Donnerstag, 9. Januar 2014

Ein dreifach Hoch den Epigonen!


Epigonal sei mein letzter Post gewesen, sagt mir ein Kollege, epigonal, sehr epigonal, einige Stellen hätten ein wenig nach Jelinek geklungen. Nun ja, da hat er vollkommen recht, das war ja auch der Sinn der Sache, es sollte eine kleine Stilkopie oder Stilparodie sein, ich habe ja auch schon bei Böll und Bernhard im Teich gefischt. Und als Glossist des eigenen Blogs darf man doch alles, mal ein bisschen so, mal ein bisschen so, mal einen Dialog schreiben und mal ein Gedicht, ich stelle mir zweimal in der Woche eine Carte Blanche aus.
Nun bleibe ich aber doch bei dem Wort epigonal hängen: Epigonentum ist so ziemlich das Schlimmste, was man einem Menschen vorwerfen kann. Wir sind so hungrig nach Neuem, Originellem, wir müssen ständig up-to-date sein, wir suchen so sehr nach dem Noch-nie-aber-auch-wirklich-noch-nie-Dagewesenen, dass epigonal zu sein gleichkommt mit dreckig, fies und asozial. Nehmen Sie doch nur einmal die Hochzeiten: Nur um ja nichts so zu machen wie die Freunde und Freundinnen kommen die Menschen auf die blödsinnigsten Ideen, sie heiraten unter Wasser, auf 5000 Meter Höhe, in der Kanalisation und im Löwenkäfig, sie lassen sich von Kapitänen trauen, aber auch von Zirkusdirektoren, Flugzeugpiloten und Müllkutschern. Sie heiraten in Las Vegas, nein, das ist ja auch schon so wieder etwas von epigonal, nein, sie heiraten in der Sahara, auf den Aleuten oder in Stonehenge (oder hat das auch schon jemand gemacht? Dann Finger weg davon.)
Ging es früher um eine feierliche und romantische Trauung, geht es heute nur noch um eine originelle.
Dabei vergessen alle eine Tatsache: Ohne Epigonen gebe es keine Kultur.
Der Fischer Francesco kam vor einigen hundert Jahren auf eine Idee: Er strich sein Wohnhaus knallgrün an. Die ersten Monate hagelte es Spott und Häme, eitel sei er und geltungssüchtig und ein Haus, das aussehe wie ein Frosch zieme sich nicht für einen bescheidenen und gottesfürchtigen jungen Mann, und wenn sein Vater das noch sehen könnte… Aber Francesco blieb stur und hatte nach einem halben Jahr seinen ersten Epigonen, Giorgio malte seine Hütte karminrot. Immer noch gab es Kritik, aber die Francesco-Nachmacher waren auf dem Vormarsch. Nach ein paar Jahren sah der Ort aus wie eine Farbpalette: Gelbe, blaue, grüne, orange, rote und lila Häuser. Sie ahnen es: Es ist Burano in der Venezianischen Lagune. Die Geschichte ist natürlich erfunden, aber irgendjemand muss doch der Erste gewesen sein, einer machte vor und andere machten nach.
Alle unsere schönen Innenstädte, unsere Kulturlandschaften, unsere Romantischen, Barocken, Gotischen und Märchenstrassen sind nur so zu dem geworden, was sie sind.
Auch unsere grossen Meister waren zunächst Epigonen. Oder haben Sie gedacht, Beethoven sass mit 12 Jahren zum ersten Mal am Cembalo und spielte die Grosse Fuge? Haben Sie gedacht, Hölderlin schrieb als Schularbeit in der 2.Klasse die Feierstunde? Nee, nee, Beethoven klingt am Anfang wie Haydn und Hölderlin schrieb ganz brav Mein schönstes Ferienerlebnis wie wir alle.
Der Umgang mit dem eigenen Epigonentum ist allerdings etwas ganz Spezielles. Während Orff alles Epigonale schlicht und einfach weggeschmissen hat, gab Brahms seine Beethovens Zehnte gerne zu: „Das Merkwürdige ist doch, dass es jeder Esel hört.“ Wagner fand eine etwas eklige Methode sich seiner Vorbilder zu entledigen, er diffamierte die Leute, von denen er gelernt hatte, als jüdisch, und Juden können ja keine Musik machen, also kann er als Urdeutscher ja kein Epigone von Mendelssohn und Meyerbeer sein, was er am Anfang durchaus ist.

Es lebe also das Epigonentum!
Gelobt sei der, der etwas Gutes und Schönes nachmacht!
Hoch die Leute, die von einer wunderbaren Sache ein zweites Exemplar machen!

Feiern Sie doch mal wieder Hochzeit, so wie man sie immer gefeiert hat! Mit Kirche und Brautkleid und Kutsche und Zylinder!
Sie müssen nicht ihr Leben lang originell sein.

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