Montag, 20. Januar 2014

Die Schweizer haben beim Thema ÖV ein Luxusproblem


Die Schweizer hätten beim Thema ÖV ein Luxusproblem, sagt Mnube Mnububu aus Kenia, wenn er in die Kreisstadt müsse, stehe er um 4.00 auf, beim ersten Sonnenstrahl, beim ersten Gnuschrei, dann müsse er, nachdem er sich gewaschen, angezogen und seinen Maniok gegessen habe, zwei Stunden bis zu einer Busshaltestelle laufen, dort müsse er um 7.00 sein, denn ab 7.00 komme dort der Bus vorbei, die Betonung liege hier allerdings auf „ab“, denn Bus erreiche die Haltestelle eben zwischen 7.00 und 12.00, man tue gut daran, immer etwas zum Trinken und zum Lesen und zum Rauchen dabei zu haben. Komme der Bus dann, so Mnube Mnububu, so sei man froh, wenn auf dem Dach noch Platz sei, denn Trittbrett, Heck oder Front seien nicht so gemütlich. Die Rückfahrt aus der Kreisstadt gestalte sich ähnlich, die Abfahrt erfolge zwischen Sonnenuntergang und letztem Gnuschrei, also zwischen 19.00 und 24.00, er müsse dann natürlich noch zwei Stunden heimwandern, eine Fahrt auf ein Amt, eine Behörde sei also eine gewaltige Sache.

 Die Schweizer hätten beim Thema ÖV ein Luxusproblem, sagt Hiroshi Makaneda aus Tokio, er wohne in einem Vorort, stehe um 7.00 auf, wasche sich, ziehe sich an und trinke seinen Tee. Um 7.45 verlasse  er das Haus und werde sofort, quasi vor der Haustüre von einem Strom von Menschen erfasst, dieser Strom spüle ihn, reisse ihn, ziehe ihn zur U-Bahn-Haltestelle und in den Untergrund. Dort könne man praktisch schon kaum mehr stehen, atmen ginge gerade noch. Wenn der Zug komme, werde er in einem Pulk von Leuten in die Metro gequetscht, ein Sitzplatz liege ausserhalb jedes Denkvermögens, Ziel sei es nur hineinzukommen. „Gequetscht“ sei übrigens wörtlich zu verstehen, so Hiroshi Makaneda, denn die Tokioer Metro beschäftige sogenannte Pusher, die die Menschenmasse in den Wagen hineindrückten, damit die Türen zugingen. Stehe man direkt vor einem Pusher, könne das manchmal sehr schmerzhaft sein, er selbst habe schon einige höllenmässige Stösse in die Wirbelsäule bekommen und wahrscheinlich sei er orthopädisch nicht mehr ganz in Takt.

Die Schweizer hätten beim Thema ÖV ein Luxusproblem, sagt Schantall Glabowski aus Wanne-Eickel. Sie arbeite in Bottrop und stehe jeden Tag um 3.00 auf, denn ohne vier Zigaretten und vier Tassen Kaffee werde sie nicht wach. Um 4.30 fahre die S-Bahn, die sie erreichen müsse, um rechtzeitig in der Halle der Frock AG zu stehn, Frühschicht. Sie könnte auch später fahren, aber man wisse ja, so Schantall Glabowski, wie das in Deutschland sei. Mal komme die Bahn überhaupt nicht, mal mit 50 Minuten Verspätung, mal seien die Türen kaputt und man könne nicht einsteigen, mal bliebe der Zug einfach irgendwo stehen.

Alle drei, Mnube, Hiroshi und Schantall, sind sich einig: Die Forderung nach einem billiardenschweren Ausbau der SBB, damit Pendler pünktlich, zuverlässig, bequem und SITZEND (hier erfolgt dreistimmiges, dreisprachiges, multiethnisches, internationales Hohngelächter) sei das Absurdeste, was sie je gehört hätten.

Gut und schön, aber die Drei vergessen das Folgende: Die Pendler Simone Burckhardt (Basel-Bern), Pia Matter (Bern-Zürich) und Urs Schläfli (Zürich-Basel) könnten auch mit dem Auto fahren. Das ist nämlich für unser Trio keine Option. Mnube hat gar keinen PKW, Hiroshi hat zwar einen, aber nur zum Einkaufen im Vorort, denn die Parkplatzsuche in Tokio würde ihn drei Stunden kosten, Schantall käme problemlos zur Frühschicht, stünde dann aber auf dem Rückweg vier Stunden im Stau.

Warum fahren dann Simone, Pia und Urs mit der SBB? Einerseits aus Umweltschutzüberzeugung, andererseits, weil sie im Zug all das können, was im Auto nicht geht: Essen, Trinken, Lesen, Arbeiten, Dösen, Schlafen. Wenn die Züge nicht mehr pünktlich sind und vor allem, wenn sie keine Sitzplätze mehr bieten, werden die drei wieder den PKW benützen und statt wie bislang als Pendler die Eisen- werden sie als Pendler wieder die Autobahnen verstopfen. Der Hinweis, dass es in anderen Ländern im Pendlerverkehr wesentlich rauer und härter zugeht, rinnt also an unserer Baslerin, unserer Bernerin, unserem Zürcher ab wie Wasser.

Daher: Bitte, bitte, liebe Schweizer:
Stimmen Sie am 9.2., wenn es um Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur geht (FABI) mit JA!
Denn auch ich geniesse das Pendeln in warmen, pünktlichen Zügen MIT SITZPLATZ. Dieser gesamte Post ist auch in einem Zug entstanden, in doppelter Hinsicht.  

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