Der Schweizer Bildungsminister hat 2014 zum Jahr der Bildung
ausgerufen. Dabei hat er einen Hymnus angestimmt, der in vielen Ohren ein wenig
schräg tönt und in dem Refrain mündet:
Bessere Bildung für weniger Geld.
Unter den vielen Massnahmen, die die Pädagogik verbessern
und nebenbei noch Geld sparen sollen, ist auch wieder einmal die Forderung nach
grösseren Klassen. Als erfahrener Lehrer will ich jetzt kurz dazu Stellung
nehmen, aber meine Meinung zu Anfang klar formulieren:
Er hat absolut Recht.
Sind die heutigen Klassen mit 26 Schülerinnen und Schülern
(im Pädagogendeutsch mit dem schrecklichen Kürzel SuS benannt, das so stark an
SuSpendieren und SuSpekt erinnert) hoffnungslos zu winzig, würde eine Grösse
von 35 schon Fortschritte bringen, das Optimum wäre bei 60 erreicht.
Lassen Sie mich meine Gründe in 10 Punkten darlegen:
1.)
Non scolae sed vitae discimus, und die meisten
jungen Menschen werden ihr Berufsleben in Ämtern, Organisationen, Firmen und
Fabriken verbringen, die gross sind und deren Belegschaft zahlreich ist. Wie
sollen sie sich auf diese Massen einstellen, wenn in der Schule immer nur
kleine Häuflein zusammen sind?
2.)
Das soziale Lernen und menschliche Reifen ist
ein zentrales Anliegen jeder guten Erziehung. Für den Heranwachsenden ist der
Kontakt zum anderen Geschlecht sicher einer der wichtigsten Punkte, und hier
bietet die Grossklasse sicher mehr Möglichkeiten. Bei 30 Männlein und 30
Weiblein ist doch sicher eher etwas Passendes dabei als bei 13 und 13. Auch die
Wahrscheinlichkeit, dass mehrere Schwule und Lesben in der Klasse sind, steigt.
3.)
In der Pubertät gibt es Tage, da will man nur
eines: Lehrer, Eltern, Schule und Welt sollen einen in Ruhe lassen. Man will
eben nicht mit dem Problem herausrücken oder sogar in einem Stuhlkreis sich
thematisieren lassen. Bei einer Gruppe von 60 kann man viel besser einfach mal
wegtauchen.
4.)
Jeder, der schreibt, weiss, wie heilig und
kostbar ein eigener Text ist. Niemand lässt gerne einen Fremden mit dem
Rotstift in einem Erguss der eigenen Kreativität herumstreichen. Bei jungen
Menschen kann das zu schweren Traumata führen. Sind die Klassen gross genug,
werden die Deutschlehrpersonen sich auf kurze Kommentare beschränken.
Orthografie muss eh nicht mehr angestrichen werden, weil es ja
Korrekturprogramme gibt.
5.)
Niemand sitzt gerne in einem leeren Kino. Und da
die Lehrerinnen und Lehrer ja zu 50% Filme zeigen, ist die Kinoatmosphäre bei
60 SuS (sorry) gewährleistet. Diese
Kinoatmosphäre fördert die Eindringlichkeit des Films und damit den Lernerfolg,
ausserdem kann man im Dunkeln noch ein bisschen fummeln (siehe Punkt 2.)
6.)
Wenn eine Grossklasse Fussball spielt, sitzen
etliche auf den Reservebänken, wovon ich meine ganze Schulzeit immer nur
geträumt habe. Keine noch so besessene Sportlehrperson wird es schaffen, dass
alle innerhalb einer Doppelstunde zum Einsatz kommen und die Unsportlichen
werden nicht gezwungen hinter einem Ball herzurennen. (siehe auch Punkt 3.)
7.)
Was für ein Chor wird da im Musikunterricht
seine Stimmen erschallen lassen! Denn Reinheit wird ja heute völlig
überbewertet, wenn man sich manche Theaterchöre anhört, merkt man doch: Es geht
um Lautstärke!
8.)
Viele Chemielehrerinnen und Chemielehrer sind
begeisterte Experimenteure. Bei einer grossen Gruppe ist die Überlebenschance
für den Einzelnen immens grösser, wenn wieder einmal die ganze Suppe mit lautem
Getöse in die Luft fliegt. Man kann sogar heil davongekommen, wenn der
Mitschüler oder die Mitschülerin auf einen geworfen wird, evtl. auch
Gelegenheit zum Körperkontakt. (siehe Punkt 2.)
9.)
Alles Aufgerufen-Werden, An-die-Tafel-Müssen,
Wir-leisten-heute-einen-mündlichen-Beitrag, alles Und-Was-sagt-Jochen-dazu, die
ganze Demütigung und alles Ausgestelltsein, das so tiefe Wunden in der
Kindesseele hinterlässt, entfällt, vor allem auch, weil kein Pädagoge mehr die
Namen kann. (siehe Punkt 3.)
10.) Jetzt
noch ein Ausblick in das spätere Leben: Je grösser die Klasse desto grösser die
Wahrscheinlichkeit, dass, wenn alle 95 sind, noch ein paar am Leben sind und
ein Klassentreffen zustande kommt.
Alle diese Punkte gelten natürlich nur für wirklich grosse
Klassen. Insofern muss die klare Forderung lauten: Klassenstärken hoch; aber
richtig! Rumdreckeln bei 28 oder 29 SuS (sorry) bringt nix. Ab 60 wird die
Schule richtig gut.
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