Montag, 28. April 2014

Filmstars im Schlabberlook

Sie alle haben vielleicht schon die Fotos gesehen:
Da geht Orlando Bloom in Schlurfi-Shirt und Jogginghose einkaufen, da läuft Nicole Kidman in H&M-Dress den Sunset Boulevard entlang, da wird Paris Hilton gesichtet, wie sie ohne Makeup und mit Wuschelfrisur aus einem Cafè kommt. Da sehen wir die Grossen, Schönen und Reichen, the Bold and the Beautiful, die Oscargewinner und Grammyabräumer, wie sie in schlecht sitzenden Jeans und billigen Pullovern, wie sie in Turnschuhen und Discountmänteln die Strassen von San Francisco bevölkern, wie sie in den Kleidern von Otto Normalverbraucher bei Tiffany frühstücken und in ganz normalem Outfit durch Hollywood turnen.
"Normcore" heisst der neueste Trend und ist ganz einfach zu beschreiben:
Es ist Mode, sich nicht modisch zu kleiden.
Das Schrecklichste, Grausamste und Widerlichste, was uns in den letzten Jahren widerfahren ist.
Denn es ist ein Faustschlag gegen alle, die sich gegen die Mode wehren.
Begreifen Sie nicht?
Wenn Sie sagen, Sie machten ja schliesslich nicht jede Mode mit, Sie gingen ganz normal und spiessig, bünzlihaft aus dem Haus, dann sind Sie jetzt - ohne es zu wollen - voll im Trend. Sie sind kein Modemuffel mehr, sondern Sie praktizieren den Normcore-Hype. Ihre zehn Jahre alten Jeans? Voll stylisch! Wow! Ihr alter Pulli? Sensationell! Ihre Schlabberturnschuh? Ich mache sofort ein Foto für die VOGUE.
Das Ganze ist natürlich ein verdammtes Paradoxon. Dass es Mode ist, sich nicht nach der Mode zu kleiden, und das ja dann wieder eine Mode wird, ist so, wie wenn der Lehrer sagt, die Schüler sollen sich heute an keine Regel halten, was ja auch eine Regel ist, usw...
Der Kreter Epimenides sagt, alle Kreter seien Lügner, weil er aber selbst ein Kreter ist, lügt er, also sagen die Kreter die Wahrheit, also auch er, und das Ganze von vorn...
Mir dreht sich gerade das Hirn weg.
Was tun wir normalen Leute jetzt, wenn DiCaprio, Pitt, Jolie und Blanchet auch noch andere Bereiche erobern?
Was tue ich, wenn es Mode wird den ÖPNV zu benutzen? Gut, kann in L.A. nicht passieren, da hat es keinen, aber eventuell am Hudson? Was mache ich, wenn die U-Bahn auf einmal von Stars und Grössen frequentiert wird? Ich habe keinen Bock, mir ein Auto mit Chauffeur zu leisten, nur um nicht im Trend zu sein.
Was tue ich, wenn es Mode wird zu Hause zu kochen, statt in In-Adressen zu dinieren? Mir schaudert schon vor Fotos, auf denen Matt Damon Gnocchi abschüttet, während die Palthrow Salat anmacht und Jud Law den Tisch deckt. Ich kann dann doch nicht jeden Abend ins Chez Jean oder in die Brasserie du Theatre gehen, das lässt mein Konto nicht zu.
Was tue ich, wenn irgendein verdammtes Lifestyle-Magazin Lesen zum absoluten Trend erklärt und womöglich Heinrich Böll zum Muss-Autor? Was tue ich, wenn die Leindwandgrössen auf einmal ihre Alabasterkörper in öffentlichen Badeanstalten präsentieren, weil das jetzt Trend ist?
Was machen alle die Leute, die bei Kieser ihren Rücken trainieren und eben nicht in der WORLD-GYM, wenn es bei Kieser plötzlich von Leuten wie Schweiger und Brühl wimmelt? Was tun wir, wenn wir die Grössen der Welt nicht bei ROLF BENZ, sondern bei IKEA sichten?
Aber vielleicht ist meine Sorge auch unbegründet:
Viellicht ist es eben nur Normcore, wenn man mit einer Woolworth-Handtasche rumrennt, obwohl man sich eine 5000 mal teurere Tasche von einem In-Designer leisten KÖNNTE. Vielleicht ist Normcore eben ein Trend, den sich nur die Bold & Beautiful erlauben können.
Und dann ist es wieder genial:
Das Nicht-Mitmachen-der-Mode wird zu einer Mode, die Otto Mustermann nicht kopieren kann.
Was immer schon so war. Wenn sich Louis XVIII mit dem Handgelenk den Mund abwischte, dann war das eben à la mode, wenn es ein Bauer tat, war das schlechtes Benehmen. Wenn bei Hofe das Verhalten der einfachen Leute kopiert wurde, war das nur deshalb der derniere cris, weil es eben bei Hofe geschah.
Wenn Jupiter das macht, was der Ochse macht, macht der Ochse zwar das Gleiche, es ist aber etwas Anderes.




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