst, eine Panik vor der vollständigen Islamisierung unserer Gesellschaft
hegt, ist auf einer Stufe mit Franz und Maria.
Franz hat eine Fisch-Phobie.
Maria hat einen Monochromie-Ekel.
Herbert hat Angst vor dem Islam.
Es gibt 2015 viel zu tun für Psychiater,
Psychologen und Therapeuten.
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