Dienstag, 22. April 2014

Ingolf Deubel und die drei kleinen Gauner

Jakob P. bezieht eine Staatsrente wegen Invalidität. Mit 19 fing es an, dass er sein linkes Bein und seinen linken Arm nicht mehr bewegen konnte, die Ursache blieb, trotz zahlloser Untersuchungen und Konsultationen ungeklärt. Daher sprach man, als er zwanzig war, ihm eine Summe von 2000.- Euro pro Monat zu. Jakob ist allerdings ein Betrüger. Wenn er alleine ist oder mit engsten Freunden zusammen, kann er mühelos rennen, Klavier oder Volleyball spielen. Stirbt er mit achtzig, hat er den Staat um 1,5 Millionen Euro betrogen.

Peter G. betreibt ein Antiquariat, für das er seine Ware auf lustige Weise rekrutiert: Er klaut Werke aus öffentlichen Bibliotheken. Noch immer ist die Kontrolle so milde, die Gestelle so schlecht bewacht, dass es ihm jeden Monat gelingt, Romane, Lyrik und Sachbücher im Wert von mehreren Hundert Euro herauszuschleppen. Wenn er mit 65 in Rente geht, wird er den Staat um 150 000.- gebracht haben.

Hubert K. ist ein begeisterter Schwimmer, klettert allerdings grundsätzlich über den Zaun des Freibades, statt sich irgendwie im Kassenbereich zu zeigen. Da man bei ihm nur die Abokosten rechnen darf, er hätte, würde er zahlen, ja ein Saisonabo, kommen wir auf eine Summe von 15 000.-, die er der Allgemeinheit wegnimmt.

Dann kommt der magische Tag, der magische Tag, an dem alle drei - obwohl sie sich bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kennen - gleichzeitig erwischt werden. Den ersten Fehler begeht Peter, indem er die Gesamtausgabe von Descartes (frisch aus dem Philosophischen Seminar geklaut) mit ins Schwimmbad nimmt. Dort bekommt er unbändig Lust Badminton zu spielen und fragt den Mann, der neben ihm auf seinem Handtuch liegt, weil der in seiner knappen Badehose und mit seinem sonnengebräunten, muskulösen Körper eigentlich ganz sportlich aussieht. Jakob sieht sich vorsichtig um und sagt zu, hat allerdings nicht seinen Sachbearbeiter in der Cafeteria gesehen. Der holt, weil er Ärger befürchtet, gleich die Polizei. Sie ahnen es: Diese entdeckt auch gleich die 30 Bücher mit der Aufschrift "darf nicht aus der Seminarbibliothek entfernt werden". Als die Beamten gerade mal wegsehen, rast Hubert herbei, der alles beobachtet hat und animiert die zwei durch ein von ihm fabriziertes Schlupfloch abzuhauen. Dabei fliegen auch seine Aktionen auf.

Alle drei sind voll geständig und akzeptieren auch die ein Jahr später über sie verhängten Urteile und Entscheide.

Dabei hätte Jakob nicht nur Arm und Bein, sondern den gesamten Körper lahmlegen müssen, er hätte sich bis auf die Wimpern völlig totstellen müssen und wäre bei einer Monatsrente von 20 000.- bis zum Unheilstag immer noch nicht auf die Summe gekommen, die Nürburg-Deubel dem Staat weggenommen hat.
Peter hätte ganze Bibliotheken leerräumen müssen, inklusive der Spielothek und der Mediothek, ja sogar inklusive aller Regale und Computer und hätte es knapp auf die Summe geschafft. Hubert schafft es nicht, auch wenn er in alle Museen, Theater, in alle Frei- und Hallenbäder sich hineinmogelt und zudem noch schwarzfährt. 
Warum ist das Nürburg-Urteil für viele so schwer zu schlucken? Vor allem für Herrn Deubel selbst, der ja bis zur Urteilsverkündung mit hoher Nase im Gerichtssaal sass und fest, felsenfest, bombenfest mit einem not guilty gerechnet hat. Schliesslich hat er ja nur ein bisschen grosszügig Zuschüsse, Vorschüsse, Beischüsse, Nachschüsse verteilt und dabei trugschlüssig übersehen, dass das Geld ihm nicht gehört.
Warum rufen wir bei einer Gefängnisstrafe in einem solchen Fall "OH HA!" aus?
Weil es irgendwie besser aussieht, Steuergeld in alle falschen Richtungen zu verteilen, und zwar diffus und unkontrolliert, als die Allgemeinheit um einen ganzen konkreten Brocken zu bringen. Und weil wir denken, Politiker handeln nach bestem Wissen und Gewissen, blöd wie wir sind.

Jakob ist ein Schwein, Peter ist ein Schwein, Hubert ist ein kleines Schweinchen und Ingolf ist ... Politiker. Er ist keinen Daumenbreit besser, er ist sogar schlimmer, denn er hat mehr geklaut. 
Insofern bin ich sehr froh über das Urteil. 

Eine Frage bleibt natürlich: Wer hat da alles weggeschaut, weggeguckt, Chinesischer Affe gespielt? Wer hat da Arztzeugnisse ausgestellt? Welchem Bibliotheksangestellten hätten die gefüllten Rucksäcke auffallen müssen? Welcher Bademeister hätte bemerken müssen, dass er einen offensichtlichen Stammgast noch nie an der Kasse gesehen hat? Wo waren im Fall Deubel Parlament, Kontrollkommission und Rechnungshof?
Brecht fragt in seinen Buckower Elegien, warum ein Wachhund, der zum Menschenfreund wurde, noch sein Fressen bekommt.

Wir alle glauben an das Gute im Menschen.
Auch weil es sehr, sehr, sehr viel bequemer ist.

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