Dienstag, 15. Juli 2014

Agentin ihrer Majestät

Ich muss auf der Fahrt nach Leipzig kurz auf die Zugtoilette. Kommt vor, und weil ich nicht lange zu weilen gedenke, lasse ich meinen Laptop an. Als ich mich nach getaner Erledigung wieder auf meinen Platz schlängele, sehe ich, wie die reizende junge Dame auf dem Platz neben mir gerade ihren lila manikürten Hände von meinem Computer nimmt und etwas in ihre Vuilton-Tasche steckt. Ich öffne mein Schweizer Armeemesser und während ich mich setze, halte ich es unbemerkt in ihre Flanke. „Sie rücken jetzt sofort den Stick oder die CD oder was auch immer raus und sagen mir, was das soll.“Die Frau legt schweigend einen USB-Stick auf den Tisch, schweigt aber weiter.
Ich wiederhole meine Frage und erhöhe den Druck meines Schweizermessers: „Was soll das? Für wen arbeiten Sie?“ Scheinbar überzeugt mein rotes Klappargument, sodass sie nun doch den Mund aufmacht: „GFL.“ „Was ist das?“ „Geheimdienst des Fürstentums Liechtenstein.“ „Das Ländle hat einen Geheimdienst?“ „Natürlich. Jedes Land hat einen Geheimdienst.“ „Ich dachte, das erledigen die Eidgenossen für euch.“ „Pah, dann müssten wir denen ja rückhaltlos vertrauen, allein in Zürich sitzen 40 von uns.“ „Vierzig? Wie viele seid ihr denn?“ „Um die Tausend, und das ist ja gerade das Problem, es gibt auf der Welt einfach zu viele Agenten, und deshalb kommt es zu solch blöden Aktionen.“
Das Thema interessiert mich und ich lade Angela, so heisst die Agentin seiner Majestät des Fürsten Hans-Adam, zu einem Umtrunk ins Zugbistro ein. Ach so, das Messer, wo ist das Messer? Natürlich längst wieder in meiner Hosentasche. Also ins Bistro. Bei einer guten Flasche Dôle fängt Angie an zu erzählen:
„Ich nehme an, der Ordner AKTUELLE DOCS, den ich kopiert habe, enthält keinerlei Verwertbares, trotz der interessanten Überschriften.“
Dem kann ich nur zustimmen: „Ausser Arbeitsblätter für meine Musikschüler über # und b, Molltonarten, Tasteninstrumente usw. vor allem Texte, die dann in meinem Blog erscheinen.“
Angela nimmt einen tiefen Schluck: „Siehst du, das ist es ja gerade. Wir Agenten müssen, da wir ja viel zu viele sind, ständig zeigen, dass es uns braucht. Wir müssen tonnenweise, kilometerweise, hektoliterweise Informationen beschaffen, und das mit geheimdienstlichen Methoden, sonst wären wir ja überflüssig. Es wäre also viel einfacher, dass man deinen Blog liest, aber das wäre eben nicht spionistisch genug. Jeder Agent auf der Welt rennt also hinter irgendwelchen Leuten her, beschattet sie, stalkt sie, zapft ihr Telefon an, öffnet ihre Post und schreibt dann einen ellenlangen Bericht. In dem steht dann zum Beispiel: Zielperson betritt um 8.34 den COOP und kauft dort 2 Bananen, 1 Kekspackung (mit Schokolade) und 1 Flasche Cola, sie bezahlt bar (20 Franken-Schein) und verlässt  um 8.49 den Laden…“
Ich erwähne, dass ich solche Listen aus dem Buch von Wallraff kenne und dass Wallraff ja auch irgendwann ans Autofenster des seit Tagen vor seinem Haus stehenden Volvo klopfte und dem Mann anbot, zu ihm raufzukommen und ihn die Sachen, die ihn interessierten, einfach zu fragen. Christa Wolf berichtete übrigens Ähnliches von jenseits der Mauer.
Angie seufzt: „Eine Katastrophe! Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen das passiert, müssen psychologisch betreut werden. Erst einmal wird einem die Illusion genommen, dass man unbemerkt ist, und dann werden einem noch Infos angeboten, die man auf so einfachem Wege nicht erhalten darf, man gefährdet sonst die eigene Existenz.“
Mir kommt ein Gedanke: „Und die Geschichte an der Spree?“ „Genau das Gleiche. Natürlich könnten die USA einfach im deutschen Aussenministerium anrufen und fragen, an was man gerade so dran ist, aber das würde ja keinen Dienst mit einem Monatsbudget von 5,6 Milliarden Dollar rechtfertigen. Ausserdem ist die CIA so gross, dass man mit den tausend Unter- und Neben- und Geheimabteilungen den Überblick längst verloren hat.“
„Wie in BOURNE IDENTITY?“ „Der Film untertreibt, es ist viel schlimmer.“
Ich leere die Flasche und bestelle eine weitere Pulle Walliserwein.

„Und warum macht die Politik dem Spuk nicht einfach ein Ende und dreht den Geldhahn zu?
„Weil kein Politiker der Welt es wagen würde. Es würde sofort heissen, er gefährde die Sicherheit, liefere das Land den Feinden aus und richte es zugrunde. Politischer Selbstmord.“

„Macht dein Job eigentlich Spass?“ Angela grinst: „Natürlich, und wenn du so fragst…“
Die zweite Flasche Dôle war zu viel, die zweite Flasche war zu viel.
Sie ahnen es: Seit diesem Tag bin ich Agent des GFL.

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