Als ich erzählte, ich würde jetzt vier Tage nach Kiel
fahren, gab es zwei Reaktionen: Die einen fragten mich, was ich denn da im
Norden vorhätte, die anderen, die geburtenstarken U-Comics-Leser meiner
Generation brachten den Spruch: Ich faa
jetzt nach Kieel - und ich sach noch, Wännä, mach das nich.
Ich sagte den einen, ich hätte vor, in der Ostsee zu
schwimmen, ein wenig Meer zu geniessen und meine Erinnerung an Kiel
aufzufrischen, wobei das ein glatter Euphemismus war, denn von meinen
Aufenthalt 1973 hatte ich – ausser dem affenpottscheusslichen Marineheiligtum
in Laboe – keine Bilder im Kopf. Den anderen sagte ich, die Gefahr platt bzw. im Krankenhaus zu enden, sei doch relativ gering, wenn man mit
einer Monatskarte der Bahn reise, die selten mit LKWs zusammenstösst.
Nun war ich also in Schleswig-Holstein, das ich im Verlaufe
des Textes mit SchleHol abkürzen werde.
SchleHol ist, von den Stadtstaaten abgesehen, das kleinste Land der
BRD. Alles ist irgendwie putzig, niedlich, spielzeugmässig, man könnte es
geradezu als das Appenzell Deutschlands bezeichnen. Wer allerdings erwartet,
dass hier auch buntbetrachtet (ich meine: in bunten Trachten) Tiere hoch- und
runtergetrieben werden, wird enttäuscht. Es gibt zwar Tiere, Rinder und Schafe,
aber wo soll man sie hochtreiben? Berge existieren nicht (Holsteinische Schweiz bezieht sich auf die Seen, nicht auf Gipfel)
und auf die Deiche finden die Schafe allein, die Kühe wollen da gar nicht rauf.
Es gibt auch keine Trachten, ausser die, die man für die Touristen aus dem
Schrank holt oder sie gleich – so gab 1973 eine Fremdenführerin in
Friedrichstadt (Eider) freimütig zu – neu zusammenstellt.
Wenn es ein volksmässiges Grossereignis gibt, ist es die
monatliche Ankunft eines Schnellzuges. Der HBF Kiel ist nämlich ein Sackbahnhof
mit sechs (!) Gleisen, der immer am 15. des laufenden Monats von einem ICE
erreicht wird. Dann ist die ganze Stadt auf den Beinen, das Hafenmusikcorps spielt
und der Fischereimännerchor singt, natürlich in Plattdeutsch, das sonst
ziemlich verschwunden ist, Reden werden gehalten, Fähnchen werden geschwungen,
und nach zwei Stunden fährt der ICE wieder nach Süden, witzigerweise nach
Zürich. Die restliche Zeit kann man mit Bummlern nach Lübeck, Hamburg,
Flensburg und Eckernförde.
So gross das Hallo beim Expresszug ist, so wenig beachtet
der Kieler die Riesenschiffe, die ständig im Hafen rumdümpeln, mein „ah“ und
„oooo“ beim Anblick der dreissigstöckigen Göteborg-Fähre wurde mit Verwunderung
bedacht, ebenso verstand niemand, warum ich die Klappbrücke, die ans Ostufer
der Förde führt, unbedingt beim Klappen fotografieren musste.
SchleHol ist also Meerland, allerdings hat es kein Meer so
richtig allein. Die Bewohner des Landes schielen neidisch nach MeckPomm, das
die richtige Ost- und nach Niedersachsen, das die richtige Nordseeküste hat,
SchleHol liegt so kreuzweise zwischen beiden Meeren, es ist die Basilicata
Deutschlands. Mit der Basilicata teilt es sich noch eine weitere Eigenschaft:
Wie das Armenhaus Italiens ist das Land zwischen Eider und Lauenburg konstant
pleite. Und wie die Mailänder den Mezziogorno loswerden wollen, wollen die
Bayern sich von SchleHol trennen.
Was läge nun näher,
als die Lage zwischen den Meeren zu nutzen und sie mit einem Kanal zu
verbinden? Der Nord-Ostseekanal ist eine der bedeutendsten Wasserstrassen
Europas und das, was einem Logistiker zu Kiel einfällt. Anders formuliert: Das
Wichtigste an SchleHol ist, dass man durch es durchfahren kann und viele
Schiffer kennen es auch nur so. So gesehen ist das Ländchen nicht nur das
Appenzell und die Basilicata, sondern auch das Panama der BRD.
Schleswig und Holstein gingen 1460 zusammen und produzierten
dabei den Spruch Up ewig ungedeelt. Erstaunlicherweise
hält diese Verbindung bis heute, im Gegensatz zu so manchen Staaten- und Länderbündnissen,
Allianzen und Pakten. Die SchleHoler sollten da Kurse geben. Dass hier sehr
friedlich kooperiert wird, zeigen auch die Vögel: Ich habe noch nie eine Amsel,
einen Spatz, eine Taube und eine Möwe auf einem Quadratmeter gesehen, zum
ersten Mal jetzt auf dem Europaplatz in Kiel.
Was gibt es sonst in SchleHol? Die es gerne süss haben,
können einen Tag in Lübeck sich mit Marzipan vollstopfen, die
Literaturinteressierten können einen Tag durch die Stormstadt Husum wandeln.
Für Musikliebhaber gibt es ein Festival, von dem ich aber abraten möchte: 50 DM
kostete mich damals das Ticket, 60 DM das Taxi, denn das Konzert fand in einer
Scheune statt (der besondere Reiz der Sache), meine dünne Hose war bald vom
Stroh zerstochen (Insider hatten Lederhosen an)und ich konnte die Hammerklaviersonate nicht so geniessen,
weil die Katze des Bauernhofes ständig auf meinen Schoss wollte.
Nun bin ich also im ICE 77 auf der Heimfahrt (jetzt
wirklich, die Nummer im vorigen Post war falsch, Gruss an meinen Erzengel) und
es geht mir blendend: Ich habe Sonne genossen, bin im Meer geschwommen und
Bilder der Stadt auf meinem Laptop und in meinem Kopf.
Und in einen LKW bin ich auch nicht geraten, toi, toi, toi.
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