Donnerstag, 2. Januar 2014

Jahr der Bildung 2014: Warum wir grössere Schulklassen brauchen


Der Schweizer Bildungsminister hat 2014 zum Jahr der Bildung ausgerufen. Dabei hat er einen Hymnus angestimmt, der in vielen Ohren ein wenig schräg tönt und in dem Refrain mündet:

Bessere Bildung für weniger Geld.

Unter den vielen Massnahmen, die die Pädagogik verbessern und nebenbei noch Geld sparen sollen, ist auch wieder einmal die Forderung nach grösseren Klassen. Als erfahrener Lehrer will ich jetzt kurz dazu Stellung nehmen, aber meine Meinung zu Anfang klar formulieren:

Er hat absolut Recht.

Sind die heutigen Klassen mit 26 Schülerinnen und Schülern (im Pädagogendeutsch mit dem schrecklichen Kürzel SuS benannt, das so stark an SuSpendieren und SuSpekt erinnert) hoffnungslos zu winzig, würde eine Grösse von 35 schon Fortschritte bringen, das Optimum wäre bei 60 erreicht.

Lassen Sie mich meine Gründe in 10 Punkten darlegen:

1.)    Non scolae sed vitae discimus, und die meisten jungen Menschen werden ihr Berufsleben in Ämtern, Organisationen, Firmen und Fabriken verbringen, die gross sind und deren Belegschaft zahlreich ist. Wie sollen sie sich auf diese Massen einstellen, wenn in der Schule immer nur kleine Häuflein zusammen sind?

2.)    Das soziale Lernen und menschliche Reifen ist ein zentrales Anliegen jeder guten Erziehung. Für den Heranwachsenden ist der Kontakt zum anderen Geschlecht sicher einer der wichtigsten Punkte, und hier bietet die Grossklasse sicher mehr Möglichkeiten. Bei 30 Männlein und 30 Weiblein ist doch sicher eher etwas Passendes dabei als bei 13 und 13. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass mehrere Schwule und Lesben in der Klasse sind, steigt.

3.)    In der Pubertät gibt es Tage, da will man nur eines: Lehrer, Eltern, Schule und Welt sollen einen in Ruhe lassen. Man will eben nicht mit dem Problem herausrücken oder sogar in einem Stuhlkreis sich thematisieren lassen. Bei einer Gruppe von 60 kann man viel besser einfach mal wegtauchen.

4.)    Jeder, der schreibt, weiss, wie heilig und kostbar ein eigener Text ist. Niemand lässt gerne einen Fremden mit dem Rotstift in einem Erguss der eigenen Kreativität herumstreichen. Bei jungen Menschen kann das zu schweren Traumata führen. Sind die Klassen gross genug, werden die Deutschlehrpersonen sich auf kurze Kommentare beschränken. Orthografie muss eh nicht mehr angestrichen werden, weil es ja Korrekturprogramme gibt.

5.)    Niemand sitzt gerne in einem leeren Kino. Und da die Lehrerinnen und Lehrer ja zu 50% Filme zeigen, ist die Kinoatmosphäre bei 60 SuS (sorry) gewährleistet.  Diese Kinoatmosphäre fördert die Eindringlichkeit des Films und damit den Lernerfolg, ausserdem kann man im Dunkeln noch ein bisschen fummeln (siehe Punkt 2.)

6.)    Wenn eine Grossklasse Fussball spielt, sitzen etliche auf den Reservebänken, wovon ich meine ganze Schulzeit immer nur geträumt habe. Keine noch so besessene Sportlehrperson wird es schaffen, dass alle innerhalb einer Doppelstunde zum Einsatz kommen und die Unsportlichen werden nicht gezwungen hinter einem Ball herzurennen. (siehe auch Punkt 3.)

7.)    Was für ein Chor wird da im Musikunterricht seine Stimmen erschallen lassen! Denn Reinheit wird ja heute völlig überbewertet, wenn man sich manche Theaterchöre anhört, merkt man doch: Es geht um Lautstärke!

8.)    Viele Chemielehrerinnen und Chemielehrer sind begeisterte Experimenteure. Bei einer grossen Gruppe ist die Überlebenschance für den Einzelnen immens grösser, wenn wieder einmal die ganze Suppe mit lautem Getöse in die Luft fliegt. Man kann sogar heil davongekommen, wenn der Mitschüler oder die Mitschülerin auf einen geworfen wird, evtl. auch Gelegenheit zum Körperkontakt. (siehe Punkt 2.)

9.)    Alles Aufgerufen-Werden, An-die-Tafel-Müssen, Wir-leisten-heute-einen-mündlichen-Beitrag, alles Und-Was-sagt-Jochen-dazu, die ganze Demütigung und alles Ausgestelltsein, das so tiefe Wunden in der Kindesseele hinterlässt, entfällt, vor allem auch, weil kein Pädagoge mehr die Namen kann. (siehe Punkt 3.)

10.) Jetzt noch ein Ausblick in das spätere Leben: Je grösser die Klasse desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn alle 95 sind, noch ein paar am Leben sind und ein Klassentreffen zustande kommt.

Alle diese Punkte gelten natürlich nur für wirklich grosse Klassen. Insofern muss die klare Forderung lauten: Klassenstärken hoch; aber richtig! Rumdreckeln bei 28 oder 29 SuS (sorry) bringt nix. Ab 60 wird die Schule richtig gut.   

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